Paul bekam/kriegte/erhielt ein Buch geschenkt – Sind hier alle drei Verben möglich? Bekommen-Passiv und Stilebene

Bekommen, kriegen und erhalten sind als Hilfsverben für das so genannte bekommen-Passiv in vielen Sätzen untereinander austauschbar:

Paul bekam ein Buch geschenkt.
Paul kriegte ein Buch geschenkt.
Paul erhielt ein Buch geschenkt.
Zum 85. Geburtstag hat sich der erfolgreiche Berliner Bühnenautor Curth Flatow ein Schlagzeug gewünscht, aber eine Blutdruckmessuhr geschenkt bekommen. (Berliner Zeitung, 10.01.2005, S. 28)
M. ist 33 geworden, er hat eine Lampe geschenkt gekriegt, die buntes Licht macht. (die tageszeitung, 21.01.2014, S. 24)
Wer den Gutschein noch in dieser Woche einlöst, erhält ein tolles Buch geschenkt. (Nordkurier, 23.04.2014, S. 19)
Alle, die es auch in diesem Jahr ins Ziel schaffen, bekommen die traditionelle Traubenmedaille umgehängt, die Sieger in ihrer Altersklasse erwarten Geldpreise im Gesamtwert von über 10 000 Euro. (Mannheimer Morgen, 11.03.2014, S. 25)
Von jeder Karnevalsdelegation kriegt sie einen Orden umgehängt, sodass die Kanzlerin auf Dauer Probleme mit dem Gleichgewicht bekommt. (FOCUS, 24.02.2014, S. 10-11)
Traditionell erhielt nach der Prinzessin zuerst Bürgermeister Marsch den neuen Orden umgehängt. (Mannheimer Morgen, 08.01.2013, S. 15)
Sie hat den Ausflug von ihren Eltern zum Geburtstag geschenkt bekommen und ist zum ersten Mal mit einem Elbedampfer auf Tour. (Sächsische Zeitung, 03.05.2006, S. 16)
Jeder 40. Besucher der Winterlichter-Ausstellung, der eine Jahreskarte erwerben möchte, erhält diese geschenkt. (Mannheimer Morgen, 16.02.2015, S. 21)
Die kriegt ihr geschenkt. Nehmt sie mit nach Hause, probiert sie aus, findet was über die Zutaten raus. (die tageszeitung, 01.08.2019, S. 13)

Doch wenn man Sätze hört wie Du erhältst gleich eine geklebt/gewischt (eine Ohrfeige) oder Am Ende des Festaktes kriegte der scheidende Admiral vom Bundespräsidenten feierlich einen Orden überreicht, hat man das Gefühl, dass etwas nicht ganz stimmt. Rein grammatikalisch sind diese Sätze korrekt, aber in beiden gibt es einen Stilbruch, der uns ein bisschen schmunzeln lässt. Würde man im ersten Satz erhältst durch kriegst ersetzen und im zweiten kriegte durch erhielt, wäre an den Sätzen vermutlich nichts auszusetzen. Unauffällig sind beide auch dann, wenn man im ersten Satz bekommst und im zweiten Satz bekam verwenden würde.

Du kriegst/bekommst gleich eine gewischt.
Am Ende des Festaktes erhielt/bekam der scheidende Admiral vom Bundespräsidenten feierlich einen Orden überreicht.

Wie ist der aktuelle Sprachgebrauch?

Recherchen im Deutschen Referenzkorpus (DeReKo) belegen, dass geschenkt bekommen bei weitem am häufigsten vorkommt, danach geschenkt erhalten und zum Schluss geschenkt kriegen. Gleiches gilt für überreicht bekommen/erhalten/kriegen und lässt sich auch in der 'freien Wildbahn' des Internets nachvollziehen. Von diesen drei Verben würde man erhalten vermutlich einem eher 'gehobenen' Sprachstil zuordnen, während kriegen zu einer lockeren, informellen Ausdruckweise passt. Bekommen passt sich etwa in der Mitte ein. Dass kriegen in den Belegen vergleichsweise wenig vertreten ist, hängt mutmaßlich mit den in DeReKo prominenten Textsorten (Zeitungstexte, Fachtexte) zusammen. Aber die hohe Zahl der Belege mit bekommen und erhalten zeigt durchaus, dass das bekommen-Passiv 'salonfähig' geworden ist.

