Ich bin geschwommen oder ich habe geschwommen? — Perfekt mit sein oder haben

Mit dem Präsensperfekt sprechen wir über abgeschlossene Handlungen oder Ereignisse, drücken also Vergangenheit relativ zur Betrachtzeit aus. Die Entscheidung, in welchen Fällen welches Hilfsverbhaben oder sein — verwendet werden sollte, um diese zusammengesetzte Zeitform zu bilden, hängt von verschiedenen Faktoren ab. Nicht zuletzt scheint es regionale Variation zu geben; vgl. Ich bin gesessen/gestanden oder ich habe gesessen/gestanden.

Ausgehend vom Beispiel des Bewegungsverbs schwimmen möchten wir verwendungsspezifische Aspekte in den Blick nehmen und prüfen, welche weiteren Komponenten im Satz ggf. eine Rolle spielen — nicht nur, aber eben auch für Verben, die einen Ortswechsel bezeichnen (für eilige Leser siehe hier).

Bei der Wahl des Hilfsverbs kommen linguistisch verschiedenartige Kriterien zum Einsatz: Aus syntaktischer Sicht wird beispielsweise unterschieden zwischen transitiven Verben mit Akkusativkomplement und Verben, die kein Akkusativkomplement fordern. Semantisch geht es um die Frage, ob wir es mit Bewegungsverben wie schwimmen zu tun haben oder auch mit Verben, die eine Zustandsveränderung anzeigen (z.B. auftauen, aufwachen etc.). Der konkrete Kontext spielt ebenfalls eine Rolle: Welche Komplemente finden wir im jeweiligen Satz?

Ein Nebenaspekt soll vor diesem Hintergrund nur gestreift, aber nicht vertieft werden: die Verwechslungsgefahr durch Formengleichheit bzw. -ähnlichkeit. Das Verb sein kann beispielsweise Tempus-Hilfsverb, Passiv-Hilfsverb und Kopula sein, d.h. bei gleicher Form unterschiedliche Funktionen übernehmen. Dieser Umstand kommt uns bei einem oberflächlichen Zählen von Wortformen in die Quere und wir weisen ggf. kurz darauf hin.

Kriterien

Die Propädeutische Grammatik erläutert Unterschiede in der Anwendung von haben und sein. Die nachfolgenden Kriterien sind (leicht gekürzt) daraus entnommen. Anschließend werden wir die reale Sprachverwendung korpusbasiert untersuchen, also anhand einer authentischen Textsammlung.

  1. Die folgenden Verben bilden ihre Perfektform mit haben
    1. Verben, die ein Komplement im Akkusativ fordern;
    2. Verben ohne Akkusativkomplement, die das Bestehen eines Zustands, die Ausführung eines Vorgangs oder einer Tätigkeit bezeichnen, ohne dass dabei auf eine Veränderung gegenüber einem Vorzustand oder auf einen Folgezustand abgebildet wird. Eine Ausnahme bilden sogenannte Bewegungsverben, siehe (2a);
    3. Modalverben.
  2. Mit sein bilden folgende Verben ihre Perfektform
    1. Bewegungsverben, also Verben mit denen Vorgänge oder Tätigkeiten bezeichnet werden, die eine räumliche oder zeitliche Veränderung der Position des Gegenstands bewirken, der als Subjekt des Verbs realisiert ist;
    2. Verben, die in (1b) beschrieben sind, die jedoch eine Veränderung gegenüber einem Vorzustand bzw. einen Folgezustand bewirken;
    3. Kopulaverben (sein, werden, bleiben).

Eine kleine Korpusstudie

Aus einem ca. 20.5 Millionen Wörter großen Korpus deutscher Tageszeitungen entnehmen wir eine Zufallsauswahl von 40.000 Sätzen, die ein Partizip II (Vergangenheitspartizip) beinhalten. Darunter befinden sich jeweils 10.000 Sätze mit haben und sein, entweder gefolgt von einer Partizipform oder dieser folgend. Insgesamt identifizieren wir auf diese Weise 2.307 verschiedene Verben.

Perfektbildung mit haben

Als häufigste Partizipform mit Akkusativkomplement identifizieren wir gemacht, als Hilfsverb kommt dabei durchgehend haben zum Einsatz. Sein finden wir mit diesem Verb ausschließlich in Passivkonstruktionen (sein-Passiv; davon abgesehen existieren natürlich Vorgangspassive mit werden, z. B. "Geschichte wird gemacht", und Rezipientenpassive mit bekommen, z. B. "Ich bekomme die Haare gemacht").

