Er sagte, dass er aus Ulm kommt, komme,
käme oder kommen würde ? — Mit
dass eingeleitete indirekte Redewiedergabe (Teil 1)
Bitte fragen Sie mich etwas Leichteres, möchte man als Grammatiker antworten, denn es
zeigt sich bald, dass die exemplarische Formulierung viel ausblendet, was eine
grundsätzliche Klärung zu berücksichtigen hat. Selbst eine Antwort nur für den konkreten
Fall, gerät unweigerlich komplexer, als man vermuten könnte. Um nicht gleich alle Probleme
auf einmal angehen zu müssen und so mehr zu verwirren als aufzuklären, wird die Titelfrage
deshalb hier nicht rundweg als stellvertretend für alle Fragen aufgefasst, die im
Zusammenhang mit indirekter Redewiedergabe von Interesse sind. Betrachtet werden hier nur
Fälle, in denen festgestellt wird, dass eine 3. Person (er,
sie, es, Herr Krause, mein
Bruder, ...) sagte (und nicht etwa sagt, gesagt hat oder gar meinte, erklärte,
bestätigte, ...), dass dies und dies der Fall ist, sei, wäre, sein würde.
Was darüber hinaus generell zu beachten wäre, wird in zwei weiteren Texten
betrachtet:
- Welche Rolle spielen Person,
Numerus und Tempus? Gilt, was auf er sagte zutrifft,
gleichermaßen auch etwa für ich sagte, du sagst,
wir haben gesagt?
- Wie wirkt sich die Beziehung zwischen dem Adressaten der Originaläußerung
und dem Wiedergebenden aus?
- Die Originaläußerungen selbst können in verschiedenen Tempora (Zeitformen)
gehalten sein. Wie wirkt sich ihr Tempus bei der Redewiedergabe aus?
- Die Feststellung, dass jemand etwas sagte, erfasst dessen
Gesprächsbeitrag völlig neutral. Wirken sich weniger neutrale Beschreibungen
– etwa: er behauptete, er meinte,
er stellte fest, er unterstellte – auf
die Form der Redewiedergabe aus und, wenn ja, wie?
- Gesagtes kann indirekt in Form eines dass-Satzes oder
– unter Anpassung der Personalform: ich zu
er/sie/es – in Form eines normalen Aussagesatzes
erfolgen. Gelten für beide Formen durchweg dieselben Regeln?
- Kann sich, sollte sich eine ausdrückliche Festlegung in der
Originaläußerung – etwa: Ich komme ganz bestimmt –
auf die Form der Redewiedergabe auswirken?
- Bei manchen Verben sind bestimmte Konjunktivformen nicht von
Indikativformen zu unterscheiden oder auch so ungewöhnlich, dass man sich scheut,
auf sie zurückzugreifen. Wirkt sich dies auf den Sprachgebrauch aus?
Bevor man die Frage beantworten kann, ist zunächst zu klären, was überhaupt gefragt
wird, denn tatsächlich kann es sich hierbei um eine von zwei Fragen handeln:
- Wird die Frage von jemand gestellt, der den Originalwortlaut erschließen
will?
- Wird sie von jemand gestellt, der etwas grammatisch korrekt wiedergeben will,
das er zuvor gehört oder gelesen hat, und mithin den Originalwortlaut kennt?
Vom Hörensagen auf Gesagtes schließen
Wie könnte der Originalwortlaut zu den im Titel aufgeführten Formen der Redewiedergabe
gelautet haben? Zu beantworten ist diese Frage nur, wenn man sich von vorn herein darauf
beschränkt, Fälle zu betrachten, in denen der Originalwortlaut so getreu wie möglich
wiedergegeben wird. Wollte man darüber hinaus auch nur sinngemäße Wiedergaben
berücksichtigen und gar noch solche Fälle, in denen der Berichtende bereits Schlüsse aus dem
Gesagten gezogen hat (etwa in dieser Art: "Er sagte damit auch, dass ..."), dann ist von
grammatischer Seite keine Antwort mehr zu erwarten.
