Aktiv und Passiv im Gebrauch

Auf den ersten Blick konnte man das Nebeneinander von Aktiv und Passiv fur redundant halten, denn, was immer sich in einem Passivsatz ausdrucken lasst, kann ohne Anderung seiner Geltungsbedingungen in einem Aktivsatz ausgedruckt werden. Aber Fragen der Geltung bestimmen die Wahl geeigneter Ausdrucksmittel nur insofern, als gleicherma?en gelten muss, was man in dieser oder jener Form vorbringt. Jenseits gemeinsamer Geltungsbedingungen weisen Aktiv- und Passivsatze hinreichend wichtige Unterschiede auf, um ihre Koexistenz im Rahmen einer Kommunikationsform zu rechtfertigen.

Durch die Wahl einer aktivischen oder einer passivischen Formulierung konnen Sprecherschreiber bei der sprachlichen Erfassung identischer Ereignisse Akzente setzen, die weit uber stilistische Variation hinausreichen.
  • Aktivsatze - jedenfalls solche, die eine passivische Entsprechung haben - entwerfen die sprachliche Darstellung von Ereignissen "taterzentriert". Ihre semantische Interpretation kulminiert in der Zuweisung der Rolle des Handelnden. Wer diese Form wahlt, stellt klar, dass in jedem Fall die Frage der Verantwortlichkeit im Zentrum der Frage oder der Behauptung steht, die er mit dem Satz au?ert.
  • Passivsatze entwerfen die sprachliche Darstellung von Ereignissen "taterabgewandt". Sehr haufig (nach den Analysen von Brinker 1971 in den Texten des Mannheimer Korpus I in 84 % aller werden -Konstruktionen) verzichten sie ganz auf die Angabe eines Agens.

Dass sich Aktiv- und Passivsatzen in ihrer Darstellungsweise und entsprechend in ihren Verwendungsmoglichkeiten so grundlich unterscheiden, ist im Wesentlichen auf zwei Erscheinungen zuruckzufuhren.

  1. In Passivsatzen kann - von wenigen Ausnahmen abgesehen - relativ zu entsprechenden Aktivsatzen Argumentreduktion vorliegen.
  2. Die Argumentstrukturen der Elementarpropositionen von Aktiv- und Passivsatzen unterscheiden sich.

Ausnahmen

Bei bestimmten Verben wie uberragen, uberlegeb ist eine Agens-Angabe auch bei passivischer Formulierung unverzichtbar und auch die Anzahl der Argumente im Rahmen der jeweiligen Elementarpropositionen identisch.

Das Munster uberragt die Gebaude der Stadt.
Die Gebaude der Stadt werden vom Munster uberragt.
* Die Gebaude der Stadt werden uberragt.

Die Eltern uberlebten Novalis.
Novalis wurde von seinen Eltern uberlebt.
* Novalis wurde uberlebt.

In solchen Fallen verbietet sich auch die Verlagerung der Agens-Angabe in einen Nachtrag.

* Die Gebaude der Stadt werden uberragt, und das vom Munster.
* Novalis wurde uberlebt, und das von den Eltern.

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Autor(en)
Bruno Strecker
Bearbeiter
Elke Donalies
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