Orthografie und Wortbildung

Wortbildung ist als die Bildung von Wörtern aus vorhandenem Sprachmaterial. Durch Wortbildung entstehen grundsätzlich Wörter. Wörter werden definiert als abstrakte Einheiten, die in Texten als Wortformen realisiert werden, sie kommen als Wortformen frei vor. Freies Vorkommen definiert sich über die Grafie: Einheiten zwischen Leerzeichen gelten als frei vorkommend. Vgl. Das Wort.

Diese Definition ist im Großen und Ganzen unproblematisch. Im Deutschen korrelieren Orthografie und Wortbegriff. Die als Wörter wahrgenommenen Wortbildungsprodukte werden üblicherweise auch zusammen geschrieben, z.B. Wildpark (vgl. dagegen u.a. die englischen compounds, z.B. game park). Nur gelegentlich, möglicherweise unter angloamerikanischem Einfluss, finden sich Verstöße gegen die amtliche Regelung, z.B. Super Sommer Spar Menü (Plakatwerbung von McDonalds, August 1999). Vgl. Die Besonderheiten der Kompositaschreibung. Diese werbewirksamen Verstöße sind allerdings eindeutig Systemverletzungen und als solche unproblematisch für eine Definition. Vgl. System und Norm in der Wortbildung.

Unproblematisch für die Definition sind auch systematische Schreibgewohnheiten und -vorlieben. Die derzeitige amtliche Regelung lässt hier relativ großzügigen Spielraum: So kann extrafröhlich oder extra fröhlich geschrieben werden. Vgl. Das adjektivische Kompositum mit anderen Ersteinheiten. Parallel existieren u.a. auch Phrasen des Typs auf Grund neben Konversionsprodukten, also Wörtern des Typs aufgrund. Vgl. Die Zusammenrückung. Diese Schreibalternativen stören die Wortdefinition jedoch ebensowenig: Zusammengeschriebenes wird als Wort, Auseinandergeschriebenes als Phrase definiert. Dass semantisch Analoges mal als Phrase, mal als Wort realisiert wird, d.h. verschiedene Ausdrucksmöglichkeiten bestehen, ist in der Sprache nichts Ungewöhnliches.

Zum anderen gibt es aber auch grundlegende amtliche Schreibregelungen, die Auswirkungen auf den Wortbegriff haben, u.a. auf die in der Forschungsliteratur als Partikelverben bezeichneten Verben des Typs anstehen, aufsehen, vorgehen. Solche Bildungen werden hier als Präverbfügungen verstanden, also als syntaktische Gefüge. Vgl. Das sogenannte Partikelverb. In diesem Punkt widerspricht die Orthografie dem hier vorgeschlagenen Wortbegriff. Sie verlangt Zusammenschreibung für syntaktisch mobile Einheiten, z.B. sie sieht zum Himmel auf. Die Zusammenschreibung ist als Regel daher anzuzweifeln: So weist Drach (1940: 56) in einem ausführlichen historischen Rückblick darauf hin, dass die "Rechtschreibgewohnheit, Gefügepartner, wenn sie syntaktisch in Nachbarstellung treten, kurzweg zusammenzuschreiben, [...] ziemlich jung" ist. Noch Adelung habe davor gewarnt, "den eingerissenen Rechtschreibebrauch, den er für irreführend hält, zu übertreiben. 'Sollten diese alle als zusammen gesetzte Verben behandelt werden können, so müßte schließlich ein jedes Verb mit einem Adverbio ein zusammen gesetztes Wort machen, und wo wollte man dann mit all den Zusammensetzungen hin? Wer bevorstehen, übereinstimmen schreibt, wird auch bald schreiben wollen: auseinanderfahren, hinunterlaufen, ausdemhausegehen, überdiestraßelaufen'. Die Rechtschreibung des neunzehnten Jahrhunderts ist der Mahnung Adelungs nicht gefolgt. Die törichte Gewohnheit nahm dauernd zu." Vgl. auch Mentrup (1999). "Die sonst so unbegreiflichen Erscheinungen der Formenlehre werden ohne weiteres klar, wenn man erkennt, daß hier keine Zusammensetzung, sondern die irreführende Rechtschreibung eines verbalen Gefüges vorliegt" (Drach 1940: 58).

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