Die Präverbfügung

Unfeste Verben wie abstehen, ansehen, vorgehen werden in der Forschungsliteratur nach wie vor recht unterschiedlich interpretiert: Sie werden als Produkte der Präfigierung, der Komposition, der Zusammenrückung oder einer eigens für sie angesetzten Wortbildungsart "Konstitution" angesehen; ihre Ersteinheiten werden als Präfixe, Präfixoide, Partikel oder Wörter verstanden. Die Vorschläge der Forschungsliteratur sind aber wenig stimmig (vgl. ausführlich Donalies 1999c):

  • Verben wie abstehen können nicht den Präfixverben zugeordnet werden, wenn Präfixe wie üblich als immobil definiert werden, d.h. per definitionem niemals vom Verb getrennt werden, sondern immer davor stehen (daher: Prä(!)fix). Vgl. Das Präfix. Die fraglichen Einheiten dagegen werden in vielen Realisierungen vom Verb getrennt, z.B. seine Ohren stehen ab, er sah sie nie wieder an, die Uhr ging um Stunden vor.
  • Das Erklärungsmodell Affixoid wird hier als nicht notwendig betrachtet. Es gibt keinen Grund, es eigens für die fraglichen Verben wieder aufleben zu lassen. Vgl. Das Affixoid.
  • In der neueren Forschung hat sich weitgehend der Begriff Partikelverb durchgesetzt. Es wird unterschieden zwischen Präfixverben einerseits (z.B. befragen) und Partikelverben andererseits (z.B. anfragen). U.a. Risch (1995: 13), Eisenberg (1998: 254) und Günther (in Glück 2000: 512) differenzieren ausschließlich nach dem Kriterium Unfestigkeit und dem damit verbundenen Kriterium Hauptakzent. Dies hat den Vorteil, dass eine "formale Unterscheidung der Partikel- von den Präfixverben [...] problemlos möglich ist (Eisenberg 1998: 245). Nachteilig an dieser Grenzziehung ist jedoch, dass unbetonte, syntaktisch immobile Ersteinheiten wie in Sie durchdenkt das Problem den Präfixen zugeordnet werden müssen, obwohl sich eine Zuordnung zu Einheiten wie in Sie arbeitet das Buch durch vor allem aus semantischen Gründen anbieten würde. Auch ist verwirrend, dass eine Einheit wie vor in Vordach etwas wesentlich anderes sein soll als in vorgehen, nämlich einmal ein Wort, einmal eine (unselbständige) Partikel.
  • Werden Einheiten wie an als Wörter verstanden, liegt offenbar nahe, Bildungen mit ihnen als Komposita zu bezeichnen. Komposita bestehen aus Wörtern und/oder Konfixen. Komposita haben aber wie alle Wortbildungsprodukte prinzipiell keine syntaktisch mobilen Einheiten. Vgl. Die Komposition. Die fraglichen Verben jedoch sind syntaktisch mobil.
  • Weil Derivation und Komposition untrennbare Wörter bilden, fallen also "auch Partikelverben aus diesem Modell heraus und müssen als eigenständige Wortbildungsform angesehen werden" (Fehlisch 1998: 224). Diese eigene Wortbildungsform nennt Thurmair (1996) nach Weinrich (1993) "Konstitution". Zur Konstitution rechnet Thurmair verschiedene Arten von Verbklammern, so u.a. "Grammatikalklammern" (kann-verstehen) oder "Lexikalklammern" (stelle-einen Antrag). Fleischer (1996: 47) hält die Einbeziehung von Wortgruppen in die Wortbildung für ein Problem: "Die Abgrenzung zur freien wie auch zur phraseologischen Wortgruppe bleibt ziemlich offen. Der Gegenstand der verbalen Wortbildung weitet sich in unübersichtlicher Weise aus". Der Wortbegriff müsste demnach neu bestimmt werden.

Verben des Typs abstehen passen also in keine der bisherigen Wortbildungskategorien. Ihre syntaktische Trennbarkeit kollidiert immer mit dem Wortbegriff. Daher werden Verben dieses Typs hier als syntaktische Gefüge analysiert. Dies legt ja auch schon das Modell der "Konstitution" nahe. Mit Zifonun (1973) werden solche Verben Präverbfügungen genannt. Präverbfügungen bestehen aus einem Verb und einem Wort in der Funktion eines Präverbs. Der Terminus Präverb ist ähnlich zu verstehen wie der Terminus Adverb; Prä- wie Adverbien begleiten das Verb. Dass Präverbfügungen z.B. im Infinitiv zusammengeschrieben werden (abstehen), ist kein Gegenargument. Vgl. Orthografie und Wortbildung. Die Präverbfügungen werden hier als Zwischenphänomene zwischen Wortbildung und Syntax gestellt. Sie gehören weder zur Wortbildung noch zur Syntax.

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