Transitivität bei Verben mit Akkusativkomplement

Als transitiv werden Verben bezeichnet, die diese Bedingungen erfüllen:

  • Sie sehen ein Kakk vor.
  • Sie verfügen über ein Partizip II, das als Attribut eines Nomens gebraucht werden kann, welches in der Attributkonstruktion dem Kakk entspricht.
Transitive Verben verfügen in der Regel auch über Passivformen, doch die Regel kennt auch Ausnahmen.

I. haben, erhalten, schulden

Die Verben haben, erhalten oder schulden erfüllen beide Bedingungen.

"Seit einigen Tagen lagert hier Westgeld in noch nie gehabten Mengen."
(die tageszeitung 24.3.1990, 1)

zuviel erhaltene Subventionen
(Berliner Zeitung, 28.10.1997, 27)

bestimmte, von ihm geschuldete Leistungen
(Berliner Zeitung 1.8.1998, 49)

Sie treten jedoch - von sehr gewollt wirkenden Ausnahmen wie den folgenden abgesehen - nie im Passiv auf.

So kommt es zu sprachlichen und psychologischen Gemengelagen, in denen unsereins zwar das "Ich, das Es und das Über-Ich" hat, aber eigentlich so von ihnen gehabt wird, dass wir nicht einmal "Herr im eigenen Haus" sind.
(Die Zeit 17.6.1999, 44)

Gefühle werden gehabt, die Liebe geschieht.
(http://www.sprachkritik.de/cats/besitz.html)

Sie wird ihm geradezu geschuldet wie eine Prämie für treue Dienste.
(Frankfurter Allgemeine Zeitung 1993, o. S.)

Uneingeschränkte Bewunderung aber wird dem Chor geschuldet.
(die tageszeitung, 24.11.1995, 23)

Passivformen zu erhalten finden sich zuhauf, dabei ist aber erhalten im Sinn von bewahren zu verstehen.

Der originale Parkett-Boden im Raum der ehemaligen Gepäckaufbewahrung wurde erhalten und renoviert, ebenso wie die geschwungenen Stuck-Ornamente an den hohen Decken.
(St. Galler Tagblatt 24.8.2010, 33)

II. kosten, wiegen, betragen, messen

Offenbar sind bei der Bildung von werden-Passivformen mit Subjekt weitere Bedingungen in Rechnung zu stellen.

Verben wie kosten, wiegen, betragen, messen, die zwar die erste Bedingung, jedoch nicht die zweite erfüllen (* die gekosteten fünf Euro, * der gewogene Doppelzentner, * die gemessene Meile), sind nicht transitiv und bilden auch keine Passivsätze.

Die neuen Gerüchte um einen Krieg am Golf kosten die deutschen Autofahrer bares Geld.
(die tageszeitung 1.11.1990, 11)
* Bares Geld wird den deutschen Autofahrern von den neuen Gerüchten gekostet.

Sie wiegen einen Zentner, sind aber so sensibel, daß Herzinfarktgefahr besteht, wenn ein Lkw zu laut hupt.
(Kleine Zeitung 18.4.1998, o. S.)
* Von ihnen wird ein Zentner gewogen.

Bei den 370.000 in Heimen untergebrachten Pflegebedürftigen beträgt der Anteil sogar 70 Prozent.
(die tageszeitung 24.10.1990, 5)
* Bei den Pflegebedürftigen werden von dem Anteil sogar 70 Prozent betragen.

III. springen, schwimmen, werfen

Man könnte vermuten, dies sei darauf zurückzuführen, dass als Kakk Maßangaben auftreten, doch dagegen spricht, dass dieselbe Art von Kakk bei sogenannten Bewegungsverben wie springen, schwimmen, werfen und sogar bei messen durchaus Subjekt entsprechender Passivsätze sein kann.

Siebenmal wurden Zeiten geschwommen, die noch nie auf der Welt gestoppt wurden.
(BILD 1967, Nr. 55, 5)

Die Kenianer rannten der Konkurrenz in Riesenschritten davon. Auch bei den Männern, die zusammen mit den Frauen auf die Strecke gingen, wurden beachtliche Zeiten gelaufen.
(Mannheimer Morgen 24.6.1996, o. S.)

Nur im Tegeler See wurden 23 Grad gemessen.
(Berliner Zeitung 8.6.1998, 19)
Die Passivfähigkeit eines Verbs hängt in der Regel nicht davon ab, was als Kakk fungiert. Entscheidend ist vielmehr das Subjekt, und zwar weniger die Natur der Gegenstände, auf die sich das Subjekt bezieht, als die Rolle, die ihm durch das Verb zugewiesen wird.
Die Kinder wogen zuletzt insgesamt sieben Kilo.
(Berliner Zeitung 11.7.1998, 19)
* Von den Kinder wurden zuletzt insgesamt sieben Kilo gewogen.

