Wenn ich genug Geld hätte, würde ich nie mehr arbeiten gehen/ginge ich nie mehr arbeiten — Der Konjunktiv und die würde-Form
Deutsch sei eine würde-lose Sprache, postulierten Generationen von
Deutschlehrern, um ihren Schülern den so bequemen Gebrauch von
würde-Periphrasen zu
verleiden und sie stattdessen zum Gebrauch des Konjunktivs anzuhalten. Wirklich bequem
machten es sich damit vor allem die Lehrer, denn als Aussage erfasst dies weder die
faktischen noch idealisierte klassische Verhältnisse, und es eignet sich – pauschal, wie es
gehalten ist – keinesfalls als Anleitung zu einem wünschenswerten Sprachgebrauch.
Die Situation
Dass würde-Periphrasen, trotz steter Versuche, sie zu unterbinden, fest
zum Bestand der Ausdruckformen gehören, die Sprecher und Schreiber des Deutschen verwenden,
lässt sich schwerlich bestreiten, zu eindrucksvoll ist die Zahl der Belege an
Ausdrucksformen dieses Typs: Im Deutschen Referenzkorpus (DeReKo) mit vielen Milliarden erfasster Wörter
finden sich für die Wortformen würde und würden über 13 Millionen authentische Belege (Stand September 2024).
Wer darin ein Zeichen zunehmenden Niedergangs deutscher Schreibkultur sehen möchte, hat
mit herben Enttäuschungen zu rechnen, wenn er sich dabei auf eine große,
würde-lose Vergangenheit berufen will. Selbst Klassiker schraken vor
würde-Periphrasen nicht zurück:
Der große Kunstgriff, kleine Abweichungen von der Wahrheit
für die Wahrheit selbst zu halten, worauf die ganze Differential-Rechnung gebaut ist, ist
auch zugleich der Grund unsrer witzigen Gedanken, wo oft das Ganze hinfallen
würde, wenn wir die Abweichungen in einer philosophischen Strenge nehmen
würden.
[Georg Christoph Lichtenberg, Aus den
»Sudelbüchern«, Lichtenberg-SuB Bd. 1, S. 9]
Zum Nutzen des Lesers würde eine chronologische
Ordnung nichts beigetragen haben, da er die Epochen solcher wichtigen
Gegenstände, wie sie der Herr von Voltaire meistens gewählet, ohnedem wissen wird; zum
Vergnügen auch nichts, denn das Vergnügen wächst durch das Regellose.
Gottfried Ephraim Lessing, Vorreden: Des Herrn von Voltaire Kleinere
historische Schriften, Erstdruck: 1752, 2000, S. 514]
Du lässest Doktores kommen ein ganzes Konzilium und botst
drei Dukaten, wer dem Hund ein Rezept schreiben würde.
[Friedrich Schiller, Werke, Die Räuber, S. 970,
http://www.digitale-bibliothek.de/band103.htm]
Wenn ich ihnen darauf meine Geschichte ganz ordentlich
erzählte, erklärten sie mir solche für ein Märchen und suchten scharfsinnig hinter das
Rätsel zu kommen, das ich unter der Schusterherberge zu verhüllen mutwillig genug sei.
Hätten sie mir aber ins Herz sehen können, so würden sie keinen Mutwillen darin
entdeckt haben; ...
[Johann Wolfgang v. Goethe,
Werke; Wahrheit I-III, (Geschr. 1809-1813), 1982, Bd. 9, S. 324]
Da ich mich nicht so wütend erwies wie andere, die nach
Frankreich hineinstürmten, hielt er mich bald für einen Republikaner und zeigte mehr
Vertrauen; er ließ mich die Unbilden bedenken, welche die Preußen von Wetter und Weg über
Koblenz und Trier erlitten, und machte eine schauderhafte Beschreibung, wie ich das Lager in
der Gegend von Longwy finden würde; von allem war er gut unterrichtet und
schien nicht abgeneigt, andere zu unterrichten; ...
[Johann
Wolfgang v. Goethe, Werke; Campagne, (Geschr. 1820-1822), 1982, Bd. 10, S.
194]
Bei spontanen Äußerungen nutzen auch Sprecher mit viel Erfahrung in öffentlichem Reden
ganz selbstverständlich die periphrastische Form:
Also, ich
würde mir
wünschen, die
Mädels und die Jungs von Hurra Deutschland kämen wieder.
[Ernst-Dieter Lueg 1994
in SDR 3/ Leute] Ähm, wir haben das geahnt, dass das
passieren
würde.
[Wolf von
Lojewski 1995 in SDR 3/ Leute]Würden Sie's uns
begründen, warum
Sie's nicht tun?
