Puristen mögen es nicht, das so genannte Bekommen-Passiv. Man brauche es nicht, sagen sie, es gebe doch das Passiv mit werden: Eine Medaille wurde dem Sieger umgehängt ! Allenfalls wird noch für das Verb schenken ein Bekommen-Passiv ohne Murren akzeptiert: Peter bekommt ein Buch geschenkt.
Häufig können mit demselben Verb sowohl Aktivsätze als auch Passivsätze gebildet werden. Ein Passivsatz hat verglichen mit einem Aktivsatz die Eigenschaft, dass man denjenigen, der handelt, nicht nennen muss. Das kann gelegentlich, wenn man nicht sagen will oder nicht weiß, wer die Handlung vollführt, ganz praktisch sein. In einem Aktivsatz wird die Handlung aus der Perspektive des Handelnden dargestellt, in einem Passivsatz steht die Handlung bzw. das Resultat der Handlung im Vordergrund und der Verantwortliche kann im Dunkeln und versteckt bleiben.
Das gilt auch für das Bekommen-Passiv:
Es ist aber auch in einem Passivsatz möglich den Verantwortlichen zu nennen. Aber im Unterschied zum Aktivsatz, in dem der Verantwortliche, der Handelnde als Subjekt des Satzes genannt werden muss, kann er im Passivsatz ausgedrückt werden und zwar als Präpositionalphrase mit von.
Weitere Informationen zum Passiv: Genus Verbi: Aktiv und Passiv
Hat das Bekommen-Passiv nicht besondere Eigenschaften, die es von den
anderen Passiven unterscheidet und auch nützlich sein können?
Bei vielen Handlungen gibt
es eine Person, der die Handlung gilt, die durch die Handlung einen Nutzen oder einen Schaden
erleidet. Das Besondere am Bekommen-Passiv ist die Nennung dieser Person als
Subjekt des Satzes.
Diese Person wird in einem Aktivsatz häufig durch eine Nominalphrase oder eine Pronominalphrase im Dativ dargestellt:
Aus diesen Sätzen können Passivsätze im Werden-Passiv gebildet werden, wenn das Resultat der Handlung hervorgehoben werden und der Handelnde in den Hintergrund treten soll.
Wenn man möchte, dass der Nutznießer oder der Geschädigte besonders ins Blickfeld rückt, kann man den Satzbau ändern und die Nominalphrase bzw. Pronominalphrase im Dativ an den Anfang setzen:
Diese Konstruktion mit einem Werden-Passiv und einem Dativ ist aber nicht sehr üblich und wird oft als schwierig empfunden.
Das Bekommen-Passiv wird nur von Verben gebildet, die, wenn sie in einem Aktivsatz verwendet werden, ein Nomen oder ein Pronomen im Dativ mit sich führen können. Das Bekommen-Passiv ist also eine Alternative zum Werden-Passiv, bei dem die Nominalgruppe im Dativ nach vorne gerückt ist.
Der Satzbau mit einem Bekommen-Passiv entspricht dem häufigsten Satzbau des Deutschen: Nominativ, Verb, Akkusativ (Partizip) wie z.B. in Er hat einen Apfel gegessen. Man kann auf den weniger gebräuchlichen Dativ, der in einem entsprechenden Satz mit werden vorkommt, verzichten, und derjenige, der etwas bekommt, dem etwas Positives oder Negatives angetan wird, steht im Nominativ, der üblichsten und einfachsten Form im Deutschen.
Gelegentlich wird das Bekommen-Passiv auch mit Verben gebildet, die nicht mit einer Nominalphrase im Dativ verwendet werden, allerdings nur dann wenn derjenige, dem etwas "angetan" wird, im Aktivsatz nicht in Form einer Nominalphrase im Akkusativ ausgedrückt wird und in Sätzen mit Werden-Passiv nicht als Subjekt sondern als Präpositionalphrase erscheint:
Jemand schimpft mit ihm | Mit ihm wird geschimpft | Er bekommt geschimpft |
Man schlägt ihm ins Gesicht | Ihm wird ins Gesicht geschlagen | Er bekommt ins Gesicht geschlagen |
Man schlägt ihn | Er wird geschlagen | *Er bekommt geschlagen |
Somit kann man wohl sagen, dass das Bekommen-Passiv eine schwierige Konstruktion ohne Informationsverlust ersetzen kann. Überflüssig ist es nicht, denn es kann als Anschluss in Sätzen eingebaut werden, in denen ein Werden-Passiv, wegen seines besonderen Satzbaus nicht passen würde:
In diesem Satz könnte anstelle des Bekommen-Passivs kein Werden-Passiv treten, denn das Subjekt des vorherigen Aktivsatzes nach allem, was man heute weiß [...] kann nicht auch als Subjekt des Werden-Passiv-Satzes fungieren
wohl aber als Subjekt des Bekommen-Passivsatzes!