Sie hoben die Mumien aus den Särgen, um sie genau zu betrachten, klopften sie ab, um zu hören, ob sie hohl waren, fummelten in ihren getrockneten Wunden herum, richteten sie auf, drehten sie herum, zogen sie an den Haaren, rüttelten an den Zähnen im Kiefer, wogen sie auf ihr Gewicht.
(die tageszeitung 29.10.1994, 37)
Die Mumien wurden von ihnen auf ihr Gewicht gewogen.

Hierzu gibt es nur zwei Ausnahmen.

1.
Das Kakk bezeichnet etwas, das integraler Bestandteil dessen ist, was das Subjekt bezeichnet. Typisch ist hier die definite Form des Kakk, die auf die Zugehörigkeitsbeziehung zwischen den betroffenen Gegenständen - in aller Regel Lebewesen - zurückzuführen ist.

Er hat den Kopf angestoßen.
Sie hat das linke Bein gebrochen.

2.
Das Kakk ist als Reflexiv-Pronomen realisiert.

Wir schlugen uns recht gut.
Ihr solltet euch nichts vormachen.

IV. bekämpfen, schieben, enthalten, fordern, erklären

Was bei Bewegungsverben festzustellen ist, gilt gleichermaßen für alle Verben mit akkusativischem Komplement: Wenn das Subjekt etwas bezeichnet, das einen aktiven Part in dem Sachverhalt spielt, den ein entsprechender Aktivsatz beschreibt, dann lassen sich meist auch entsprechende Passivformen bilden.

Ganz so einfach lässt sich dieses Kriterium freilich nicht anwenden. Es gibt zwar Verben, bei denen eindeutig ein aktiver Part vorliegt.

Moslemische Guerillas bekämpften jahrelang Besatzer und ihre afghanischen Anhänger.
(Berliner Zeitung 15.3.1999, 9)
Jahrelang wurden Besatzer von muslemischen Guerillas bekämpft.

Polizeibeamte auf Fußstreife bemerkten es, schoben den Mann mitsamt Rollstuhl auf den Gehweg und fanden sogar den gelösten elektrischen Kontakt.
(Mannheimer Morgen 13.1.1989, o. S.)
Der Mann wurde auf den Gehweg geschoben.

Daneben gibt es aber auch Verben ohne aktiven Part.

Sie enthielten jedoch keine explizit sexuellen Details.
(Berliner Zeitung 23.1.1998, 1)
Blackbourns Recherchen ergaben ein dickes Buch.
(Berliner Zeitung, 07.3.1998, VI)

Außerdem finden sich Verben, bei denen beides möglich ist.

Und so fordert Weltbankpräsident Barber Conable intern sogar die Bereitstellung von noch mehr Mitteln für den Brady-Plan.
(die tageszeitung 11.5.1990, 11)
Und so wurde von Weltbankpräsident Barber Conable die Bereitstellung von noch mehr Mitteln gefordert.

Der schwere Unfall forderte zwei Todesopfer.
* Von dem schweren Unfall wurden zwei Todesopfer gefordert.

Niemand hat je die Relativitätstheorie besser erklärt als Lord Russell.
Von niemandem wurde die Relativitätstheorie je besser erklärt als von Lord Russell.

Sein Schweigen erklärte alles.
* Von seinem Schweigen wurde alles erklärt.

V. hören, sehen

Und es finden sich Verben, bei denen mehr oder weniger unklar ist, ob dem Subjekt eine Agens-Rolle zukommt.

Sie gingen offenbar, wie es in dem schmalen Gang natürlich war, in einer Reihe, man hörte Klirren wie von Waffen.
(Kafka, Amerika, in: Werke Bd. 6, 17)

Sah ein Knab ein Röslein stehn, ...
(Goethe, Gedichte, Ausgabe letzter Hand. 1827, 12)

Hier ist - wie bei allen Verben der Wahrnehmung - durchaus nicht klar, ob die Personen, auf die sich das Subjekt bezieht, einen aktiven Part spielen oder ob ihnen ihre Wahrnehmung eher widerfährt. Das wird auch daran deutlich, dass entsprechende Passivsätze recht seltsam wirken. Unproblematisch sind Passivformen bei solchen Verben nur, wenn offenkundig ist, dass die Wahrnehmung absichtlich herbeigeführt wurde.

Bei den diesjährigen Festspielen wurden weit weniger Weltstars gesehen als früher.
Wer etwas zu sagen hat, wird gern gehört.

VI. empören, interessieren

Ähnlich wie Verben der Wahrnehmung liegen die Dinge bei Verben, die zur Beschreibung von kognitiven und emotionalen Beziehungen gebraucht werden.

Dein Verhalten empört mich zutiefst.
Ihr Projekt interessiert mich mehr und mehr.

Passivformen wirken hier fast immer gewollt, können jedoch genutzt werden, um den Vorgangscharakter hervorzuheben.

Ich spüre, wie meine Empörung zunimmt, wie mein Interesse wächst.


Vgl. Zur Besetzung der Subjekt-Rolle bei transitiven Verben

Vgl. Übergangsphänomene zum subjektlosen werden-Passiv

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Autor(en)
Bruno Strecker
Bearbeiter
Elke Donalies
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