Die funktionalen Domänen der NP und ihre Subdomänen

Wir betrachten die Referenz als zentrale funktionale Domäne nominaler Konstruktionstypen, insbesondere der NP, und wir schließen damit an die funktional-typologische Forschung insgesamt an, im Besonderen aber an Seiler (1985, 2000). Wir orientieren uns auch an seiner Unterscheidung zwischen verschiedenen Teilaufgaben oder Subdomänen, wobei er in erster Linie zwischen ,Nomination‘ und ,Determination‘ (in einem erweiterten Sinne dieses Begriffs) unterscheidet.

Seiler (1985, 2000) spricht statt von ,Referenz‘ von (der „universalen Dimension“ oder auch „funktionalen Domäne“) ,Identifikation‘. In seiner Konzeption sind die von uns als Subdomänen betrachteten Teilfunktionen „fokale Instanzen“ innerhalb eines Kontinuums von Teilaufgaben, die innerhalb der NP geleistet werden und die er in Seiler (1985) insgesamt als ,Determination‘ bezeichnet. Dieses Kontinuum umfasse „zwei konvers zueinander stehende funktionale Prinzipien“ (ebd.: 441), nämlich das der Inhaltsfestlegung und das der Referenzfestlegung. Dieser Vorstellung nach sind gewisse Adjektivklassen, etwa die Farb- und Stoffadjektive, die Numeralia und die Demonstrativa fokale Instanzen innerhalb dieses Kontinuums, wobei gilt, dass „Demonstrativa als Referenzfestleger par excellence anzusehen sind, Adjektive als Inhaltsfestleger par excellence, und dass Numeralia die Übergangsposition par excellence markieren“ (ebd.: 442). Inhaltsfestlegung – im Sinne der intensionalen Spezifikation des nominativen Kerns – entspricht in unserem Ansatz der Subdomäne der Modifikation, während Referenzfestlegung in unserem Ansatz als Identifikation gefasst wird. Es bestehen also vor allem im Hinblick auf den Terminus der Identifikation Abweichungen. Auch in unserem Ansatz haben wir Ausdrucksklassen im Blick, die nicht als jeweils fokale Instanzen anzusehen sind, insbesondere Fälle, wo Wortart und prototypische Funktion der Wortart nicht in Einklang stehen, etwa Adjektive wie letzt, vorig, diesbezüglich, die keine Inhaltsspezifikation, sondern Lokalisierung im Rederaum leisten, oder auch z.B. die Possessivpronomina, die zumindest im Deutschen, Englischen und Französischen unserem Ansatz nach sowohl Identifikation als auch verankernde Modifikation leisten.

Wir geben nun zum Zweck einer ersten Orientierung kurze Bestimmungen zur funktionalen Domäne Referenz und ihren Subdomänen, im Einzelnen ist auf die folgenden Teilkapitel von Großkapitel A zu verweisen.

Referenz
Nominalphrasen werden von den Sprechern im Regelfall gebraucht, um zu referieren. Als Typen (types), Gegenstände des Sprachsystems und damit der Grammatik, verfügen NPs über ,Referenzpotential‘, wie wir sagen wollen. Als façon de parler sprechen wir jedoch auch kurz von ,referentiellen NPs‘ oder davon, dass eine Nominalphrase referiert.
Unter Referenz verstehen wir die Beziehung zwischen einem Sprecher, einem sprachlichen Ausdruck und einem außersprachlichen Gegenstand, dem Referenzobjekt. Unserer Konzeption nach kann es sich dabei auch um ein ,Pluralobjekt‘, eine Vielheit von Individuen (wie bei Die drei Kinder spielten im Garten), handeln oder auch etwa um ein Stoffquantum (wie bei Er schöpfte Wasser aus der Regentonne). Auch können Sprecher nicht nur auf konkrete Gegenstände referieren, sondern auf Gegenstände, auf die nominal Bezug genommen wird, im weitesten Sinne, unter Einschluss von Ereignissen, Eigenschaften und anderen abstrakten Gegenständen. Wir legen einen weiten Begriff von ,Referenz‘ zugrunde: Neben der definiten Referenz (wie in Luise singt, Das Kind schläft) unterscheiden wir die indefinite Referenz, die entweder spezifisch erfolgen kann (wie bei Ein guter Freund von mir hat gerade angerufen) oder nicht-spezifisch (wie in Ich suche einen neuen Arbeitsplatz). Auch quantifizierte Nominalphrasen (wie in Drei Männer standen vor der Tür) verstehen wir als einen Spezialfall von referentiellen NPs.

