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Nicht immer teilen alle Elemente einer Wortklasse sämtliche Merkmale, d. h. manchmal gibt es neben einem prototypischen Kernbestand auch eingeschränkte Vorkommen. Die Sprachwissenschaft geht beispielsweise davon aus, dass Adjektive nicht immer steigerbar sind oder überhaupt flektiert werden. Adjektive mit unbetontem Vollvokal im Auslaut (z. B. prima, mini) flektieren allein aus lautlichen Gründen nicht. Nachfolgend geht es um Adjektive, die aus anderen Sprachen ins Deutsche übernommen werden (wie tough aus dem Englischen oder beige aus dem Französischen). Daneben finden sich — vergleichsweise selten — imitierende Wortschöpfungen, die wie Lehnwörter klingen (z. B. picobello). Durch Entlehnungen können Sätzen entstehen wie:
Das konstruierte Beispiel zeigt, dass zumindest die hier verwendeten Lehn-Adjektive flektieren könnten, wenn sie attributiv (also vor einem Nomen, das sie näher beschreiben) auftreten. Und genau diese Anpassung an Kasus, Numerus und Genus des Nomens ist im Deutschen üblich. Aber gibt es nicht auch adjektivische Importe, die eben nicht flektieren? Glaubt man präskriptiven Beschreibungen, so gilt das z. B. für aus Fremdsprachen abgeleitete Farbadjektive (z. B. beige, rosa, vgl. auch Leckerer Kuchen oder lecker Schnittchen? – Zur unflektierten Verwendung eines attributiv gebrauchten Adjektivs). Zu klären ist also: Finden wir in der Sprachrealität Tendenzen bei der Flexion (Beugung) entlehnter Adjektive und lassen sich dabei Muster erkennen? Eingrenzend betrachten wir prototypisch ausgewählte Fälle.
Das OWID-Neologismenwörterbuch beschreibt Adjektiv-Neubildungen korpusgestützt dahingehend, ob sie deklinierbar sind oder nicht. Dort finden sich u.a. folgende deklinierbare Adjektive englischer Herkunft: metrosexuell (im Englischen: metrosexual), nice, stylis(c)h und vegan.
Andere aus dem Englischen entlehnte Adjektive listet das Neologismenwörterbuch als nicht deklinier- und steigerbar, darunter all-inclusive und politically correct. Beide werden im Deutschen unverändert und oft in prädikativer Stellung (also grundsätzlich unflektiert) verwendet. Hinzu kommen reloaded und to go, die beide üblicherweise nach dem Nomen, auf das sie sich beziehen, auftreten. Das Adjektiv retro flektiert, mutmaßlich aufgrund seiner vokalischen Endung, ebenfalls nicht. Weiterhin wird unplugged aufgeführt, eine adjektivisch verwendete Partizipform des Verbs (to) plug. Auf diese adjektivischen Derivationen (Ableitungen) aus Verben gehen wir im Abschnitt Englische Verben im Partizip noch ein.
Als Datenbasis dient das weltweit größte Korpus geschriebener deutschsprachiger Texte, das Deutsche Referenzkorpus (DeReKo). Es enthält überwiegend redaktionell bearbeitete Schriftsprache, in geringerem Umfang auch informelle Texte aus Social Media, Wikipedia o.Ä. Gesprochen-umgangssprachlich eventuell variierender Sprachgebrauch sich damit also nicht beurteilen.
Erste Korpusrecherchen deuten darauf hin, dass entlehnte Adjektive wie cool und tough (das mittlerweile als taff auch komplett eingedeutscht ist), die auf einen Konsonanten enden, bis auf wenige Ausnahmen problemlos flektiert werden. Hier fällt die lautliche bzw. morphosyntaktische Anpassung offenkundig leicht. Unsicherheiten scheint es in anderen, nachstehend untersuchten Fällen zu geben.
Wir betrachten zunächst aus dem Englischen entlehnte Adjektive, die auf "-y" enden. Diese scheinen üblicherweise nicht zu flektieren, Wörter wie easy, sexy, happy, crazy, trendy bleiben in pränominaler Stellung unverändert. Insbesondere bei easy fällt übrigens auf, dass auch die charakterisierten Nomina häufig aus dem Englischen entlehnt sind (easy Shopping, easy Stuff etc., außerdem in komplett importierten Fügungen wie Easy Listening, Easy Reading usw.).
