Das Affixoid

Affixoide sind Nicht-mehr-Wörter auf dem Wege zum Noch-nicht-Affix. Dass sich aus Wörtern Affixe entwickeln, ist ein häufigeres Phänomen der Sprachgeschichte: So ist z.B. das nominale Suffix -heit aus mhd. heit 'Art und Weise, Beschaffenheit, Eigenschaft, Person' entstanden.

Der Affixoidgedanke nun beruht im Wesentlichen auf der synchronen Beobachtung, dass einige 'affixartige' Wortbildungseinheiten (z.B. -werk in Astwerk, Buschwerk, Laubwerk usw.) eine stärkere Eigensemantik haben, als das Wortbildungsaffixen sonst zugestanden wird, d.h. einerseits Wortstatus haben. (Vgl. zur Eigensemantik der Affixe dagegen den hier vertretenen Ansatz: Das transponierende, das determinierende und das determinierte Wortbildungsaffix.) Den Verfechtern der Affixoidhypothese zufolge sollen Einheiten wie -werk ihrer vermeintlichen Gebundenheit wegen aber nicht als Wörter gelten, also als Einheiten, die in Texten als Wortformen frei vorkommen; ihrer Gebundenheit wegen haben sie andererseits eher Affixstatus. Um diesem Dilemma zwischen Wort- und Affixstatus zu entgehen, wurde in der Forschungslitertaur eine Zwischenkategorie Affixoid konstruiert, die alle Einheiten aufnehmen sollte, die man nicht ganz den Wörtern, aber auch nicht ganz den Affixen zuordnen wollte.

Auf die Problematik des Affixoidgedankens, die bereits Schmidt (1987) ausführlich reflektiert hat, soll hier nicht noch einmal detailliert eingegangen werden. Schmidt (ebd.: 100f) resümiert: "Nach allem, was ich über Affixoide gelesen habe, kann ich dem Begriff jedoch keine besondere Nützlichkeit zuerkennen. Zwar gibt es die Möglichkeit, schwierige Fälle von den leichten abzutrennen und der Entscheidung für die eine oder andere der vorhandenen Kategorien auszuweichen, doch bringt er damit keine Lösung, sondern nur einen Aufschub. Dazu kommt, dass bei dem Versuch, eine Grenze zwischen den Kern- und den Zwischenphänomenen zu ziehen, die Differenzierung so weit getrieben wird, dass am Ende ein recht kompliziertes Bild entsteht, das die angestrebte Vereinfachung oder Erleichterung wieder aufhebt". Teils im Anschluss an Schmidt, teils unabhängig von ihm ist das Erklärungsmodell Affixoid in der neueren Forschung nach eingehender Untersuchung zu Recht weitgehend ad acta gelegt worden, so u.a. von Hansen/Hartmann (1991), Fleischer/Barz (1992 bzw. 1995), Fandrych (1993) und Eisenberg (1998). Zumindest skeptisch ist Günther (in Glück 1993 und 2000). Hansen/Hartmann (1991: 40) plädieren für eine klare Zuordnung zu den beiden vorhandenen Kategorien Wort versus Wortbildungsaffix: "Wenn ein komplexes Wort sich praktisch nicht von einem Kompositum unterscheidet, gibt es keinen Grund anzunehmen, dass es kein Kompositum ist. Wenn das Affixoid hingegen semantisch und funktional nichts mehr mit dem freien Morphem gemein hat, sollte es als Affix bezeichnet werden". Fandrych (1993: 101) schließlich hofft mit seiner gründlichen Untersuchung vermeintlicher Affixoide wie -frei, -reich und -voll gezeigt zu haben, dass "keinerlei zwingende Notwendigkeit für eine solche Kategorie besteht; vielmehr würde diese Kategorie mehr Gemeinsamkeiten verdecken als Erklärungskraft besitzen. Dass diese Bildungen häufig als Paradebeispiel für die Notwendigkeit einer solchen Kategorie genannt wurden (vgl. zuletzt Tellenbach 1985), kann aus dieser Sicht nur wunder nehmen".

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