Ein Auszug aus einem Gesprächsforum im Internet zeigt das Problem:
Man kann im Deutschen witzige - und grammatisch absolut korrekte - Äußerungen machen, wie z. B., dass die am Haken hängenden Mäntel lange dort hingen, bevor sie wieder abgehängt wurden, wobei sie viel zu lange am Haken gehangen haben, an den sie jemand gehängt hatte. Kein Wunder also, wenn der Schreiber aus dem Internet dabei ins Grübeln gekommen ist!
Auch wenn es auf den ersten Blick nicht so klar ist, bei dem Beispiel mit dem Mantel handelt es sich um zwei verschiedene Verben mit unterschiedlichen Bedeutungen.
Infinitiv | Indikativ Präsens | Präteritum (Imperfekt) | Partizip II (Partizip Perfekt) | Passiv | Bedeutung |
hängen1 | hängt | hing | (hat/ist)a gehangen | kein Passiv | so befestigt sein, dass der untere Teil frei beweglich bleibtb |
hängen2 | hängt | hängte | (hat) gehängt | etwas wird gehängt | etwas so befestigen, dass dessen unterer Teil frei beweglich bleibt |
a Über die Verwendung der Hilfsverben haben
und sein siehe Ich bin
gesessen / gestanden und ich habe
gesessen / gestanden — Perfekt mit
sein oder haben – regionale Varianten und
Bedeutungsunterschiede.
b Man könnte die Bedeutungen genauer darstellen, aber der
Unterschied, um den es hier geht, ist hier schon gut erkennbar.
Hängen1 wird stark flektiert (konjugiert), d.h. dass das Präteritum und das Partizip II durch Änderungen des Vokals im Wortstamm gebildet werden: hängt - hing - gehangen. Darüber hinaus wird das Partizip II mit dem Suffix -en gebildet: gehangen.
Hängen2 wird schwach flektiert, d.h. dass das Präteritum durch Hinzufügung von -(e)te an den Wortstamm, und das Partizip II durch Hinzufügung von -(e)t gebildet werden: hängt - hängte - gehängt. Die Vokale des Wortstammes bleiben dabei unverändert.
Bei Dubletten, in denen das eine Verb eine Handlung oder einen Vorgang bezeichnet, dessen Resultat durch das andere Verb bezeichnet wird, spricht man traditionell von kausativen Verben (Verursacher-Verben) und von resultativen Verben. Somit wäre das schwach flektierte hängen2(hängen - hängte - gehängt) das kausative Verb und das stark flektierte hängen1(hängen - hing - gehangen) das resultative Verb.
In den Textkorpora des Instituts für Deutsche Sprache (IDS) finden sich kaum Sätze, in denen hängen2 in der Bedeutung von hängen1 verwendet wird, also Sätze, in denen auf einen Zustand mit Hilfe des schwach flektierten Verbs (hängen, hängte, gehängt) Bezug genommen wird. Eine Cosmas-Suche nach standardsprachlich "falschen" Verbindungen wie hängte/gehängt mit an der/an dem/am (als Zeichen des Zustandes) hat z.B. nur 4 Treffer ergeben.
Eine Google-Suche bestätigt, dass auch im Internet das starke Verb viel häufiger zur Darstellung eines Zustandes verwendet wird als das schwache (an der Wand hängte: 89 Treffer gegenüber 19.100 Treffer für an der Wand hing).
Ein wenig häufiger findet man in den Korpora des IDS Sätze, in denen hängen1 in der Bedeutung von hängen2 verwendet wird, also Sätze, in denen auf eine Handlung mit Hilfe des stark flektierten Verbs (hängen, hing, gehangen) Bezug genommen wird. Hier hat eine Suche nach den standardsprachlich "falschen" Verbindungen hing/gehangen mit an die/an den 70 Treffer ergeben.
Am häufigsten findet man das stark flektierte Verb (hängt, hing, gehangen), nach standardsprachlichen Kriterien "falsch" verwendet, in den Wendungen etwas an den Nagel hängen und etwas an die große Glocke hängen. Von den oben erwähnten 70 Treffern entfallen 62 auf diese beiden Wendungen:
In den Korpora des IDS sind aber dennoch die Belege mit dem schwach flektierten Verb weit in der Überzahl.