Da hat der Gesetzgeber Vorgaben gemacht. (Braunschweiger Zeitung, 25.02.2009)
Ein Anfang ist gemacht. (Hannoversche Allgemeine, 15.12.2008, S. 3)

In unserer nach Häufigkeit der Vorkommen absteigend sortierten Liste finden sich darauf folgend über eine lange Strecke fast nur Verben mit Akkusativkomplement und Hilfsverb haben, zum Beispiel gegeben, gewonnen, gesehen, gespielt, verloren, gefunden, gesagt, gezeigt, begonnen, geschafft, gelernt, geführt, entschieden, entwickelt, erreicht, geschrieben, gebracht. Aber auch bei Bewegungsverben scheint es, wie in (1b) und (2a) beschrieben, tatsächlich eine Rolle zu spielen, ob ein Akkusativobjekt vorhanden ist oder nicht. Im Einzelfall gilt es dabei auf abweichende Lesarten zu achten. Beispielhaft dafür steht eintreten, das etwas weiter unten in unserer Häufigkeitsliste auftaucht. Hier korrelliert der unterschiedliche Hilfsverbgebrauch mit unterschiedlichen Bedeutungen ("durch Tritte zerstören" vs. "hineingehen") und nur im zweiten Fall wird tatsächlich ein Ortswechsel ausgedrückt:

[...] Er habe die Haustür eingetreten. (Braunschweiger Zeitung, 29.0.2009)
Trotzdem bin ich ungebeten irgendwann dann eingetreten. (Braunschweiger Zeitung, 21.02.2009)

Beim Verb überschreiten schließlich fällt auf, dass es ausschließlich mit Akkusativobjekt auftritt, es scheint also ein solches zu fordern. Als Perfekt-Hilfsverb identifizieren wir durchgehend haben; die gefundenen sein-Belege liegen in unserer Zufallsauswahl wiederum allesamt im Passiv vor und sind für unsere eigentliche Fragestellung (die analytische Bildung von Präsensperfekt) sogenannte False Positives (unpassende Fundstellen):

Dennoch blieb der Eindruck, dass diese vier Männer fortgeschrittenen Alters [...] ihren sängerischen Zenit überschritten haben. (Braunschweiger Zeitung, 19.01.2009)
Bei Bodenproben wurde festgestellt, dass die zulässigen Werte überschritten sind. (Braunschweiger Zeitung, 24.06.2009)

Bei den Modalverben (können, dürfen, wollen, sollen, mögen, müssen) finden wir ausschließlich Präsensperfektformen mit haben und das Hilfsverb sein wie erwartet nur in Passivkonstruktionen:

Er hat das so gewollt und er hat das so geplant. (Die Zeit (Online-Ausgabe), 03.06.2010)
Unschärfe oder Flecken - das ist gewollt. (Braunschweiger Zeitung, 25.02.2009)

Das Partizip II des Modalverbs sollen (gesollt) tritt in unseren Daten übrigens nur im Konjunktiv auf:

Die warmen Winterjacken bleiben jetzt einfach bis auf Weiteres hängen – nicht jedes Wochenende der Ärger darüber, dass die Teile noch immer dick an der Garderobe hängen und eigentlich längst auf dem Dachboden gesollt hätten. (Braunschweiger Zeitung, 16.05.2012)

Nun gibt es im Deutschen Wörter, die zwar identisch geschrieben werden, aber unterschiedliche Bedeutungen haben (vgl. Polysemie bzw. Homonymie). Das führt bei oberflächlicher Betrachtung leicht zu Verwechslungen. Auf Platz 26 unserer Liste etwa findet sich die Wortform erfahren mit Belegen für beide Hilfsverben. Allerdings handelt es sich im einen Fall um eine adjektivische Verwendung: jemand ist erfahren (Adjektiv), wenn er oder sie viele Erfahrungen gemacht hat, während jemand etwas erfahren (Verb) hat, wenn er eine bestimmte Information erlangt hat:

Er ist sehr erfahren, bringt stabile Leistungen. (Nürnberger Nachrichten, 28.10.2009, S. 23)
Nun hat er erfahren, dass Erdkunde wegen Lehrermangels ausfällt. (Rhein-Zeitung, 28.08.2009)

Die Verben liegen und legen sind nur auf den ersten Blick sehr ähnlich. Sie unterscheiden sich beispielsweise in der Art und Weise, wie sie ihre Grundformen bilden. Das Partizip II des starken Verbs liegen lautet gelegen, des schwachen Verbs legen dagegen gelegt. Legen bildet das Perfekt – wie alle anderen transitiven Verben auch – mit haben und ist auch passivfähig. Liegen ist intransitiv und kann kein Passiv bilden. Anders als bei legen sind bei liegen regionale Unterschiede hinsichtlich der Verwendung des Hilfsverbs zu beobachten. Das Perfekt von liegen wird zwar meistens mit dem Hilfsverb haben, kann aber regional, besonders in Süddeutschland, Österreich und der Schweiz, mit sein gebildet werden; vgl. Beispiele 1b, 1c.

Obwohl die Partizipien gelegt und gelegen formal ähnlich sind, handelt es sich also nicht um Varianten desselben Lexems. Sie werden von verschiedenen Verben abgeleitet und daher in unterschiedlichen Kontexten und Funktionen verwendet. Die folgende Übersicht basiert auf den im Valenzwörterbuch E-VALBU aufgeführten Bedeutungsvarianten und zeigt beispielhaft einige Verwendungsmöglichkeiten von liegen (1-6) und legen (7-9) sowie die Hilfsverb-Optionen.

1.haben oder seingelegen aufEtwas oder jemand hat sich auf etwas anderem befunden.
2.habengelegen anEtwas ist begründet worden durch etwas.
3.seingelegen (in)Etwas befindet sich / hat sich in einer bestimmten Region befunden.
4.habengelegen beiEin Maß hat einen ungefähren Wert gehabt.
5.sein(daran) gelegenJemand (Subjekt im Dativ) hat sich einen Vorteil aus etwas versprochen.
6.haben(richtig/falsch) gelegenJemand hat die/eine richtige/falsche Entscheidung gefällt.
7.habennahe gelegtJemand hat jemandem etwas angeraten.
8.habensich gelegtEtwas hat sich beruhigt (metaphorische Lesart).
9.habensich auf etwas gelegtEtwas hat sich so bewegt, dass es nun auf etwas liegt.

Beispiel 7 wird nach den aktuellen Orthografieregeln zusammengeschrieben (nahegelegt).

Beispielbelege:

1a.Beim Matchball hat Hannes schon auf dem Boden gelegen, sich wieder hoch gerappelt und den Ball getötet. (Braunschweiger Zeitung, 19.01.2009)
1b.Da hab ich einen Schlag im Rücken gespürt, und das Messer ist auf dem Boden gelegen. (Süddeutsche Zeitung, 14.04.1993, Lokales)
1c.Ich war schon auf dem Rückweg, auf einmal ist die Leiche da gelegen. (Kleine Zeitung, 20.02.1998)
2.Das habe wohl daran gelegen, dass die Gäste im ersten Satz zuviel erreichen wollten. (Braunschweiger Zeitung, 09.03.2009)
3a.Da, Kinder, ist früher einmal meterhoch Schnee gelegen. (Der Standard, 23.07.2022)
3b.Aber das ist nun einmal der Ort, der am zentralsten gelegen ist. (Braunschweiger Zeitung, 23.05.2009)
4.Die Dienstbeteiligung habe bei 75 Prozent gelegen. (Braunschweiger Zeitung, 17.03.2009)
5.Die Landesregierung säße zwischen den Stühlen, weil Volkswagen genau daran sehr wohl gelegen ist. (Braunschweiger Zeitung, 08.01.2009)
6.Krise hin oder her: Volkswagen hat offenbar mit der Entscheidung richtig gelegen, im russischen Kaluga ein Werk zu errichten. (Braunschweiger Zeitung, 24.02.2009)
7.Wir haben ihm den Rücktritt nahe gelegt. (Braunschweiger Zeitung, 10.03.2009)
8.Die Anspannungen der ersten Wochen haben sich etwas gelegt. (Braunschweiger Zeitung, 23.02.2009)
9.Der Staub hat sich über die Haut gelegt, ist in ihre Nasenlöcher gekrochen. (Braunschweiger Zeitung, 13.01.2009)

Perfektbildung mit sein

Auf Platz 80 unserer Liste finden wir das erste Bewegungsverb im engeren Sinn (jemand/etwas bewegt sich von einem Ort zu einem anderen): gefallen. Es hält sich an die oben formulierten Kriterien und tritt durchgehend gemeinsam mit sein auf. In den Vorkommen finden wir übrigens fast ausschließlich Verbverwendungen in metaphorischer Bedeutung: außer Personen, Institutionen und Währungen (die allesamt tief fallen) gibt es einige Vorkommen der Wendung Entscheidung ist gefallen:

Die Entscheidung ist gefallen: Inna Subtschewski ist die schönste Frau der Eifel. (Rhein-Zeitung, 17.10.2009)