Das seit den 1970er/80er Jahren belegbare trendy ist gewissermaßen ein Sonderfall, weil es mit ganz ähnlich lautender Konkurrenz zu kämpfen hat: Ungefähr zeitgleich zu seinem Aufkommen im Deutschen verbreitet sich das vom (bereits viel früher eingewanderten) Nomen Trend abgeleitete trendig als eigenständiges Adjektiv. Vermutlich weil hier nicht die ungewohnte vokalische Endung den Einsatz gängiger adjektivischer Flexionsmuster erschwert, integriert sich trendig erkennbar nahtloser für die Charakterisierung von Gattungs-, Stoff- und Eigennamen. Die nachfolgende Grafik (anklickbar zum Vergrößern) visualisiert satzinterne Verwendungen von trendy vs. trendige/trendiger/trendiges/trendigem/trendigen unmittelbar vor einem Nomen (z. B. trendy Jeans, trendige Mode) und verdeutlicht, dass die flektierten Formen von trendig dem attributiven, pränominal verwendeten trendy frequenzmäßig seit ca. Mitte der 1990er Jahre klar den Rang ablaufen.
Parallel dazu wird — auf deutlich niedrigerem Frequenzniveau — mit alternativen Varianten experimentiert:
Die oben erwähnten entlehnten, mutmaßlich indeklinablen Farbadjektive mit Vokalendung (lila) oder mit dem stimmhaften Frikativ [ʒ] im Auslaut (orange) erhalten, falls dann doch flektiert werden soll, zunächst ein auslautendes "-n", an das sich die Flexionssuffixe "-e", "-er", "-es" usw. wie im Deutschen gewohnt anhängen lassen (z. B. ein lilanes Hemd, rosane Gardinen, der orangene Judogürtel). Die folgenden Beispiele zeigen, dass dabei unterschiedliche Formen parallel gebraucht werden, z. B. orangen und orangenen:
Nachfolgend überprüfen wir für ausgewählte Farbadjektive ihren attributiven Gebrauch vor Nomina. Dazu analysieren wir jeweils Vorkommen der unflektierten Form (z. B. türkis) vs. der flektierten Formen (türkise, türkiser, türkises, türkisem, türkisen etc.) unmittelbar vor einem Nomen innerhalb eines Satzes. Um Verzerrungen durch Eigennamen wie Pink Panther, Rosa Luxemburg oder Orangene Revolution zu vermeiden, fallen großgeschriebene Adjektive aus der Zählung heraus (was andererseits Verwendungen an Satzanfängen ebenfalls ausschließt).
Farbadjektiv | unflektiert (absolut) | flektiert (absolut) | flektiert (Anteil) |
rosa | 71187 | 589 | 0,8% |
lila | 22975 | 223 | 1,0% |
terrakotta | 2 | 1 | 33,3% |
beige | 5087 | 9464 | 65,0% |
orange | 18961 | 36388 | 65,7% |
anthrazit | 4 | 30 | 88,2% |
pink | 1648 | 15326 | 90,3% |
violett | 456 | 28268 | 98,4% |
türkis | 244 | 15599 | 98,5% |
purpur | 45 | 4436 | 99,0% |
Auf den ersten Blick wird deutlich, dass auch entlehnte Farbadjektive grundsätzlich flektiert gebraucht werden, allerdings abhängig von ihrer Stammendung in abgestufter Rangfolge: Die vokalisch endenden rosa und lila erscheinen pränominal überwiegend ohne Endungsmarkierung. Der einzige Nachweis von terrakottanen Fassaden stammt aus einem konstruierten Beispiel und angesichts der niedrigen Belegzahl hat unsere Analyse für diese Farbe bestenfalls anekdotischen Charakter. Flexionsformen von beige und orange haben sich dagegen mittlerweile etabliert. Die untersuchten Lehn-Farbadjektive mit anderer konsonantischer Endung tendieren klar zur Flexion.
Auf Basis der ermittelten Frequenzen lassen sich Zusammenhänge zwischen Auslaut und Flexion der untersuchten Farbadjektive bestimmen. Dafür fassen wir die Belege in drei Klassen zusammen: (1) Adjektive mit dem Vokal [a] im Auslaut (2) Adjektive mit dem stimmhaften Frikativ [ʒ] im Auslaut (3) Adjektive mit Konsonant im Auslaut.
Die statistische Auswertung bestätigt mit hoher Signifikanz (p-Wert < 2,22e-16) und Effektstärke (Assoziationsmaß Phi-Koeffizient Cramérs V: 0,8236339): Auf [a] endende entlehnte Farbadjektive (lila, rosa, terrakotta) tendieren zur unflektierten Form. Entlehnte Farbadjektive mit dem stimmhaften Frikativ [ʒ] im Auslaut (beige, orange) werden eher flektiert. Auf einen anderen Konsonant endende Farbadjektive (anthrazit, pink, violett, türkis, purpur) weisen einen nochmal höheren Zusammenhang mit Flexionsgebrauch auf.