Bemerkenswertes ergibt die Google-Suche. Im Unterschied zu dem Befund aus den Korpora des IDS wird hier auch für die Bezeichnung der Handlung eine deutliche Präferenz für die starke Form hing sichtbar (in der Tabelle rot markiert). Eine Präferenz, die sich aber nicht auf die starke Form gehangen ausdehnt!
Ausdruck | Cosmas | |
an die Wand hängte | 12 | 401 |
an die Wand hing | 0 | 2.600 |
an die Wand gehängt | 184 | 44.900 |
an die Wand gehangen | 1 | 2660 |
an den Nagel hängte | 126 | 882 |
an den Nagel hing | 21 | 1860 |
an den Nagel gehängt | 680 | 76.600 |
an den Nagel gehangen | 2 | 564 |
Orange: nach standardsprachlichen Kriterien korrekte Form
Die Korpussuche zeigt, dass die Unterscheidung zwischen dem stark flektierten hängen1 als Zustandsverb (der Schinken hing am Balken / hat am Balken gehangen) und dem schwach flektierten hängen2 als Handlungsverb (Er hängte den Schinken an den Balken / hat den Schinken an den Balken gehängt) in eher standardsprachlichen geschriebenen Texten weiterhin sehr stabil ist. Es gibt kaum Abweichungen. Die Google-Untersuchung zeigt aber, dass es im modernen Sprachgebrauch, in der eher lockeren Sprache von Sprachforen usw., eine Tendenz gibt, die starke Präteritumform (hing) auch in Sätzen zu verwenden, mit denen eine Handlung bezeichnet wird. Diese Tendenz hat sich aber (noch) nicht so sehr auf die starke Perfektform ausgedehnt.
Übrigens wird auch im Internet er hing sich auf deutlich seltener gebraucht als er hängte sich auf:
Ausdruck | Cosmas | |
hing sich auf | 4.500 | 2 |
hängte sich auf | 13.200 | 10 |
Die meisten Zweifelsfälle im modernen Spachgebrauch beruhen auf historisch verwickelten Entwicklungen. So auch die Unsicherheiten bei der Flexion von hängen. Dieses Verb hat eine wirklich komplizierte Geschichte. Im Althochdeutschen gab es zwei Verben, ein stark flektiertes Verb hâhan (Präteritum hiang/hieng) mit der Bedeutung 'aufhängen' und ein schwach flektiertes hangên (Präteritum hangêta) mit der Bedeutung 'aufgehängt sein'. Durch die lautliche und begriffliche Nähe von hâhan und hangen sind diese Formen im Mittelhochdeutschen zusammengefalllen. Es gab nur noch hangen. Wahrscheinlich unter dem Einfluss vieler anderer starker Präteritumformen auf -ing wich darüber hinaus die schwache Präteritumform hangêta der starken Form hienc. Es gab also ein Verb hangen - hienc - gehangen, das beide Bedeutungen 'aufhängen' und 'aufgehängt sein' abdeckte, und bis ins 19. Jahrhundert weiter existierte.
Parallell zu den Verben hâhan und
hangên gab es im Althochdeutschen noch ein schwachflektiertes Verb
hangjan/hengan i.S.v. 'hängen machen', das im Mittelhochdeutschen zu
hengen bzw. henken wurde. Nun ist es aber so, dass in
der 2. und 3. Pers. Präsens häufig 'a' zu 'ä' wird. (wie z. B. raten,
er rät; braten, er brät). Die Präsens
Formen des stark flektierten Verbs hangen und des schwach flektierten Verbs
hengen gerieten durcheinander, wodurch man zum jetzigen Zustand kommt:
Zwei Verben, ein stark und ein schwach flektiertes, die im Infinitiv und im Präsens
dieselben Formen haben. Das schwach flektierte Verb wird in der Bedeutung 'aufhängen, hängen
machen' verwendet und das stark flektierte in der Bedeutung 'aufgehängt sein',
'herunterbaumeln' u.ä. Außerdem lebt das Verb henken (und das Substantiv
der Henker) i.S.v. "am Galgen töten" bis heute weiter.