Beschränkt man sich auf solche Fälle, in denen eine möglichst wortgetreue grammatische
Umsetzung vorgenommen werden soll, finden sich für die vier Formen kommt,
komme, käme und würde kommen diese
zwölf Kandidaten:
- Ich komme aus Ulm.
- Ich käme aus Ulm.
- Ich würde aus Ulm
kommen.
- Du kommst aus Ulm.
- Du kämest aus Ulm
- Du würdest aus Ulm
kommen.
- Sie kommen aus
Ulm.
- Sie kämen aus Ulm
- Sie würden aus Ulm
kommen.
- Er kommt aus Ulm.
- Er käme aus Ulm.
- Er würde aus Ulm
kommen.
Das Sie ist hier als Form der Anrede zu verstehen, nicht
als Mehrzahl der 3. Person.
Bemerkenswert ist hier auch, dass nur 12 Originaläußerungen in Frage kommen und
nicht etwa 16. Im Fall der 1. Person – ich komme – und
der Anredeform Sie – Sie kommen – lässt
sich dies damit erklären, dass sich hier Konjunktiv und Indikativ nicht unterscheiden. Bei der 2.
Person - du kommest - und der 3. Person - er komme -
trifft dies nicht zu, doch entsprechende Originaläußerungen hätten die Form Du
kommest aus Ulm bzw. Er komme aus Ulm, wären also
Heischesätze (Sätze im Heische-Modus in der Art
von "Das möge Gott verhüten!") und könnten als solche in indirekter Rede nicht in Form
eines mit sagte eingeleiteten dass-Satzes
wiedergegeben werden.
So weit, was den vier Formen der Redewiedergabe
überhaupt zugrunde gelegen haben könnte. Bleibt zu klären, was davon unter welchen Umständen
wie wiedergegeben werden sollte. Auf die Regeln, die sich hierzu in einschlägigen Lehrwerken
finden, sollte man sich dabei nicht blindlings verlassen, denn oft genug wurden diese ohne
hinreichenden Überblick über die Faktoren erstellt, die den Sprachgebrauch bestimmen. Um
ähnlich vorschnelle Verallgemeinerungen zu vermeiden, sei deshalb zunächst versucht, auf
breiter Datenbasis zu erfassen, wie Rede faktisch wiedergegeben wird.
Wiedergegebenes – die Datenlage
Um festzustellen, was bei schriftlichen Äußerungen gängige Praxis ist, ein Blick auf den
Sprachgebrauch, wie er sich in den Textkorpora des Instituts für
Deutsche Sprache manifestiert. Für das Verb kommen ergab eine
Recherche am 1. 12. 2008 diese Häufigkeitsverteilung:
Rang | Ausdrucksform | Frequenz |
1. | komme | 53 |
2. | kommt | 14 |
3. | käme | 12 (8) |
4. | kommen würde | 8 (1) |
Gesucht wurde hier und im Folgenden:
- ausschließlich nach Formen der 3. Person Singular, weil sich zeigte, dass in Texten
nur für die 3. Person eine signifikante Anzahl von Belegen zu finden ist, und weil
kaum anzunehmen ist, dass sich Einzahl und Mehrzahl in dieser Hinsicht
unterscheiden,
und, aus rein praktischen Gründen,
- lediglich nach Belegen, bei den der dass-Satz oder der
daß-Satz nicht weiter als drei Wörter von dem übergeordneten
Verb (sagte) entfernt ist.
Um den Verdacht auszuräumen, die Recherche könnte allzu grob erfolgt sein, sei
darauf hingewiesen, dass die maschinell erhobenen Belege sorgfältig einzeln daraufhin
überprüft wurden, ob sie wirklich einschlägig sind.
Im Fall von komme und kommt kann eindeutig davon
ausgegangen werden, dass in der Originaläußerung ein kommt,
kommst oder komme (als Form der 1. Person, nicht der
3.) vorlag.