Identifikation
Durch Identifikation wird das Referenzpotential auf einen oder mehrere Gegenstände der Extension beschränkt, und zwar nach Maßgabe der Art und des Grades ihrer Identifizierbarkeit in der jeweiligen Sprechsituation. Es handelt sich also um eine auf Sprechsituationen ausgerichtete und in diesem Sinne pragmatische Beschränkung des Referenzpotentials, die begriffliche Bedeutung und damit die Semantik des nominalen Ausdrucks bleibt, anders als bei der Modifikation, unberührt. Identifikation wird in erster Linie durch Artikel geleistet, die Hinweise auf die Art der Identifizierbarkeit oder Gegebenheit des Referenzobjekts geben können. Aber die funktionale Domäne der Identifikation kann auch ohne direkte lexikalische oder morphologische Kodierung realisiert werden, etwa beim Gebrauch von Eigennamen oder in artikellosen Sprachen wie dem Polnischen.

Nomination
Durch Nomination erfolgt die begriffliche Einordnung von Referenten, auf die mit der betreffenden NP referiert werden kann: Der Sprecher ordnet den bzw. die Referenten als unter diesen Begriff fallend ein. Es liegt somit eine semantische Beschränkung des Referenzpotentials vor: Durch die Wahl des von Hut bezeichneten Begriffs, also des Begriffs ,Hut‘, z.B. in dieser schwarze Hut, werden die in Frage kommenden Gegenstände auf solche beschränkt, die zutreffend durch diesen Begriff charakterisiert werden.

Diese Bestimmung gilt zumindest für diejenigen Referenzakte, bei denen die Identifikation des gemeinten Gegenstandes nur von der sprachlichen Bedeutung des referentiellen Ausdrucks geleitet wird und erfolgreich verläuft, also weder Fehlwahrnehmungen oder Verwechslungen noch bewusst falsche Zuschreibungen vorliegen. Wie Donnellan (1966) zeigt, kann auch in solchen Fällen ein Referenzakt gelingen, wenn der Adressat diese Abweichungen vom kommunikativen Standardfall erkennt und das Gemeinte aus anderen Indizien, z.B. Zeigegesten oder anderen Kontextinformationen, erschließen kann.

Die Benennung des begrifflichen Kerns eines deskriptiven referenzfähigen Ausdrucks, eines Gattungsbegriffs, durch Nomination erfolgt im einfachsten Fall durch ein Substantiv wie Hut, also ein Simplex. Aber auch durch Wortbildung entstandene Einheiten wie die Suffixbildungen Lehrer, Kindchen oder Komposita wie Hutschachtel nehmen diese Funktion wahr. Nomination kann schließlich auch durch syntagmatische Fügungen geleistet werden wie DEU Indischer Elefant, gelber Sack. Bei endozentrischen Komposita und Syntagmen beruht die Nomination in der Regel auf klassifikatorischer Modifikation. Klassifikatorisch modifizierte Begriffe wie Hutschachtel oder Indischer Elefant sind aufgrund ihres Status als feste begriffliche Größen gleichzeitig Nominationseinheiten. Sie werden im mentalen Lexikon der Sprachbenutzer als Einheit gespeichert und – im Falle syntagmatischer Einheiten – im Sprachgebrauch über wiederkehrende Kollokationsmuster, also über den Usus, identifiziert. Nomination ist also in unserem Ansatz eine konzeptuelle Kategorie, die sich sprachlich durch unterschiedliche Techniken manifestiert.

Modifikation
Durch ,Modifikation‘ werden komplexe Begriffe erzeugt: Der durch Begriffswahl, Nomination, bereitgestellte Begriff wird inhaltlich angereichert. Dadurch wird gegenüber der zugrunde liegenden Nomination in der Regel eine semantische Beschränkung des Referenzpotentials erreicht: Mit Hutschachtel kann mit Wahrheit nur auf eine Teilmenge der Gegenstände referiert werden, auf die mit Schachtel referiert werden kann. Aus sprachvergleichender Perspektive ist bedeutsam, dass syntaktische Attribution und morphologische Komposition die gleiche funktionale Domäne der Modifikation realisieren können. Dieses morphologische Verfahren wird daher in die Behandlung einbezogen (vgl. Lehmann 1984: 174).
Wir unterscheiden folgende Typen der Modifikation:

- Klassifikatorische Modifikation

- Qualitative Modifikation

- Referentielle Modifikation

- Assertorische Modifikation

Klassifikatorische und qualitative Modifikation können als zwei Spielarten begrifflicher Modifikation verstanden werden. Der Modifikator selbst ist ein Begriff wie etwa der Begriff ,Hut‘, der mit dem Nominationsbegriff, z.B. ,Schachtel‘ im Falle von Hutschachtel, klassifikatorisch verknüpft wird. Man könnte hier von einer Verknüpfung zweier ,Gegenstandsbegriffe‘ sprechen. Bei qualitativer Modifikation wird prototypischerweise ein Eigenschaftsbegriff, etwa ,schwarz‘, mit einem Gegenstandsbegriff verknüpft wie etwa mit dem Begriff ,Hut‘ bei schwarzer Hut. Klassifikatorische Modifikation ist subsektiv. Es wird ein Unterbegriff zu einem Oberbegriff erzeugt. Extensional liegt eine Teilmengenrelation vor: Hutschachteln sind eine Teilmenge aller Schachteln. Qualitative Modifikation hingegen ist normalerweise intersektiv. Schwarze Hüte fallen sowohl unter den Begriff ,schwarz‘ als auch unter den Begriff ,Hut‘; sie liegen also in der Schnittmenge der Extension beider Begriffe. (Trivialerweise ist dadurch auch die für Modifikation generell gültige Bedingung der Subsektivität gegenüber der Nominationseinheit erfüllt.)

Bei referentieller Modifikation ist der Modifikator ein Referenzobjekt, also ein Gegenstand unter Einschluss von Stoffen, Vielheiten und abstrakten Gegenständen. Der durch Nomination bereitgestellte Begriff wird in Beziehung gesetzt zu einem außersprachlichen Gegenstand / zu außersprachlichen Gegenständen wie etwa bei Hut von Eva oder Schüler aus mehreren Bundesländern. Die Modifikatoren Eva bzw. mehrere Bundesländer sind selbst nominale Ausdrücke, verfügen über Referenzpotential. Die Objekte, auf die mit ihnen referiert wird, werden in eine Beziehung zu den Nominationseinheiten ,Hut‘ bzw. ,Schüler‘ gesetzt, wobei im ersten Fall aufgrund der Verknüpfung durch von eine Possessorrelation anzunehmen ist, im anderen eine lokativische Beziehung, die durch die Präposition aus ausgedrückt wird. Auch bei referentieller Modifikation erfolgt eine Beschränkung des Referenzpotentials: Unter den Begriff ,Hut von Eva‘ fällt nur eine Teilmenge aller Hüte.

Wir fassen auch die Anbindung von referentiellen Argumenten an einen relationalen Kopf wie in Sohn von Eva und Hans oder Verkauf des gesamten Besitzes als referentielle Modifikation und beziehen uns auf die gradienten Abstufungen zwischen Argumentstatus und der im engeren Sinn als Modifikation betrachteten semantischen Form der Anbindung, vor allem aber auf die weitgehenden formalen Parallelen zur im dependentiellen Sinne ,freien Modifikation‘, wie sie in den bisher genannten Beispielen vorliegt. Auch hier kann man von einer inhaltlichen Anreicherung des durch Nomination Bereitgestellten sprechen, wenn auch diese Anreicherung, z.B. bei ,Sohn‘ bzw. ,Verkauf‘, notwendig erscheint und erst von einem Begriffsschema zu einem vollständigen Begriff führt. Wir sprechen jeweils von ,referentiell-verankernder‘ und ,referentiell-sättigender‘ Modifikation, wenn wir die beiden Typen nach ihrer kompositionalen Funktion unterscheiden.

Bei assertorischer Modifikation erfolgt die semantische Anreicherung des durch Nomination bereitgestellten (und ggf. bereits modifikativ erweiterten) Begriffs dadurch, dass er in Beziehung gesetzt wird zu einer Proposition, die der Sprecher (in der wirklichen oder einer möglichen Welt) als wahr betrachtet. Entsprechende Ausdrucksformen sind in den Vergleichssprachen Relativsyntagmen wie in Das Problem, das wir hier sehen / das man hier sehen könnte, ist nicht lösbar oder Partizipialattribute wie Ein bisher nicht gelöstes Problem ist folgendes. Hier wirken die Modifikatoren restriktiv und die entsprechende Proposition wird somit präsupponiert, als wahr vorausgesetzt. Bei ln Berlin, das heute als Mekka der europäischen Kulturszene gilt, beginnt heute die Berlinale handelt es sich um nicht-restriktive Modifikation, die Proposition wird also als solche erst als wahr gesetzt und behauptet. Wir machen hier somit von einem erweiterten Konzept der Assertion Gebrauch, bei dem es um die Betonung der sprecherseitigen Festlegung auf das Zutreffen der Proposition geht.

Nominale Quantifikation
Bei nominaler Quantifikation bleibt der komplexe Begriff, der auf der Basis von Nomination und Modifikation bezeichnet wird, unangetastet, vielmehr erfolgt eine quantitative Beschränkung des Referenzpotentials: Auch bei drei schwarze Hüte liegt der komplexe Begriff vor, der durch Modifikation aus der Nominationseinheit ,Hut‘ mittels des qualitativen Modifikators ,schwarz‘ hervorging. Der Quantifikator ,drei‘ beschränkt die Anzahl der Entitäten, auf die bei einer referentiellen Verwendung des Ausdrucks Bezug genommen wird und die unter den Begriff ,schwarzer Hut‘ fallen, auf drei. Nominale Quantifikation ist somit in unserem Ansatz keine Form der Modifikation, sondern eine eigenständige Subdomäne.