Vorkommen mit einer im wörtlichen Sinne gefallenen Sache erscheinen in unserer Zufallsauswahl eher selten:

Der erste Schnee im Hohen Venn ist längst gefallen. (Nürnberger Zeitung, 18.12.2007, S. 22)

Die Verbform gekommen ist die nächste auf unserer Liste, die sein fordert. Mit größerem Abstand findet sich dann als nächstes Bewegungsverb angekommen (wir sind inzwischen auf Platz 1045 angelangt). Man wundert sich nicht, wenn gegangen kurz darauf auftritt, dicht gefolgt von gelaufen, das jedoch unerwarteterweise (hierzu böte sich eine vertiefende Analyse auf einem größeren Datenset an) einmal mit Akkusativobjekt und dem Hilfsverb haben gefunden wird:

Wir haben sie müde gelaufen. (Braunschweiger Zeitung, 16.03.2009)

Weitere typische Bewegungsverben im Partizip II wie gestiegen, ab-/angelaufen, gesprungen, umgezogen, zurückgekehrt/-gekommen finden sich praktisch ausschließlich mit sein.

Für die in der Kriterienliste erwähnten Kopulaverben sein, werden und bleiben finden sich in unserer Textsammlung wie erwartet keine Fälle mit dem Hilfsverb haben.

Der Trainer sagt in der Kabine: "Jungs, ihr seid großartig gewesen!" (Hamburger Morgenpost, 12.09.2011, S. 53)
Vieles, wovon ich geträumt habe, ist wahr geworden. (Die Zeit (online-Ausgabe), 02.06.2011)
Drei Spieler der vergangenen Saison sind geblieben, [...] (Hannoversche Allgemeine, 03.11.2011)

Das Verb schwimmen

Die Verbform geschwommen haben wir uns natürlich aufgrund der Ausgangsfrage etwas genauer angeschaut: in den 130 aktiven Vorkommen aus unserer Textsammlung finden wir 117 mit sein und nur 13 mit haben. Bei letzteren gibt es 3 Vorkommen der Redewendung "(haben) sich frei geschwommen" (reflexiv) und zwei Vorkommen von "haben sich warm geschwommen" (ebenfalls reflexiv). Das Hilfsverb sein schwimmt dem haben also locker davon, aber Beispiele für letzteres gibt es eben doch:

Ich bin ein gutes Rennen geschwommen. (Berliner Zeitung, 29.03.2004, S. 15)
Zwei hannoversche Schwimmtalente haben sich bei der Kurzbahn-Europameisterschaft mit sechs Goldmedaillen in einen Rausch geschwommen [...]. (Braunschweiger Zeitung, 26.11.2010)

Auch in Fällen ohne Akkusativ-Komplement kommen beide Hilfsverben vor (haben allerdings zumeist in übertragener Bedeutung):

Die 1. und 2. Klassen sind gelaufen, die 3. und 4. geschwommen", [...] (Braunschweiger Zeitung, 10.04.2010)
Nach Wiederanpfiff waren die Helmstedter zu Beginn etwas unsortiert und mussten nach 50 Minuten den Anschlusstreffer hinnehmen. "Dann haben wir ein bisschen geschwommen. Wirklich zwingend ist Holzland aber nicht geworden“, konstatierte der HSV-Trainer, der fünf Minuten vor Schluss durchatmen durfte. (Braunschweiger Zeitung, 11.04.2011)

Für gemessene Zeiten, die geschwommen werden, finden wir ebenfalls beide Verwendungen, darunter wiederum nur wenige Vorkommen mit haben.

Duncan ist auch in acht anderen Disziplinen Bestzeiten geschwommen. (Braunschweiger Zeitung, 06.11.2010)
Die Athleten mussten in vorherigen Wettkämpfen Pflichtzeiten geschwommen haben. (Braunschweiger Zeitung, 06.11.2010)

Fazit

Welches Aktiv-Hilfsverb für die Bildung der zusammengesetzten Zeitform Präsensperfekt gewählt wird, hängt von einigen Faktoren ab. Als Faustregel könnte man sich merken, dass die meisten Verben inklusive Modalverben haben fordern und ein vorhandenes Akkusativkomplement noch deutlicher auf haben hinweist. Für Bewegungsverben ohne solche Komplemente kann man von sein ausgehen, bei schwimmen und wenigen anderen Verben wird je nach Sprachgefühl auch mal haben verwendet. Bei Kopulaverben kommt sein zum Einsatz.

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Gertrud Faaß
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