Bei käme und kommen würde hingegen musste zunächst der
Kontext ausgewertet werden, und selbst dann ließ sich nicht immer zweifelsfrei feststellen,
wie die Originaläußerung gelautet haben könnte. Einiges spricht dafür, dass nur acht Belegen
für käme ein kommt zugrunde lag. Bei den vier weiteren
Belegen spricht hingegen einiges dafür, dass bereits in der Originaläußerung ein
käme vorlag, vielleicht auch ein kommen würde, was in
der Redewiedergabe zwingend zu berücksichtigen war, denn ein Übergang zu
kommt oder komme hätte die wiederzugebende Information
unzulässig verändert.
Doch urteilen Sie selbst! Hier die insgesamt doch überschaubaren Fundstellen mit
etwas Kontext:
Das Gericht sah es jedoch als erwiesen an, daß die
Polizei das "Beweismittel" untergeschoben hatte. Taylor sagte gestern, daß die Höhe des
Schadensersatzes für ihn als Schock käme. "Ich bin froh, daß die Gerechtigkeit gesiegt
hat", sagte er.
[die tageszeitung, 07.12.1989, S. 7]
Das Wirtschaftsministerium in Düsseldorf bestätigte, über
diese Pläne informiert zu sein. Der Geschäftsführer der Schnell-Brüter-
Kraftwerksgesellschaft (SBK), Günther Theisen, sagte gestern der taz, daß "der
Reaktorblock selbst" für die Lagerung schwach radioaktiven Abfalls in Frage käme. Doch
sei über ein Zwischenlager bisher lediglich allgemein im Rahmen künftig möglicher
Nutzungen für den Brüter diskutiert worden.
[die tageszeitung, 15.06.1991, S.
4]
Außer Susanne und mir wussten nur deren Schwester und
meine damalige Freundin Suse Bescheid. Die sagte aber gleich, dass ein Fluchtversuch für
sie nicht infrage käme. Zweifelten Sie da nicht an Ihrem Fluchtplan?
[die
tageszeitung, 11.06.2007, S. 28]
1997 XF11 hat etwa einen Durchmesser von 1,6 Kilometern.
Der Asteroidenspezialist Jack Hills sagte, daß erstmals ein Objekt dieser Größe der Erde
so nahe käme. "Das ist der gefährlichste, den wir je gefunden
haben.
[Vorarlberger Nachrichten, 13.03.1998, S. D8]
Mehr Geld für die Österreich-Werbung, ein steuerliches
Entlastungspaket für Fremdenverkehrsbetriebe und eine "Qualitätsverbesserung auf allen
Ebenen des touristischen Angebots": Das sind die Rezepte, mit denen Wirtschaftsminister
Johannes Ditz die Tourismusflaute in den Griff bekommen will. Bei einer "Aktuellen
Stunde" im Parlament sagte Ditz gestern allerdings, daß eine von der
Fremdenverkehrswirtschaft verlangte totale Abschaffung der Getränkesteuer derzeit weder
für die ÖVP noch für die SPÖ in Frage käme. Ditz wandte sich gegen ein "Krankjammern"
des Fremdenverkehrs.
[Die Presse, 01.06.1995, Österreich-Werbung wird
aufgewertet]
Denn für den orthodoxen Juden gilt das Gebot, am siebten
Tag der Schöpfung, dem Tag des jüdischen Gottesdienstes, jegliche Arbeit und alles
schöpferische Tun - also auch das Orgelspiel - zu unterlassen. Das jüdische Frankfurt
sei für seine Liberalität so bekannt, sagte Michaela Rychla, daß kaum ein Rabbiner gerne
hierher käme. Bei der Führung erfuhren die Teilnehmer auch einiges über die Geschichte
der Synagoge.
[Frankfurter Rundschau, 01.04.1999, S. 6]
"Mein Kollege wurde angerufen und ihm wurde gesagt, dass
bei der Firma Eberhard ein Unfall passiert sei. Dann rief man nochmals an und mein
Kollege sagte, dass er gleich käme. Beim dritten Anruf war klar, dass nur das Band lief
- mein Kollege war ja schon unterwegs", schildert Pruckner den Ablauf.
[Kleine
Zeitung, 17.11.1999, Betriebsunfall in St. Josef - der Arzt erschien aber
nicht]
Der Europarat sei in der derzeitigen Phase der
demokratischen Entwicklung Russlands die wichtigste Institution, sagte Jastrschembski.
Moskau droht, dass im Falle eines Ausschlusses auch keine Ratsdelegation mehr nach
Tschetschenien käme. Die Parlamentarische Versammlung des Europarates wird Anfang April
erneut über Tschetschenien beraten.
[Berliner Zeitung, 18.03.2000, S.
8]
SPD-Generalsekretär Franz Müntefering rechnet damit, dass
die Union CSU-Chef Edmund Stoiber zum Kanzlerkandidaten nominieren wird. Der "Welt"
sagte er, dass der bayerische Ministerpräsident der SPD gelegen käme. "Ich kann mich
über einen Kandidaten Stoiber nur freuen: Er wird die Mitte in Deutschland nicht
besetzen", so Müntefering.
[Berliner Zeitung, 17.08.2001, S. 5]
Dean warf den rumänischen Behörden vor, der
UN-Administration UNMIK nicht alle Informationen zur Verfügung gestellt zu haben. Der
Sonderermittler sagte auch, dass ein Schadenersatz an die Hinterbliebenen der Opfer und
die beiden Verletzten in Frage käme.
[dpa, 17.04.2007, Rumänische
Polizisten haben zwei Demonstranten im Kosovo getötet]
Gefunden wurden insgesamt zwölf Belege, doch da bei dreien der Wortlaut und die
Probleme mit der Bewertung nahezu identisch waren, wurden zwei der Belege nicht eigens
aufgeführt.
Im Fall von kommen würde kann bei sieben Fundstellen mit einiger
Sicherheit davon ausgegangen werden, dass in der Originaläußerung die Futurform
kommen werde – als Form der 1. Person, nicht der 3. –
oder kommen wird vorlag und nicht etwa eine Verwendung der
würde-Form als Konjunktiv-Ersatz.
Die Tendenz zur Konjunktiv-Präsens-Form, die sich hier zeigt, bestätigt sich eindeutig,
wenn man neben komm- noch Belege zu Formen weiterer Verben in
wiedergegebener Rede berücksichtigt:
Rang | Ausdrucksform | Frequenz | 1. | nehme | 12 | 1. | nehmen würde | 3 (2) | 3. | nähme | 2 | 4. | nimmt | – |
| Rang | Ausdrucksform | Frequenz | 1. | gehe | 30 | 2. | geht | 13 | 3. | gehen würde | 3 | 3. | ginge | 3 |
| Rang | Ausdrucksform | Frequenz | 1. | stehe | 42 | 2. | steht | 7 | 3. | stehen würde | 1 | 3. | stünde | 1 |
|
Rang | Ausdrucksform | Frequenz | 1. | erwarte | 30 | 1. | erwartet | 2 | 3. | erwartete | 1 | 3 | erwarten würde | 1 |
| Rang | Ausdrucksform | Frequenz | 1. | glaube | 4 | 2. | glaubt | 3 | 3. | glaubte | 0 | 3. | glauben würde | 0 |
| Rang | Ausdrucksform | Frequenz | 1. | könne | 415 | 2. | könnte | 98 (64) | 3. | kann | 73 | 4. | können würde | 1 |
|
Rang | Ausdrucksform | Frequenz | 1. | trage | 5 | 2. | tragen würde | 1 | 3. | trägt | – | 3. | trüge | – |
| Rang | Ausdrucksform | Frequenz | 1. | habe | 1834 | 2. | hätte | 208 (98) | 3. | hat | 181 | 4. | haben würde | 1 (1) |
| Rang | Ausdrucksform | Frequenz | 1. | sei | 2312 | 2. | ist | 202 | 3. | wäre | 99 (61) | 4. | sein würde | 10 (7) |
|
Die Angaben in Klammern betreffen den Anteil an Belegen, die nicht sicher
einer Indikativ-Form in der Originaläußerung zugeordnet werden können.
Insgesamt fanden sich bei diesen – natürlich nicht
umfassenden, doch wohl einigermaßen repräsentativen – Recherchen nahezu zehn mal so
viele Verwendungen des Konjunktiv Präsens wie Verwendungen des Indikativs. Konjunktiv
Präteritum wurden lediglich in knapp 4 % aller Belege eindeutig zur Wiedergabe einer
Indikativform in der Originaläußerung gebraucht, und die umgangssprachlich häufig
anzutreffende Ersatzform mit würde brachte es nicht einmal auf 0,3
%.
Die vergleichsweise sehr geringe Präsenz von Konjunktiv-Präteritum-Formen dürfte bis zu
einem gewissen Grad auch darauf zurückzuführen sein, dass diese Formen altertümlich und zum
Teil sogar verschroben klingen, vor allem aber darauf, dass sie bei den sog. schwachen
(auch: regelmäßigen) Verben gar nicht verfügbar sind. Da in solchen Fällen verbreitet der
Konjunktiv Präsens als Alternative empfohlen wird, ist wohl davon auszugehen, dass manche
Konjunktiv-Präsens-Form "an sich" ein Fall für den Konjunktiv Präteritum wäre.
Wie Rede wiedergeben?
Ich komme aus Ulm
Nur, wenn in der Originaläußerung eine Indikativ Präsens Form vorliegt (Ich
komme, bin, habe ... , Du kommst, bist, hast ... oder
Er/Sie/Es kommt, ist, hat, ...), sind prinzipiell alle vier Formen der
Wiedergabe möglich, wobei es sich dann allerdings nicht immer um einfache Varianten handelt,
sondern zu berücksichtigen bleibt,
- wie der Wiedergebende selbst die Aussage einschätzt,
- ob die Redewiedergabe nur diese eine Aussage zum Gegenstand hat oder
fortgeführt wird.
Sieht der Wiedergebende keinen Grund, an der Richtigkeit der Aussage zu zweifeln, kann
er gleichermaßen die Indikativform er kommt oder die Konjunktivform
er komme wählen, wobei letztere vorzuziehen ist, wenn die
Redewiedergabe noch fortgeführt werden soll, denn in diesem Fall dient die Konjunktiv-Form
dazu, Anfang und Ende der Redewiedergabe kenntlich zu machen:
Er sagte, dass er aus Ulm komme. Er
sei über drei Stunden unterwegs gewesen und habe
einen Bärenhunger.
Bei einer Wiedergabe im Indikativ
Er sagte, dass er aus Ulm kommt. Er
ist über drei Stunden unterwegs gewesen und hat
einen Bärenhunger.
wären die auf kommt folgenden Sätze als Feststellungen des Sprechers
selbst zu verstehen.
Legt man als Wiedergebender Wert darauf, ausdrücklich zu betonen, man lege sich nicht
darauf fest, dass die Originaläußerung sachlich zutreffend sei, kann man die
Konjunktiv-Präteritum-Form er käme oder die sog. Ersatzform er
würde kommen wählen, wobei letztere von manchen normbewussten Sprachteilhabern
als weniger gelungen betrachtet wird. Wenn jemand in dieser Weise jede Festlegung auf die
Richtigkeit der Originaläußerung vermeidet, liegt der Verdacht nahe, dass er deren Zutreffen
bezweifelt, doch auch darauf legt er sich durch die Wahl der Konjunktiv-Präteritum-Form so weit nicht eindeutig fest.
Ich käme aus Ulm
Bei der Wiedergabe von Ich käme aus Ulm ist zu bedenken, dass die
Originalaussage auf zweierlei Weisen zu verstehen sein kann:
- Der Sprecher könnte, wie dies vor allem im Süden Deutschlands nicht unüblich
ist, die Konjunktiv-Präteritum-Form gewählt haben, weil er sich zurückhaltend ausdrücken
wollte, ganz so wie man etwa auch sagen kann: "Ich wär' jetzt so weit!" statt zu sagen:
"Ich bin jetzt so weit!"
