Bekommen-Passiv
Außer den vor allem schriftsprachlich gängigeren Formen des werden- und des sein-Passivs kennt das Deutsche eine weitere Passivform, die als bekommen-Passiv bezeichnet wird, weil das dort meist gebrauchte Hilfsverb bekommen ist. Daneben wird sie auch mit kriegen und seltener mit erhalten gebildet.
(Die Zeit 30.12.1994, 54)
... und nach allem, was man heute hier weiß und gesagt bekommt, muß man den Eindruck haben, dass dieser Start jedenfalls gelungen ist.
(FKO/XGT.00000, Europa nach Nixons Besuch. Interview im SWF 1, 3.3.1969 - Transkription vereinfacht)
... dann bekommt sie von uns also das zurückerstattet, was uns an Kosten entstanden wäre, wenn sie auf Krankenschein zum Arzt gegangen wäre.
(FKO/XEL.00000, Beratung bei einer Krankenkasse II. Beratungsgespräch 2.6.1971 - Transkription vereinfacht)
Wer die Solidarität mit den größeren Bundesländern aufkündigen wolle, "kriegt es an anderer Stelle heimgezahlt", sagte Schmidt.
(Berliner Zeitung 28.11.1997, 5)
Ich mein, wenn er durchkommt, der Antrag, dann kriegt er ja ohnehin die Zulage nachbezahlt.
(FKO/XEO.00000, Personalfragen. Private Unterhaltung 26.11.1970 - Transkription vereinfacht)
Ja, was ist jetzt? Das krieg ich nie und nimmer ersetzt.
(FKO/XEX.00000, Unterhaltung bei Küchenarbeit. - Private Unterhaltung 6.12.1969 - Transkription vereinfacht)
Die kriegen auf deutsch gesagt alles in den Arsch geblasen.
(Berliner Zeitung 10.10.1997, 27)
"Es ist schwer, von den Behörden Laufstrecken genehmigt zu erhalten", sagte der 31jährige Jurist aus Köpenick, "so daß wir Berliner Meisterschaften und andere Veranstaltungen schon nach Brandenburg verlegen mußten."
(Berliner Zeitung 7. 2.1998, 30)
..., denn, äh meines Wissens haben Sie doch den Termin ein Jahr - Ja, ja - gesetzt bekommen, nach dem Sie dann, äh die volle Qualifikation oder - Ja, ja - , wie man das nennen mag, ausgesprochen erhalten sollen.
(FKO/XFW.00000, Computerunterstützter Unterricht / Beurteilung von Zulassungsarbeiten. Beratungsgespräch 24.4.1972 - Transkription vereinfacht)
Die Einordnung von Konstruktionen dieses Typs als Passiv wird in der Fachwelt kontrovers diskutiert. Siehe Haider 1984a, Haider 1986a, Reis 1985a, Wegener 1985a. Die in Reis und Wegener sowie in den empirisch ausgerichteten Arbeiten von Leirbukt 1977, Eroms 1978 und Askedal 1984 vorgebrachten Argumente für die Annahme eines bekommen-Passivs im Deutschen fallen dabei stärker ins Gewicht als die zuerst in Haider 1984 vorgebrachten Argumente dagegen.
Bedingungen für das bekommen-Passiv
Verben, die in das bekommen-Passiv gesetzt werden können, erfüllen folgende Bedingungen:
1. Sie bezeichnen Handlungen oder Tätigkeiten.
(Berliner Zeitung 4.12.1998, 40)
2. Sofern sie in der Aktivform über ein Akkusativkomplement verfügen, erlauben sie auch ein werden-Passiv.
Ihm wird eine Substanz verabreicht.
3. Sofern sie in der Aktivform nicht über ein Akkusativkomplement verfügen, erlauben sie auch ein subjektloses werden-Passiv.
Ihm wird geholfen.
4. Sie sehen in der Aktivform meist ein personales Dativkomplement vor, aber auch Verben mit nicht-personalem Dativkomplement werden in zunehmendem Maße in das bekommen-Passiv gesetzt.
(Berliner Zeitung 7.10.1998, 27)
Handball als Sport für Robustlinge soll ein milderes Image verpaßt bekommen - und dabei stört Jacobsen mehr als nur ein paar Missgünstlinge.
(die tageszeitung 26.4.1994, 15)
Verben mit Dativobjekt oder mit Pertinenzdativ
Das bekommen -Passiv tritt sowohl bei Verben mit Dativobjekt (im traditionellen Sinne) als auch bei Verben mit Pertinenzdativ auf.
- Beispiele für Dativobjekt
(Grass 1962, 88)
Er besuchte die Höfe, stellte sich den Souverän vor, fuhr mit Herrn von Braunbart zu Galatafeln und erhielt bei seiner Abreise einen hohen Orden des Landes verliehen.
(Mann 1909, 120)
Anders, als ich, nach 1949, von einem Holländer geschrieben erhielt, dass der dortige Verleger von den Deutschen nach ihrem Einbruch in ein KZ gesteckt wurde und dort unterging.
(Heuss 1964, 397)
- Beispiele für Pertinenzdativ
(Strittmatter 1963, 177)
Man leckt Mampe die Stiefel. Das tut ihm wohl.
Der große, bärtige Geselle bekommt eine Aluminiummarke ins rechte Ohr geknipst, genau wie man sie bei Kühen und Schafen verwendet.
(Grzimek 1959, 213)
Man knipst dem großen, bärtigen Gesellen eine Aluminiummarke ins rechte Ohr.
Verben mit Dativobjekt, meist solche, die zur Beschreibung von Transaktionen zu gebrauchen sind, werden insgesamt in dieser Konstruktion am häufigsten verwendet. Sie weisen die typische semantische Argumentstruktur auf.
- Subjekt in AGENS-Rolle
- Dativkomplement in der REZIPIENTEN-Rolle
- Akkusativkomplement für das gegenständliche oder abstrakte Objekt der Handlung
Spezielle Fälle
Gelegentlich wird umgangssprachlich - mitunter mit ironisierendem Unterton - ein bekommen-Passiv zu Verben ohne Dativkomplement verwendet.
Mitunter wird der Rezipient doppelt benannt: Erstens als Subjekt, dem kein Dativkomplement des Aktivsatzes entspricht, und zweitens als in beiden Strukturen vorhandenes Direktivkomplement. Solche Konstruktionen wirken allerdings häufig wenig elegant.
Kein bekommen-Passiv möglich
Ausgeschlossen ist ein bekommen-Passiv bei transitiven Verben, bei denen das Dativkomplement als Reflexivum realisiert ist.
Bei intransitiven Bewegungsverben, die nur in markierten Fällen ein subjektloses werden-Passiv zulassen, ist ein bekommen-Passiv auch bei übertragenem Gebrauch gänzlich ausgeschlossen.
* Die Stadt bekam (vom Geld) ausgegangen.
Siehe auch: bekommen-Passiv oder nicht?