[Wolfgang
Heim 1995 in SDR 3/ Leute] Ach ich
würd' mir auch 'n Rockkonzert
anhören oder
würde in die, in die, nicht in die Premiere,
sondern in die fünfte Aufführung der Volksbühne in Berlin
gehen wollen.
[Jens Reich 1994 in SDR 3 Leute]würde gehen oder ginge?
Zurück zur Titelfrage. Würden Sie würde gehen vorziehen oder zögen Sie
doch eher ginge vor? Wer, wie der Verfasser dieser Zeilen, ein Schülerleben
lang der Diffamierung der würde-Periphrase ausgesetzt war, wird sich nie
mehr ganz von dem Eindruck befreien können, Verbformen wie ginge seien den
entsprechenden würde-Periphrasen vorzuziehen. Man bleibt dem Eindruck
verhaftet, die Konjunktivform klinge einfach besser, sei wohlgeformter, und man wird als
Leser in dieser Einschätzung auch tausendfach bestätigt, denn man trifft in Texten
professioneller Schreiber weit häufiger auf diese Form als auf die Periphrase.
Die Einschätzung, die Konjunktivform klinge einfach besser, bringt das Problem auf den
Punkt, denn in Frage steht hier, was als guter Stil, gutes Deutsch gelten soll, nicht
jedoch, was als grammatisch korrekt gelten kann. Grundsätzlich könnte anstelle jeder
Konjunktiv-Präteritum-Form (auch als
Konjunktiv II bezeichnet) eine würde-Periphrase verwendet werden. Der
Informationsgehalt ist in beiden Fällen derselbe, verschieden ist allein die stilistische
Wirkung, und selbst hinsichtlich dieser sind pauschale Feststellungen kaum
angebracht.
Bestimmte Konjunktiv-Präteritum-Formen werden selbst in mündlicher Rede eindeutig
bevorzugt, so insbesondere wäre und hätte. Zwei typische
Beispiele:
Ich bin Damenschneiderin geworden. - Ja? - Also
wäre ich
geworden, wenn ich's zu Ende
gemacht
hätte.
[(Heike Makatsch und Stefan Siller 1997 in SDR 3/ Leute)]Zum Beispiel war für mich völlig neu, dass Ihr Vater Angst
hatte, Sie
hätten eine Viehhändlersnatur.
[Martin Born im Gespräch mit Manfred Rommel 1999 in
SWR4/Unternehmungen]Bei DeReKo-Recherchen finden sich die Wortformen wäre/wären etwa 100 Mal, hätte/hätten gar 300 Mal häufiger als die entsprechenden würde-Periphrasen.
Eindeutig präferiert werden – jedenfalls bei schriftlichen Äußerungen –
Konjunktiv-Präteritum-Formen der 1. und 3. Person Singular generell hochfrequenter starker
(unregelmäßiger) Verben wie ginge,
käme,
fände oder
stünde.
Über eine Milliarde Euro steckt die RWE-Tochtergesellschaft
jährlich in kohlendioxidfreie Stromerzeugung. Es läge also in seinem Interesse,
die Energiewende der Bundesregierung nach Kräften zu bejubeln.
[FOCUS, 30.01.2012]
Beim zweiten Frühstück erklärte der Konsul, daß Tony, wenn
sie käme, nur drei Uhr dreiunddreißig Minuten nachmittags von Büchen eintreffen
könne.
[Thomas Mann, Werke; Buddenbrooks, (1. Buchausg.
1901), 1960, Bd. 1, S. 372]
Den wohl aufmunternd gemeinten Hinweis eines auswärtigen
TV-Journalisten, wonach der 1.FC Nürnberg mit Blick auf seine jüngere Heimbilanz gegen den
FC Bayern München im heutigen 184. Derby (15.30 Uhr) prinzipiell doch ganz gute Chancen
besäße ließ Dieter Hecking nonchalant von sich abprallen.
[Nürnberger Zeitung, 31.03.2012]
Planungszeiten von vier Jahren fände auch der
Präsident der Bundesnetzagentur, Matthias Kurth, „schön“. Doch so recht glaubt er an eine
solche Beschleunigung nicht.
[VDI nachrichten,
28.01.2011]
Doch was auf diese Formen zutrifft, lässt sich nicht ohne Weiteres
verallgemeinern:
- Da die Konjunktiv-Präteritum-Formen sogenannter schwacher (regelmäßiger)
Verben identisch mit ihren Präteritalformen sind, werden bei diesen
würde-Periphrasen in der Regel präferiert, um Fehlinterpretationen
entsprechender Äußerungen zu vermeiden. Hier einige Beispiele:
Die betroffenen Areale am Herzen werden außer Gefecht
gesetzt, zumindest kurzzeitig. Diese Erklärung würde nicht nur in das
mechanistische Ursache-Wirkung-Prinzip der Naturwissenschaften passen, sie
würde auch die immensen Auswirkungen der psychischen Belastungen plausibel
machen.
