AcI-Konstruktionen
Aus DeReKo 2014-II wurden Sätze mit AcI-Konstruktionen unter den Wahrnehmungsverben sehen, hören, fühlen, spüren, riechen (in der Reihenfolge ihrer Häufigkeit) extrahiert. Die Belege entsprachen folgenden Suchmustern:
Infinitiv - Partizip des Wahrnehmungsverbs
Das Muster steht für Konstruktionen folgender Typen:
Als ich dann die Kinder im „Malteser Treffpunkt Freizeit“ tanzen gesehen habe, war ich hin und weg! [Potsdamer Neuste Nachrichten, 06.11.2008; Tanzbegeistert]
Infinitiv - Infinitiv des Wahrnehmungsverbs - finites Hilfs- oder Modalverb
Das Muster steht für Konstruktionen folgender Typen:
Als Erwachsener definiert David Glück kaum anders, nur daß es heute Geliebte sind, die er an sich geschmiegt in seinen Nacken atmen fühlen will. [die tageszeitung, 24.07.1993, S. 33; Rattenkrebs-Reality]
Finites Hilfs- oder Modalverb - Infinitiv - Infinitiv des Wahrnehmungsverbs
Das Muster steht für Konstruktionen folgenden Typs:
Die automatische Extraktion erbrachte 6478 Belegstellen, von denen nach Durchsicht aller Belege durch mindestens zwei Annotatoren 4054 Belegstellen als korrekt klassifiziert wurden. Diese korrekten Belege verteilten sich wie folgt auf die einzelnen Wahrnehmungsverben:
sehen | hören | fühlen | spüren | riechen | |
Belegzahl | 3017 | 1027 | 6 | 4 | 0 |
Wie schon in der Untersuchung von Fuß/Konopka/Wöllstein 2017 überwiegen bei weitem die AcI-Konstruktionen bei sehen (hier mit einem Anteil von über 74%). Häufig erscheinen die AcI-Konstruktionen noch bei hören. Bei fühlen, spüren und riechen waren sie äußerst selten bzw. gar nicht zu finden. Neben den AcI-Konstruktionen wurden als korrekt übrigens auch ähnliche Konstruktionen ohne Akkusativ gewertet, die sich sporadisch bei hören fanden, z. B.:
Ich habe reden hören von einem Land, das viele Tagesreisen über dem Meer liegt. [Frankfurter Rundschau, 24.02.1999, S. 8, Ressort: LOKAL-RUNDSCHAU; Vom Leben im "welschen Dorf"]
Was wollten die falschen Seeleute am Flughafen? […] Haben sie sich vernavigiert und wollten von dort aus in See stechen? Weil sie haben munkeln hören, am Flughafen gebe es Luftschiffe? [die tageszeitung, 11.11.2011, S. 20; Gurke des Tages]
In diesen Konstruktionen bleibt der Agens der durch den Infinitiv bezeichneten Handlung unausgedrückt. Sie lassen sich mithilfe unpersönlicher Passivkonstruktionen paraphrasieren, vgl. zum letzten Beleg:
Der den Agens bezeichnende Akkusativ kann unter anderen Umständen erscheinen (im obigen Fall: irgendjemanden/Leute munkeln hören), sodass hier eine Diathese zur regulären Aci-Konstruktion vorliegt, die Fragen für die weitere empirische und theoretische Forschung aufwirft, die an dieser Stelle aber nicht weiter verfolgt werden können.
Um sicherzustellen, dass es für die einzelnen Kategorien der sprachexternen Variabilitätsfaktoren wie Medium oder Register genug Belege mit dem gleichen Wahrnehmungsverb gibt, um Aussagen zur Abhängigkeit der AcI-Häufigkeit von jedem Metadatum zu treffen, wurden die statistischen Analysen der Daten auf die sehen-Belege beschränkt.
Ergebnisse der Analysen
Analysiert wurde als abhängige Variable die Häufigkeit von sehen mit der AcI-Konstruktion normiert an allen Vorkommen des Lemmas sehen. Die normierten Häufigkeiten wurden für die einzelnen Kategorien (Ausprägungen) der Variabilitätsfaktoren Medium, Register, Domäne, Jahrzehnt, Land und Region berechnet.
Beispielhafte Erfassung der Häufigkeiten bei ‚Medium‘
Häufigkeit des sehen-ACI:
Presse | 2788 |
Bücher | 47 |
Wikipedia | 84 |
Reden | 96 |
Sonstiges | 2 |
Häufigkeit aller Vorkommen des Lemmas sehen:
Presse | 5009403 |
Bücher | 39111 |
Wikipedia | 745273 |
Reden | 299464 |
Sonstiges | 10941 |
Normierte Häufigkeit des sehen-ACI:
Presse | 556.5533 |
Bücher | 1201.7080 |
Wikipedia | 112.7104 |
Reden | 320.5728 |
Sonstiges | 182.7986 |
Anschließend wurde mithilfe der Chi-Quadrat-Tests für jeden Faktor die Signifikanz der festgestellten Häufigkeitsunterschiede geprüft. Im Ergebnis wurden bei jedem der untersuchten Variabilitätsfaktoren signifikante Häufigkeitsunterschiede im Hinblick auf seine Ausprägungen festgestellt. Dabei bestätigten sich insbesondere die schon in Fuß/Konopka/Wöllstein 2017 ausgemachten Tendenzen:
- AcI-Konstruktionen bei sehen erscheinen am häufigsten im Medium ‚Buch‘ und dem Register ‚literarische Texte‘; damit sind sie auch in der Domäne ‚Fiktion‘ überrepräsentiert. Das Gesamtbild wird jetzt durch die Feststellung vervollständigt, dass AcI-Konstruktionen in den im Medium ‚Internet‘ erscheinenden Wikipedia-Texten bzw. im Register ‚Gebrauchstexte‘ besonders unterrepräsentiert sind.
Die Pearson-Residuen sind in der Reihenfolge der Säulen gelistet; hervorgehoben sind diejenigen Residuen, die die Signifikanz des Testergebnisses verantworten.
X-squared = 318.88,
df = NA, p-value = 0.0004998 (simulated, based on 2000
replicates)
Pearson-Residuen: 6.27 6.29 -14.82 -4.28 -1.47
X-squared = 302.46, df = NA, p-value = 0.0004998 (simulated, based on 2000
replicates)
Pearson-Residuen: 6.80 -14.85 5.97
X-squared = 198.27, df = NA, p-value = 0.0004998 (simulated, based on 2000
replicates)
2.40 11.30 4.58 -2.43 -3.56 -5.03
- AcI-Konstruktionen bei sehen nehmen in Texten aus den letzten Jahrzehnten kontinuierlich ab. Die Abnahme ist seit 1990 feststellbar.
X-squared = 123.56, df = NA,
p-value = 0.0004998 (simulated, based on 2000 replicates)
2.56 0.57
2.63 7.42 1.22 -7.29
Nicht so auffällig bzw. nicht eigenständig interpretierbar sind die Häufigkeitsschwankungen in Abhängigkeit von den Variabilitätsfaktoren ‚Land‘ (die Überrepräsentation der AcI-Konstruktionen in Deutschland vor 1991 lässt sich nicht von der zeitlichen Entwicklung trennen) und Region (für die größten Häufigkeitsschwankungen sind Texte verantwortlich, die entweder als ‚überregional‘ oder als – der Herkunft nach – ‚unbekannt‘ bzw. ‚nicht zuordenbar‘ klassifiziert sind).