- Die Äußerung könnte im Rahmen der Planung künftiger Handlungen, etwa einer
Reise, vorgebracht worden sein, vielleicht so: "Wir könnten das so machen: Ich käme aus
Ulm. Wir träfen uns gegen 10 Uhr in Augsburg und führen dann gemeinsam nach
München."
Ist die Äußerung auf die erste Weise zu verstehen, gilt dasselbe wie für ich
komme. Ist sie jedoch als bloße Überlegung zu verstehen, muss bei der
Wiedergabe zwingend entweder auch die Verbform gewählt werden, die in der Originaläußerung
vorlag oder aber die Form würde kommen, wobei letztere vielfach als weniger
gelungen betrachtet wird.
Ich würde aus Ulm kommen
Für den dritten Fall – Ich würde aus Ulm kommen – gilt
dasselbe wie für die Interpretation (ii) von Ich käme aus Ulm. Eine
Interpretation wie (i) bei Ich käme aus Ulm kann hingegen ausgeschlossen
werden.
Von Du kommst bis Er würde kommen
Die Fälle 4 bis 12 in der obigen Liste
scheinen auf den ersten Blick vielleicht etwas seltsam, sind aber durchaus nicht
ungewöhnlich. Schließlich muss nicht jeder, dessen Rede man – direkt oder indirekt
– wiedergeben will, von sich selbst gesprochen haben. Er kann ebenso seinen
Gesprächspartner angesprochen (Du kommst ..., Sie kommen ...) oder von
einer dritten Person (Er kommt ... ) gesprochen haben. In diesen Fällen
bezieht sich das er bei indirekter Redewiedergabe nicht auf den Sprecher
der Originaläußerung, sondern eine weitere Person. Da es aber im Deutschen keinen Ausdruck
für eine 4. Person gibt, wird man dies nur erkennen, sofern man nicht den Überblick über die
Personen verloren hat, die gesprächsweise eingeführt wurden. Für die Wahl der Verbform im
dass-Satz bleibt dies freilich ohne Belang: Für die Fälle 4, 7 und 10
gilt insoweit dasselbe wie für ich komme, für die Fälle 5, 6, 8, 9, 11 und
12 dasselbe wie für ich käme – einschließlich der Anmerkung zur
Verwendung der würde-Form.
Fazit
- Liegt in der Originaläußerung eine Indikativ-Form vor, ergeben sich für die Redewiedergabe drei
Möglichkeiten:
- Da auf die wiedergegebene sprachliche Handlung selbst neutral mit
sagte Bezug genommen wird, kann der Indikativ beibehalten
werden, ohne dass sich der Sprecher oder Schreiber dadurch in der Sache dem
anschlösse, was die Originaläußerung besagte. Dies gilt jedoch nur für den Fall,
dass die Wiedergabe auf einen Satz beschränkt bleibt. Sind mehrere Sätze
wiederzugeben, wird schon der zweite als Originaläußerung des Sprechers
verstanden werden, wenn er im Indikativ gehalten ist.
Wie die Recherche
in den Textkorpora des Instituts für Deutsche Sprache ergab, wird jedoch bei
schriftlicher Wiedergabe der Indikativ nur in etwa 9,5 % aller einschlägigen
Fälle bevorzugt. Bei mündlichen Äußerungen dürfte der Anteil des Indikativs um
einiges höher liegen, genaue Daten sind hierzu jedoch sehr schwer zu
erheben. - Durchweg möglich und in der Wirkung – zumindest in Texten
– meist neutral ist eine Wiedergabe mit Konjunktiv Präsens (er
komme, sie trage, es liege). In
den Textkorpora, die hier exemplarisch ausgewertet wurden, lag der Anteil dieser
Konjunktivform bei etwa 90,5 %. Die Einschränkung auf "meist" ist erforderlich,
weil diese Form bei so genannten schwachen (auch: regelmäßigen) Verben anstelle
einer nicht erkennbaren Konjunktiv-Präteritum-Form verwendet werden kann, um
eben das zu leisten, was sonst mit dieser Form zu erreichen ist. Bei mündlichen
Äußerungen ist jedoch damit zu rechnen, dass die Verwendung der
Konjunktiv-Präsens-Form in informellen, eher alltäglichen Kontexten als
"gehoben" und insofern etwas gestelzt wirken kann.
