Semantische und syntaktische Restriktionen bei werden-Passiv mit Subjekt

Werden-Passivformen mit Subjekt können grundsätzlich nur von Verben gebildet werden, die ein Akkusativkomplement (Kakk ) vorsehen. Damit ist allerdings erst eine notwendige, jedoch keine hinreichende Bedingung formuliert.

Darüber hinaus sind eine Reihe weiterer Gesichtspunkte zu berücksichtigen.

Akkusativische Nominalphrase, aber kein Komplement

Nicht jeder Akkusativ, der in einem Satz auftritt, ist überhaupt als Komplement zu betrachten. So ist etwa die Phrase einen Monat im folgenden Beispiel als ein Supplement zu werten, das den Zeitraum angibt, in dem der Sachverhalt bestand.

Ich habe in den siebziger Jahren einen Monat in Heidelberg gewohnt.

Akkusativisches Komplement, aber kein Akkusativkomplement

Nicht jedes akkusativisch formulierte Komplement ist auch ein Akkusativkomplement. Verben wie dauern, währen sehen kein Kakk vor, sondern ein Dilativkomplement (Kdil).

Fast drei Stunden dauerte das "Tribunal" auf dem Frauenkongreß "Kein Paragraph 218 in Ost und West" am Wochenende in der Ostberliner Humboldt-Universität.
(die tageszeitung 10.6.1991, 6)
* Fast drei Stunden wurde von dem "Tribunal" auf dem Frauenkongreß "Kein Paragraph 218 in Ost und West" am Wochenende in der Ostberliner Humboldt-Universität gedauert.

Ein Jahr und eine Woche währten Beweisaufnahme, Zeugenaussagen und Kreuzverhöre.
(Die Zeit 13.10.1995, 7)
* Ein Jahr und eine Woche wurde von Beweisaufnahme, Zeugenaussagen und Kreuzverhöre gewährt.

Akkusativkomplement, aber nicht transitiv

Nicht alle Verben mit Kakk sind transitiv. Transitivität muss jedoch unbedingt gegeben sein, wenn ein werden-Passiv mit Subjekt gebildet werden soll.

transitivEin Virus befällt die Welt.
Die Welt wird von einem Virus befallen.


Der olle Hansen erzählt eine Geschichte.
Vom ollen Hansen wird eine Geschichte erzählt.
nicht transitivDie Flasche enthält ein gefährliches Gift.
* Von der Flasche wird ein gefährliches Gift enthalten.

Das Ganze ergibt keinen Sinn.
* Von dem Ganzen wird kein Sinn ergeben.

Vgl. detaillierter zur Transitivität bei Verben mit Akkusativkomplement.

Zu Einschränkungen bei der Bildung von Passivformen kann es auch aus folgenden Gründen kommen.

  • Nimmt ein Reflexivpronomen die Position des Kakk ein, kann ein Satz nicht in einen entsprechenden Passivsatz umgeformt werden, und zwar gleichermaßen bei echten Reflexiva (a und b) wie bei transitiven Verben (c und d).
(a) Und so verlassen sie sich am Ende nur noch auf irgendwelche Aussagen, gleichgültig wer sie macht, unter welchen Umständen, mit welchem Ziel er sie macht.
(die tageszeitung 24.10.1986, 3)

(b) * Und so werden sie am Ende nur noch auf irgendwelche Aussagen von sich verlassen, gleichgültig wer sie macht, unter welchen Umständen, mit welchem Ziel er sie macht.

(c) Das Blatt berief sich auf eine Bestätigung durch die fernöstliche Bank ...
(die tageszeitung 4.10.1986, 2)

(d) * Das Blatt wurde von sich auf eine Bestätigung durch die fernöstliche Bank berufen ...

  • Findet sich bei aktivischer Formulierung im Kakk ein Possessiv-Pronomen mit Subjektbezug, ist keine passivische Formulierung mit einem dem Aktiv-Subjekt entsprechenden Kprp möglich, bei der sich das hier im Subjekt auftretende Pronomen auf dieselben Objekte beziehen soll, auf die es sich bei aktivischer Formulierung bezöge. Der passivische Satz ist zwar grammatisch völlig korrekt, doch besagt er anderes als der aktivische Satz. Er wird unausweichlich so verstanden, als handle es sich dabei um die Freunde eines im Satz nicht weiter erwähnten Dritten. Mit anderen Worten: Passivformen sind hier zwar möglich doch keine Passivierung im Sinn einer alternativen Beschreibung desselben Sachverhalts.
Der Minister besucht noch dann und wann seine alten Freunde.
Seine alten Freunde werden noch dann und wann von dem Minister besucht.
  • Bei mehrdeutigen Verben kann die Möglichkeit, Passivformen zu bilden, auf eine Lesart beschränkt sein.
(a) Die Tatsache, daß tatsächlich auch geistig Behinderte in großer Zahl Leistungen der Pflegeversicherung erhalten, läßt sich vermutlich damit erklären, daß vor allem bei schwerwiegenden Fällen geistiger Behinderung der Hilfebedarf in der Begutachtungspraxis durch eine extensive Ausdehnung der in § 14 Abs 4 SGB XI aufgeführten Verrichtungen festgestellt wird.
(BSG, Az: B 3 P 13/97 R)

(b) Die Tatsache, daß tatsächlich auch von geistig Behinderten in großer Zahl Leistungen der Pflegeversicherung erhalten wurden, läßt sich vermutlich damit erklären, daß vor allem bei schwerwiegenden Fällen geistiger Behinderung der Hilfebedarf in der Begutachtungspraxis durch eine extensive Ausdehnung der in § 14 Abs 4 SGB XI aufgeführten Verrichtungen festgestellt wird.

Beispiel (b) ist zwar durchaus grammatisch korrekt, doch kann erhalten hier nicht im Sinn von bekommen verstanden werden. Wird erhalten jedoch im Sinn von bewahren gebraucht, sind Passivformen sehr wohl möglich:

Doch ohne neue Geldquelle kann das ganze Angebot des Kinderschutz-Zentrums auf keinen Fall erhalten werden.
(die tageszeitung 7.3.1991, 22)

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Autor(en)
Bruno Strecker
Bearbeiter
Elke Donalies
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