[Zeit Wissen,
08.02.2011]
Die Juristen versuchen nun, das Wörtchen „es“ zu
interpretieren. Die Bundesanwaltschaft liest den Satz als Beleg, dass Verena Becker nicht
mehr bei den Buback-Morden mitmachen würde.
[Die Rheinpfalz,
04.01.2010]
In der NPD-Zeitung Deutsche Stimme ließ Klebe im Januar
wissen, dass der Einzug in die Hamburgische Bürgerschaft geradezu „revolutionäre
Verhältnisse“ bedeuten würde.
[die tageszeitung,
10.02.2011, S. 22 ]
- Bei weniger frequenten Verben werden würde-Periphrasen
insbesondere bei Formen der 2. Person bevorzugt, selbst wenn diese Verben über eindeutig
bestimmte Konjunktiv-Präteritum-Formen verfügen. So findet sich in DeReKo zwar 63 Mal die
Periphrase beschreiben würdest, doch kein einziger Beleg für die Form
beschriebest. Ähnlich deutlich ist die Verteilung bei
machen würdest versus machtest: 1517 zu 684 (wobei viele der machtest-Belege gar keine Konjunktive sind, sondern Vergangsheitsbezug ausdrücken, etwa: Du machtest ja dann diesen Weblink draus).
Die Feststellung, die eine oder die andere Form werde bevorzugt, ist dabei nicht so zu
verstehen, als sei sie damit auch grammatisch korrekter oder zumindest akzeptabler. Doch in
jedem Fall macht man – jedenfalls bei schriftlichen Äußerungen – nichts falsch, wenn man die
Konjunktiv-Präteritum-Form wählt. Bei mündlichen Äußerungen allerdings kann es
empfehlenswert sein, mit diesen Formen vorsichtiger umzugehen, denn – von den gängigsten
Formen einmal abgesehen – riskiert man dabei, für affektiert gehalten oder nicht ernst
genommen zu werden. Ein geradezu klassisches Beispiel:
Du hast gesagt, es
stünde mir so gut.
[Evelyn Hamann in: Loriot, Die
Garderobe]Geht man ohne Vorurteil an die Sache heran, wird man feststellen, dass Schreiber und
Sprecher sich – mehr oder weniger intuitiv - an stilistischen Faktoren orientieren, die weit
komplexer sind, als die pauschale Maxime unterstellen will. Wollte man diese Faktoren über
das hinaus detailliert erfassen, was hier exemplarisch festzustellen war, müsste man in sehr
aufwendigen Korpusrecherchen Verb für Verb überprüfen, welche Präferenzen sich
zeigen.
Fazit
Eine praktikable Empfehlung kann deshalb nur lauten:
- Bei mündlichen wie in schriftlichen Äußerungen stets
wäre/wärest/wären/wäret und
hätte/hättest/hätten/hättet
- In formalen Kontexten auch mündlich die Konjunktiv-Präteritum-Formen
frequenter starker Verben wie gehen, kommen,
finden, sprechen eher als die entsprechenden
würde-Periphrasen
- In familiärem, freundschaftlichem oder kollegialem Kontext mündlich wie
schriftlich selbst bei frequenten starken Verben eher
würde-Periphrasen, insbesondere bei Formen der 2. Person ( z. B.
gingest, stündest,
fändet)
- Bei schwachen Verben (z. B. sagen, fragen,
erklären, wohnen) mündlich stets
würde-Periphrasen, ebenso schriftlich, ausgenommen in diesen
Fällen, in denen eine nachfolgende würde-Periphrase oder eine
Konjunktiv-Präteritum-Form eine Interpretation als Konjunktiv-Form unterstützt:
- satzinitial (z. B. Wohnte ich in Stuttgart,
ginge ich häufiger ins Theater.)
- in Konditionalsätzen (wenn-Sätzen) (z. B.
Wenn ich sagte, ich wäre reich, so wäre
das übertrieben.)
Eine eindeutige Präferenz für Konjunktiv-Präteritum-Formen ist in diesen Fällen
jedoch nicht zu erkennen.
Weiterführendes
Weitere Texte zur Verwendung von Konjunktivformen und würde-Periphrasen:
Er sagte, dass er aus Ulm kommt, komme, käme oder kommen
würde ? — Mit dass eingeleitete indirekte Redewiedergabe (Teil
1)
Er behauptet, dass er die Lösung gefunden hat oder habe
oder hätte? — mit dass eingeleitete indirekte Rede (Teil
2)
Sie sagt, er ist, er sei, er wäre gar nicht so übel —
Indirekte Redewiedergabe mit Verbzweitsätzen
Verwendung von Indikativ und
Konjunktiv
Formensynkretismus von Konjunktiv und
Indikativ