Den hier unterschiedenen vier Subdomänen (mit den Subtypen bei der Modifikation) können nicht in jedem Fall eindeutig alle vorkommenden Teilkonstituenten von nominalen Syntagmen zugeordnet werden. Es ist mit zahlreichen Grenzfällen oder auch Übergangserscheinungen zu rechnen. Insofern ist die seilersche Vorstellung, es handle sich hier um ein Kontinuum, teilweise zutreffend. Ein Beispiel für Randphänomene der klassifikatorischen Modifikation (vgl. → A4.2) sind die Materialbezeichnungen in adjektivischer Form oder als Erstglied von Komposita wie hölzern bzw. Holz­ z.B. in ein großer, runder hölzerner Tisch / ein großer runder Holztisch sowie die Bezeichnungen für Nationalitäten, Ethnien und geografische Gebilde wie italienisch in italienischer Wein, italienische Schuhe. Privative Adjektive wie falsch oder angeblich in ein falscher Fünfziger, ein angeblicher Freund scheinen sich den Kriterien, die wir für begriffliche Modifikation ansetzen, zu widersetzen, insofern als sie gemäß einer intuitiven Analyse weder subsektiv noch intersektiv sind (vgl. aber → A4.1.2). Auch pseudo-referentielle Modifikation wie in Königsmord, Kohl-Sohn (vgl. → A4.3.3.5.2) ist eines von zahlreichen weiteren Beispielen, anhand derer in dieser Grammatik die graduelle Abstufung in der Erfüllung von Kriterien für bestimmte Kategorien und Funktionen demonstriert wird.
Außerdem ist die „attitudinal modification“ zu nennen (vgl. Rijkhoff 2010), mit der der Sprecher seine emotionale Einstellung, Gefühle wie z.B. Sympathie oder Verachtung, gegenüber einem Referenzobjekt ausdrückt, wie z.B. in DEU du armes Kind oder NDL Stakkels dig ,du Armer‘. Sie erfolgt nicht durch einen einzigen (modifizierenden) Ausdruck, sondern manifestiert sich in der Regel gleichzeitig durch verschiedene morphosyntaktische, prosodische und andere Mittel wie etwa die Stimmfärbung. Auf diesen Typ gehen wir nicht systematisch ein; man vergleiche jedoch zu Pronominalphrasen wie ich Armer (→ B1.5.1.9) und zu attitudinalen Adjektiven in Verbindung mit Eigennamen (→ B1.4.3).
Neben Seilers Konzeption ist der Ansatz von Rijkhoff (2004, 2009a, 2010) verwandt mit dem hier vorgestellten Ansatz, vor allem was die Subklassifikation der funktionalen Domäne Modifikation angeht. Die wichtigsten Unterschiede gegenüber Rijkhoff bestehen darin, dass wir Quantifikation als eigenständige Subdomäne von der Modifikation abtrennen und andererseits die Argumentsättigung als Variante der referentiellen Modifikation fassen.

Was weitere Unterschiede im Detail angeht, so nimmt Rijkhoff (2010) neben der bereits erwähnten querliegenden „attitudinal modification“ fünf Typen der Modifikation an, die er im Sinne von Diks Functional Grammar als „layers of modification“ begreift: klassifikatorische (classifying), qualitative (qualifying), quantifikative (quantifying), lokalisierende (localizing) und diskursreferentielle (discourse-referential) Modifikatoren. (In Rijkhoff 2004 werden diskursreferentielle Einheiten, etwa Artikel und Demonstrativa, noch unter die lokalisierenden subsumiert.) In diesem Modell werden sowohl Funktionswörter (Artikel, Pronomina) als auch Inhaltswörter und Syntagmen als Modifikatoren betrachtet; er spricht jeweils von Operatoren (operators = grammatische Modifikatoren) und Satelliten (satellites = lexikalische/phrasale Modifikatoren). Wir fassen Modifikation jedoch enger im Sinne einer semantisch-deskriptiven Anreicherung und haben daher die diskursreferentielle Funktion, sofern sie durch Funktionswörter geleistet wird, von der Modifikation abgetrennt und der funktionalen Subdomäne der Identifikation zugeordnet.

Zu verweisen ist auch auf Löbner (2016), der an die rijkhoffschen Ebenen der NP-Bedeutung anschließt – er spricht von „nominal onion“ – und diese im Sinne der logischen Semantik präzisiert.

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Autor(en)
Gisela Zifonun
Bearbeiter
Lale Bilgili
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