In den vergangenen Jahrzehnten haben auch englische Verben in ihrer Partizip-Form unverändert den Weg ins Deutsche gefunden. Für unplugged und reloaded vermerkt das OWID-Neologismenwörterbuch den Verzicht auf Flexionsformen:
Aber es finden sich Ausnahmen beim Gebrauch vor dem Nomen:
Während des Integrationsprozesses, d. h. bis sich das Fremdwort in Aussprache, Flexion und Schreibung dem Deutschen angepasst hat, können offenkundig mehrere Varianten nebeneinander existieren, vgl. Downgeloadet oder gedownloadet – Wie werden Verben aus dem Englischen eingedeutscht?. Anpassungen finden üblicherweise nicht von heute auf morgen statt und solange einzelne Ausprägungen nur niederfrequent auftreten, fallen empirische Aussagen schwer, ob, wann und in welcher Form sie tatsächlich Eingang in die deutsche Sprache finden.
Grundsätzlich sind die Regeln klar: Das Partizip II wird nach dem Muster "ge-" + Partizipialstamm + "(e)n/(e)t" gebildet. Viele Partizipien aus englischen Verben nutzen im Deutschen entsprechend das heimische Zirkumfix "ge-"…"-t". Für einen ersten Überblick bietet sich hier das experimentierfreudige Internet an: Das Parsed German Web Corpus (sdeWaC) mit Daten aus 2006 bzw. das etwas später zusammengetragene Deutsche Corpus of the Web (DeCoW16) enthalten Adjektiv-Nomen-Paare wie einen meistgeposteten Kommentar, einen meistgepiercten Mann oder die schlechtgetimten Schockeffekte. Schreibvarianten lassen sich — vermutlich besonders in einer ersten Gewöhnungsphase — beobachten, wenn das englische Ursprungsverb mit einem (stummen) "-e" endet (to pierce, to time etc.); wir finden dann Eindeutschungen, die mit der englischen Endung "-ed" (oder gar "-edt") hantieren. Das Verb to tune erscheint darüber hinaus durch die Kombination mit zusätzlichen Präfixen als bemerkenswert produktiv: So wird eine Maschine in ungetuneden Zustand versetzt, jemand arbeitet mit aufgetunter Motorsäge oder fährt einen getunedten Pickup. Fachsprachlich (Informatik) ist in den Webkorpora z. B. von einem geshareden Account oder einem gesharedten PCI-Slot die Rede, aber auch ein unflektierter geshared Gruss tritt auf. Fake News werden auf Deutsch zu gefakten Nachrichten, aber wir entdecken auch einen semi-gefakten Heiratsantrag, gefakete Sachen sowie gefakede Auktionen.
Ein Blick auf die Konsolidierung der unterschiedlichen Schreibungen, hier am Beispiel von gefakt/gefaket/gefaked, zeigt, dass sich über einen längeren Zeitraum hinweg die orthografisch korrekte Form gefakt sowohl flektiert als auch unflektiert durchsetzt. Wir betrachten das jetzt wieder im schriftsprachlichen und zeitlich breit aufgestellten DeReKo:
Und selbst im anglizismenreichen Hip-Hop-Jargon wird die normgerechte Schreibung offenkundig problemlos angenommen:
Aus anderen Sprachen übernommene Wortschatzerweiterungen werden im Zweifelsfall zunächst vorsichtig gebraucht, d. h. erst nach einer gewissen Gewöhnungsphase an morphosyntaktische Systematiken der Zielsprache angepasst. Viele Partizipformen beispielsweise zeigen — zumindest in freier Wildbahn, d. h. in nicht professionell erstellten Texten — Mischformen wie getunt/getuned oder downgeloadet/gedownloadet bzw. sind (noch) zu selten für eine generalisierende Analyse. Es darf vermutet werden, dass sich Adjektive, die auf Vokale enden, phonologisch umständlicher in die Flexionsmuster des Deutschen integrieren lassen als konsonantisch endende Importe und daher tendenziell unflektiert bleiben.
Eine mögliche Anpassungsstrategie lässt sich bei Farbbezeichnungen wie rosa erkennen: Vielleicht aus der Gewöhnung heraus, dass deutsche Farbadjektive pränominal üblicherweise flektieren, versuchen wir auch bei Entlehnungen die Flexionsendungen "-e", "-er", "-es" usw. anzuhängen. Kommt uns dabei eine vokalische Stammendung in die Quere, kann diese mit einem "-n" zunächst kompatibel gemacht und die neue Wortform problemlos gebeugt werden (rosane, rosaner, rosanes usw.). Das geschieht schriftsprachlich allerdings (noch?) sehr selten. Die ebenfalls auf einen ungewohnten Laut endenden Farbbezeichnungen beige und orange sind da bereits einen Schritt weiter.