Das Vollverb bekommen, dessen übliche Verwendung durch einen Satz wie Zu seinem fünfzigsten Geburtstag hat Paul einen Füller bekommen illustriert wird, wird mit einem Akkusativobjekt (in dem Beispielsatz: einen Füller) verwendet. Mit diesem Akkusativobjekt wird das ausgedrückt, was jemand nach der "Schenkaktion" (im weiten Sinne) besitzt. Man ist dann dazu übergegangen, auch Handlungen, die jemand für eine Person ausführt und die ihr zu Gute kommen, mit dem Verb bekommen zu verbinden. Ein Satz, in dem ein solcher Übergang deutlich wird, ist z.B. der Satz aus dem Lustspiel "Leonce und Lena" von Büchner:
Die ursprüngliche Bedeutung von bekommen verblasst langsam in diesen Konstruktionen. Bekommen wird zum Hilfsverb. Mithilfe dieses Hilfsverbs und eines Partizips II können Sätze gebildet werden, die eine passivische Bedeutung haben. Statt Ihm wird ein Buch geschenkt kann man sagen Er bekommt ein Buch geschenkt. Statt Ihm werden die Haare geschnitten kann man sagen Er bekommt die Haare geschnitten. Daraus erklärt sich der in Grammatiken oft verwendete Name Bekommen-Passiv.
Das bekommen-Passiv (vor allem mit dem Partizip geschenkt – sozusagen als Verstärkung) ist im jetzigen Sprachgebrauch üblich geworden (Google-Suche für "geschenkt bekommen", Stand September 2006: 3.020.000 Treffer!).
Das Bekommen-Passiv ist keine moderne Erscheinung. Die folgenden Belege aus den Korpora des Instituts für Deutsche Sprache zeigen, dass das Bekommen-Passiv im 18. Jahrhundert schon sehr lebendig war und schon damals nicht nur mit dem Verb schenken verwendet wurde:
Übrigens, auch der Dichterfürst Goethe verschmähte das Bekommen-Passiv nicht, wie man am folgenden Beispiel erkennen kann:
Und auch Thomas Mann verwendete es — nicht nur mit dem Verb schenken:
Und in der heutigen Zeit findet man das bekommen-Passiv auch in der ehrwürdigen Frankfurter Allgemeinen Zeitung:
Eine Suche über die Korpora der geschriebenen Sprache des IDS ergab 2008 für die Verbindung bekommen/bekam/... + geschenkt über 5000 Treffer, (Google: über 3 Millionen Treffer). Für die Verbindung bekommen/bekam/... + zugeschickt gab es 900 Treffer (Google: über 500.000 Treffer) und für die Verbindung bekommen/bekam + umgehängt immerhin noch 300 Treffer (Google: über 50.000 Treffer).
Das Bekommen-Passiv ist alles andere als ein Randphänomen, das nur in der gesprochenen Sprache oder in lockeren Briefen beheimatet ist. Man kann es häufig anstelle der schwierigeren Werden-Passiv-Konstruktion mit einem Nomen im Dativ verwenden. Der Gebrauch eines Bekommen-Passivs mit Verben, die in der Aktivform kein Nomen oder Pronomen im Dativ führen können (er bekommt häufig geschimpft), gilt noch als umgangssprachlich.
Zum Gebrauch des Bekommen-Passivs mit Verben, die das Gegenteil von bekommen bedeuten, siehe auch Im Bahnhof hat er seine Brieftasche gestohlen bekommen.
Weiterführende Fachliteratur: Leirbukt (1997); Wegener (1985); Askedal (1984).