Trennbare Verben sind eines der wichtigsten und schwierigsten Grammatikthemen für Deutschlernende. Die Frage dabei ist meistens „Welche Verben sind trennbar bzw. untrennbar?“ Eine mögliche Antwort auf diese Frage finden Sie hier.
Bei den trennbaren Verben stellt sich eine weitere Frage, die das Beispiel oben veranschaulicht. Wir wissen aus der Grammatik, dass mehrere verschiedene Wortarten eine Präverb-Funktion haben können. Am bekanntesten sind sicherlich Präpositionen wie z.B. auf in aufmachen, aus in aussteigen, an in ankommen usw.
Auch direktionale Adverbien wie z.B. her, hin, herein (umgangssprachlich rein), heraus (umgangssprachlich raus) können eine Präverb-Funktion haben. Wir verwenden sie u.a. in Kombination mit Bewegungsverben wie kommen und gehen. Die Verben herkommen (her + kommen, z.B. Wo kommst du her?) und hingehen (hin + gehen, z.B. Wo gehst du hin?) sind bekannte Beispiele dafür.
Das Beispiel oben zeigt uns zwei Kombinationen von direktionalen Adverbien und Bewegungsverben, und zwar rausgehen und reingekommen. Der Unterschied ist deutlich: rausgehen ist zusammengeschrieben, rein gekommen nicht. Warum? Ist das eine oder das andere Verb falsch geschrieben? Wenn ja, welches?
Die deutsche Rechtschreibung (§ 34, 1.2) schreibt bei trennbaren Verben die Zusammenschreibung vor:
Wenden wir diese Regel an, dann müssen wir denken: rausgehen ist richtig geschrieben, rein gekommen ist falsch geschrieben. Stimmt das? Nur zum Teil. Direktionale Adverbien wie rein und raus gibt es nicht nur als Präverben (oder Verbpartikeln), sondern sie können auch selbstständige Satzteile sein – genauer gesagt Direktionaladverbialia. Mit direktionalen Adverbien können wir sogar sprachliche Handlungen vollziehen, ohne dafür einen ganzen Satz zu formulieren – zur Vertiefung s. kommunikative Minimaleinheit. Zwei denkbare Beispiele aus dem Alltag:
Wenn wir ein direktionales Adverb als selbstständigen Satzteil, d.h. nicht als Präverb verwenden, dann ist die getrennte Schreibung vorgeschrieben.
Das Beispiel zeigt uns also zwei verschiedene grammatische Elemente, und zwar:
Auf Bedeutungsunterschiede gibt es keinen Hinweis, denn beide grammatischen Elemente haben die Grundbedeutung „Bewegung in eine bestimmte Richtung“. Die Gründe für die Wahl der Getrenntschreibung rein gekommen müssen also woanders liegen. Generell werden Partizipien wie rein gekommen häufiger getrennt geschrieben als Infinitive wie rausgehen. Vermutlich werden die ersteren aufgrund ihrer höheren Komplexität nicht als Einzelwörter, sondern als Wortgruppen wahrgenommen. Ein weiterer möglicher Grund für die Getrenntschreibung rein gekommen liegt in der Betonung. Wenn wir den Satz im Beispiel aussprechen, dann setzen wir den Hauptakzent auf da im ersten Teil und rein im zweiten Teil – die Betonung ist im Folgenden mittels Druckbuchstaben dargestellt:
Kannst Du nicht DA rausgehen, wo Du REIN gekommen bist?
Das Wort rein trägt im zweiten Teil des Satzes den Hauptakzent unabhängig von seiner grammatischen Funktion. Sprich: Wir können das Wort rein mit Hauptakzent nicht nur als Präverb eines trennbaren Verbs (REINgekommen), sondern auch als selbstständigen Satzteil (REIN gekommen) denken.
Der einzige Punkt, in dem sich Zusammen- und Getrenntschreibung deutlich und eindeutig unterscheiden, ist die Häufigkeit im Gebrauch. Die Grafiken unten vergleichen die Frequenzen von Zusammen- und Getrenntschreibung der Verben rausgehen bzw. reingekommen im Zeitraum von 1995 bis 2020. Die relativen Frequenzwerte und die Jahre sind auf der vertikalen bzw. auf der horizontalen Achse abgebildet. Die Zusammenschreibungen und die Getrenntschreibungen sind in hellblauer bzw. hellroter Farbe abgebildet:
Grafik 1: rausgehen vs. raus gehen (Quelle: DeReKo)
Grafik 2: reingekommen vs. rein gekommen (Quelle: DeReKo)
Beide Grafiken verdeutlichen eine gemeinsame Tendenz: Die Getrenntschreibung weist ziemlich beständige und sehr niedrige Häufigkeiten auf, die Zusammenschreibung dagegen einen unbeständigeren und generell steigenden Verlauf. Die Zusammenschreibung ist wie gesagt eine schon lange etablierte orthographische Norm sowie ein Standard für Wörterbücher. Deswegen überrascht ihre Dominanz nicht.