- Aus rein grammatischer Sicht völlig korrekt ist auch die Verwendung
der Konjunktiv-Präteritum-Form, doch diese wirkt nur dann völlig neutral, wenn
sie erkennbar eine ebensolche Form in der Originaläußerung wieder aufnimmt. Ist
dies nicht der Fall, kann sie – zu recht oder zu unrecht, das hat man als
Sprecher oder Schreiber nicht unter Kontrolle – als Distanzierung des
Wiedergebenden vom Wiedergegebenen betrachtet werden. Er geht damit nicht so
weit, das Wiedergegebene als sachlich unzutreffend darzustellen, doch er stellt
ausdrücklich fest, dass dieses nicht als erwiesen zu betrachten ist. Es ist vor
allem dieses ausdrückliche Feststellen, das bei der Redewiedergabe den
Unterschied zwischen Indikativ Form, Konjunktiv-Präteritum-Form und
Konjunktiv-Präsens-Form ausmacht, denn zu einer Festlegung auf die sachliche
Richtigkeit des Wiedergegebenen kommt es in keinem Fall.
- Insgesamt kann festgehalten werden, dass man als Sprecher oder
Schreiber nie daneben liegt, wenn man die Form des Konjunktiv Präsens wählt, um
eine Indikativ-Form in indirekter Rede wiederzugeben.
- Aus Wiedergegebenem die Originaläußerungen zu rekonstruieren ist ganz
einfach, wenn
- das Subjekt des dass-Satzes die Form einer Nominalphrase oder einer Pronominalphrase (etwa die
Mannschaft, das alte Gebäude, die gesamte
Belegschaft, dieselbe, jenes,
dieser) hat, sofern letztere nicht gerade
er, sie oder es lautet
- das Verb des dass-Satzes entweder im Indikativ oder
im Konjunktiv Präsens gehalten ist.
Das Verb in der Originaläußerung kann unter diesen Voraussetzungen nur im
Indikativ gehalten gewesen sein. So ist zum Beispiel, ausgehend von
Die Sprecherin des Regierungspräsidiums sagte, dass ein
Abriss des denkmalgeschützten Hofes nicht zulässig ist/sei.
als Originaläußerung eindeutig zu erschließen:
Ein Abriss des denkmalgeschützten Hofes ist nicht
zulässig.
- Schwieriger kann sich die Aufgabe gestalten, wenn
- das Subjekt des dass-Satzes er,
sie oder es lautet,
oder - das Verb des dass-Satzes im Konjunktiv Präteritum
gehalten ist.
Im Fall (c) kann er, sie oder
es in der Originaläußerung sechs verschiedene Entsprechungen haben:
ich, Du, Sie,
er, sie und es. Erst die Auswertung
des Kontextes ermöglicht hier die Bestimmung der korrekten Entsprechung.
Im
Fall (d) könnte dem Konjunktiv Präteritum in der Originaläußerung ein Indikativ oder ein
Konjunktiv Präteritum entsprochen haben. Auch hier hilft meist eine Auswertung des
Kontextes weiter, doch diese kann sich unter Umständen sehr viel schwieriger erweisen
und manchmal doch nicht hinreichen, weil es dabei nicht genügt, genau darauf zu achten,
welche Personen bereits gesprächsweise eingeführt wurden, sondern auch noch allgemeines
Weltwissen und spezielles Hintergrundwissen über die Sprecher bzw. der Schreiber der
Originaläußerung und der Wiedergabe erforderlich werden können.