Variabilitätsfaktoren

Für die Variabilität grammatischer Erscheinungen lassen sich bekanntlich einerseits sprachimmanente, andererseits außersprachliche Faktoren ausmachen. Betrachtet man z. B. die Fugenelemente bei Nominalkomposita, so stellt sich heraus, dass das Auftreten eines Fugenelements zum einen durch einen bestimmten unmittelbaren Kontext bedingt sein kann (z. B. die s-Fuge durch den Suffix -schaft in Wirtschaftsminister oder die en-Fuge durch das Maskulinum auf -ent in Präsidentenpalast), zum anderen durch eine bestimmte regionale Herkunft des Textautors (Adventskalender bei bundesdeutschen und Schweizer Autoren, Adventkalender bei österreichischen Autoren).

Eine exemplarische korpuslinguistische Behandlung findet sich in Maschinelles Lernen zur Vorhersage von Fugenelementen in nominalen Komposita. Im Rahmen des Projekts Korpusgrammatik entstand außerdem die Pilotstudie von Donalies (2011).

Man hätte von vornherein argumentieren können, dass bei sprachimmanenten Faktoren wie im ersteren Fall mit den beiden Fugenelementen gar keine richtigen Varianten vorliegen, denn die Fugenelemente treten in einem jeweils anderen Umfeld auf. Dass ihr Auftreten eben mit einem jeweils anderen Kontext korreliert, kann man aber nicht immer im Voraus zuverlässig wissen, sondern oft erst nach einer eingehenden Korpusanalyse. Aus Gründen der Heuristik empfiehlt es sich deshalb, alle Fugenelemente vorerst (im Sinne der Bestimmungen von Abschnitt Variabilität bezüglich mehrerer grammatischer Phänomene) als Varianten mit der gleichen grammatischen Funktion als Tertium Comparationis zu betrachten. Dies scheint umso berechtigter, als bei den genannten Auslauten sporadisch doch manchmal anders verfugt wird (man denke z. B. an Erbschaftsteuer) und auf bestimmte Erstglieder mehrere verschiedene Fugenelemente folgen können (z. B. Landesamt, Landsmann, Landtag).

Die eine wichtige Aufgabe der geplanten Untersuchungen ist die Aufdeckung solcher Distributionsbedingungen bzw. -präferenzen für grammatische Phänomene, also die Ermittlung der sprachimmanenten Faktoren ihrer Variabilität. Die andere wichtige Aufgabe richtet sich auf die außersprachlichen Faktoren. Traditionell wird davon ausgegangen, dass Sprache diachronisch, diatopisch, diastratisch und diaphasisch variiert, also in Abhängigkeit der Parameter ‚Zeit‘, ‚Ort‘, soziale Eingruppierung der Kommunikanten‘ und ‚Situation‘ (vgl. z. B. Berruto 2010, S. 226f.). Das Besondere an solchen außersprachlichen Parametern ist, dass man schon bei der Korpuszusammenstellung dafür sorgen kann, dass diese mutmaßlichen Variabilitätsfaktoren durch eine entsprechende Auswahl von Texten/Textsorten adäquat repräsentiert werden. Für dieses Vorhaben bedeutet dies zuweilen einen Balanceakt, wenn man an die einschränkenden Vorgaben denkt, welche die Festlegung auf standarddeutsche Texte/Textsorten mit sich bringt (vgl. Was sind standarddeutsche Texte?). In jedem Fall müssen sich aber die Ergebnisse der Korpusanalysen so sortieren lassen, dass die Bedeutung der mutmaßlichen Variabilitätsfaktoren überprüft werden kann, was in der Praxis auf die Einrichtung von Teilkorpora hinausläuft, welche verschiedene Ausprägungen der relevanten Parameter repräsentieren.

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Autor(en)
Marek Konopka
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