bekomme/bekommst/bekommt/bekommen geschenkt88.276 Belege
erhalte/erhälst/erhält/erhalten geschenkt11.482 Belege
kriege/kriegst/kriegt/kriegen geschenkt2.875 Belege
bekomme/bekommst/bekommt/bekommen überreicht51.067 Belege
erhalte/erhälst/erhält/erhalten überreicht31.492 Belege
kriege/kriegst/kriegt/kriegen überreicht255 Belege

[Stand: Dezember 2023]

Neben den unterschiedlichen Stilebenen, zu denen die drei Verben gehören und die ihren Gebrauch beeinflussen, gibt es noch eine Besonderheit beim Gebrauch von erhalten als Hilfsverb des bekommen-Passivs: Bestimmte Verben werden nicht mit erhalten verwendet. Für schimpfen z. B. finden sich in DeReKo keinerlei Belege mit erhalten, wohl aber mit kriegen oder bekommen:

Natürlich habe der Großvater von Mutter und Großmutter sehr geschimpft bekommen, und Heidi Wolf musste noch einmal mit 50 Pfennig – für die damalige Zeit viel Geld – Milch holen gehen. (Die Rheinpfalz, 09.04.2014)
Da ist es dann ganz schnell mit der Fröhlichkeit vorbei, und wir kriegen kräftig geschimpft. (Rhein-Zeitung, 16.12.2013)

Weitere Verben oder verbale Ausdrücke, die zwar mit bekommen und kriegen, aber nicht mit erhalten verwendet werden:

Der Krimi spielt ebenfalls dort und handelt vom Thema Wein – allerdings auch von Mord: Der fiktive Forster Winzer Johann Werger bekommt zuerst die Trauben aus seinem Weinberg gestohlen und wird später getötet. (Die Rheinpfalz, 28.02.2014)
Nachdem das passiert war, also dass ihr Vater die Zeitung praktisch gestohlen gekriegt hat. (Naomi Schenck: Mein Großvater stand vorm Fenster und trank Tee, Hanser Berlin, 2016)
Immer wieder bekommt Fox ein Kissen ins Gesicht geschlagen, wird auf den Boden geworfen, gewürgt. (Die Zeit, 06.05.2004, S. 15)
Bei der Schwarz-Weiß-Diskussion, die wir heute wieder erlebt haben, kam mir mancher vor wie ein trotziges Kind, das sein geliebtes Holzspielzeug aus der Hand geschlagen bekommen hat und jetzt vor Wut auf den Boden aufstampft und sagt: Die Welt ist ungerecht. (Protokoll der Sitzung des Parlaments Hessischer Landtag am 07.03.2012)
Ein Tor, das für Mündersbachs Akteure nicht ohne Konsequenzen bleiben dürfte. Meuer: "Da kriegen am Montag einige den Kopf gewaschen." (Rhein-Zeitung, 17.03.2008)
Nach seinem enttäuschenden Auftritt im 15-Kilometer-Langlauf bekam der Norweger Martin Johnsrud Sundby von seiner Mama den Kopf gewaschen: "Du bist der schlechteste Norweger", schimpfte Gro Johnsrud Langslet im norwegischen Fernsehen. (Mannheimer Morgen, 17.02.2014, S. 8)

Bekommen und kriegen haben in ihrer Funktion als Hilfsverben zur Bildung des bekommen-Passivs weitgehend ihre ursprüngliche Bedeutung verloren. Bei erhalten scheint das weniger der Fall zu sein. Es wird vorzugsweise mit semantisch nicht allzu weit entfernten Verben gebildet, wie beispielsweise schenken, zuschicken, zusenden, überreichen etc.

Zur Verwendung des bekommen-Passivs mit Verben, die das Gegenteil von 'bekommen' bedeuten, siehe Im Bahnhof hat er seine Brieftasche gestohlen bekommen.

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Autor(en)
Jacqueline Kubczak
Bearbeiter
Roman Schneider
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