Vertiefungstext: Die Bezeichnung 'indirektes Objekt'
Indirektes Objekt, (auch:) Dativobjekt (frz.: complément d'objet indirect
C.O.I., complément d'attribution).
Der Begriff bezeichnet in der traditionellen Grammatik ein sekundäres Komplement
gegenüber dem 'direkten Objekt' als primärem Komplement.
Unter
'direktem Objekt' versteht man, unter Ausklammerung
des Subjekts, ein Komplement, das auf der vom Verb 'direkt' regierten, also mit dem Verb am engsten
verbundenen Valenzposition steht. Diese ist in der Regel eine Akkusativ-Position, die regierte
Nominalphrase steht im Akkusativ. Die Position kann aber auch durch ein dem Akkusativ
gleichwertiges Komplement besetzt sein (vgl. Komplementklassen). Die Akkusativ-Rektion ist die Konkretisierung der
Transitivität des entsprechenden Verbs. Das Akkusativ-Komplement bezeichnet die von
der Verbalhandlung direkt betroffene Entität (Patiens), die meist für die
Vollständigkeit des Prozesses notwendig ist:
(2) Annabel schreibt einen Brief.
Im Gegensatz dazu ist das 'indirekte Objekt' in der Regel ein Dativkomplement mit Zuweisungsfunktion, das den Adressaten oder Nutznießer der vom Verb bezeichneten Handlung benennt. In den meisten Fällen wird dieses indirekte Objekt zusätzlich zum direkten Objekt regiert, und zwar so, dass zunächst die Position des direkten Objektes besetzt sein muss, bevor ein indirektes Objekt auftreten kann:
(1b) Kunibert bestellt einen Kaffee, und zwar seiner Freundin.
>> Kunibert bestellt seiner Freundin einen Kaffee.
Paradoxerweise führt gerade das indirekte Objekt diejenige Entität ein, derentwegen (oder: für die) die Verbalhandlung überhaupt vollzogen wird, also letztlich die Motivation für das Stattfinden des Prozesses:
Die Transitivitätsgrenze verläuft zwischen direktem und indirektem Objekt.
In manchen Fällen ist die Bindung zwischen transitivem Verb und direktem Objekt so eng, dass das Verb das Komplement impliziert, d. h. dass die referierte Handlung ohne genau diese vom direkten Objekt bezeichnete Entität nicht denkbar ist. Dann kann das transitive Verb auch ein indirektes Objekt allein regieren:
>> Annabel schreibt ihrem Freund.
['Schreiben' impliziert, dass man 'etwas' schreibt, in diesem Falle einen Brief.]
Bei den Verben, die ohne Umweg über ein direktes Objekt ein Dativkomplement regieren (helfen, gratulieren, schmeicheln...), könnte man in etlichen Fällen argumentieren, dass das direkte Objekt über die Semantik mit der Verbalhandlung verschmolzen ist, also in ihr inbegriffen ist. Die Stufe der Transitivität würde dann bei der sprachlichen Realisierung sozusagen 'übersprungen'. Es läge dann hier auch ein indirektes Objekt vor, dessen Nutznießer-Qualität sogar besonders deutlich würde:
>> Kunibert hilft seiner Freundin.
Das Anwendungsgebiet des Verbalprozesses kann dann fakultativ über eine Präpositionalphrase eingeführt werden:
Nicht bei allen Verben dieser Klasse ist jedoch eine solche Argumentation ohne logische Zwischenstufe plausibel:
[Jedoch:] Kunibert trifft seine Freundin.
Es können Zweifel entstehen, ob hier nicht doch ein direktes Objekt vorliegt, für das
dann allerdings die Bindung an den Akkusativ aufgehoben wäre. Es sei denn, man geht bei der
gesamten Klasse davon aus, dass es sich um einen besonderen Typus intransitiver Verben handelt, die
ein indirektes Objekt regieren können.
Andere Komplemente, z. B. Genitivkomplemente,
werden gewöhnlich nicht unter dem Begriff 'indirektes Objekt' eingeordnet, wohl deshalb nicht, weil
sie direkten Objekten näher stehen (siehe Sprachgeschichte).
Im Französischen, das ja keine Kasus-Sprache ist, werden die Begriffe (frz.) complément d'objet direct und (frz.) complément d'objet indirect ohne Bezug auf Akkusativ oder Dativ benutzt, obwohl sie diesen Funktionen gleichkommen. Das objet indirect entspricht semantisch seinem deutschen Gegenstück. Allerdings wird die Art der Zuweisung ('objet d'attribution'!) oft mit Hilfe der Präposition genauer bestimmt:
(2') Annabel écrit une lettre à son ami. / Annabel écrit à son ami.
Auch im Französischen können Verben beide Objekte oder ein objet indirect allein regieren, und zwar durchaus abweichend vom Deutschen:
(6b) Je ne lui ai pas demandé. >> Ich habe ihn nicht gefragt.
(7) La croyance se substitue au savoir. >> Glaube ersetzt das Wissen.