(Diese
Ausführungen sind eine sehr verkürzte Darstellung des Werdegangs von
hängen, basierend auf dem Deutschen Wörterbuch von Jacob und Wilhelm Grimm,
1877. Wer sich für die genaue Geschichte interessiert, kann dort (Band 10 Spalten 441 bis
453) nachschauen.)
Das alte Verb hangen (ohne Umlaut) ist noch nicht ganz aus dem jetztigen Sprachgebrauch verschwunden. Viele kennen es noch aus dem Spruch "o du Falada, da du hangest," aus dem Märchen "Die Gänsemagd". Nach diesem Muster werden heute noch Sätze gebildet wie:
Das Verb hangen lebt auch noch in Wendungen wie z.B. mitgefangen, mitgehangen; mit Hangen und Bangen. Und auch sonst ist es aus dem modernen Sprachgebrauch noch nicht ganz verschwunden. Man findet hangen 190-mal in den Korpora des Instituts für Deutsche Sprache. Es wird vorwiegend in Zeitungen aus der Schweiz und Österreich, oder in altertümelnden Texten verwendet, aber nicht nur:
Auch fallende gefällte Bäume können des Grammatikers Herz erheitern, wenn der Baumfäller den Baum fällte, und dieser ihm genau vor die Füße fiel, wodurch er über den gefällten Baum gefallen ist!
Es gibt eine Reihe von Kausativ-Resultativ-Verbpaaren, von denen das resultative stark und das kausative schwach flektiert werden. Einige von diesen Verbpaaren unterscheiden sich im Infinitiv nicht voneinander:
Infinitiv | Indikativ Präsens | Präteritum | Perfekt |
jemanden erschrecken | ich erschrecke, er erschreckt jemanden | er erschreckte jemanden | er hat jemanden erschreckt |
erschreckena | ich erschrecke, er erschrickt | er erschrak | er ist erschrocken |
etwas schmelzen | ich schmelze, er schmelzt etwas | er schmelzte etwas | er hat etwas geschmelzt |
schmelzen | ich schmelze, er schmilzt | er schmolz | er ist geschmolzen |
a Es gibt noch ein reflexives sich erschrecken.
Die meisten Verbpaare dieser Art unterscheiden sich aber auch im Infinitiv leicht voneinander. (Der Stammvokal variiert, häufig wird z.B. der Vokal des schwachen Verbs umgelautet):
Infinitiv | Indikativ Präsens | Präteritum | Perfekt |
etwas (meist einen Baum) fällen | ich fälle den Baum, er fällt den Baum | er fällte den Baum | er hat den Baum gefällt |
fallen | ich falle, er fällt | er fiel | er ist gefallen |
etwas irgendwohin legen | er legt etwas irgendwohin | er legte etwas irgendwohin | er hat etwas irgendohin gelegt |
liegen | er liegt | er lag | er hat gelegen |
etwas irgenwohin setzen | er setzt etwas irgendwohin | er setzte etwas irgendwohin | er hat etwas irgendwohin gesetzt |
sitzena | er sitzt | er saß | er hat gesessen |
ein Kind/ein Tier säugen | sie säugt ihre Junge | sie säugte ihre Junge | sie hat ihre Junge gesäugt |
saugenb | er saugt | er sog | er hat gesogen |
ein Tier tränken | er tränkt das Tier | er tränkte das Tier | er hat das Tier getränkt |
trinken | er trinkt | er trank | er hat getrunken |
aAufpassen, dieses Verb hat auch die Bedeutung "im Gefängnis
sitzen".
bAufpassen, es gibt noch das Verb
saugen - saugte - gesaugt wie z. B.
im Satz Wir haben die ganze Wohnung gesaugt.
Es gibt noch weitere stark-schwach-Dubletten mit eigenen Besonderheiten: