Welche Bedeutungen hat Grammatik?

"Zu viele Grammatikfehler!" schreiben Deutschlehrer gelegentlich unter die Arbeiten ihrer Schüler. Welche Grammatik ist gemeint?

Im Altgriechischen bedeutete grammatiké techné einfach "Lehre von den Buchstaben". Im europäischen Mittelalter wurde mit Grammatik alles bezeichnet, was die lateinische Sprache betraf: Sprachlehre, Stillehre und Rhetorik. Auch heute hat das Wort Grammatik unterschiedliche Bedeutungen, von denen vier kurz skizziert werden sollen:

  1. Das strukturelle Regelsystem (bei de Saussure: "langue"), das dem kompetenten Sprecher das Verstehen und Produzieren der jeweiligen Sprache ermöglicht. (Mit sechs Jahren beherrscht ein Kind die wesentlichen Elemente der Grammatik.)
  2. Die Gesamtmenge der Regeln einer natürlichen Sprache, meist beschränkt auf Morphologie und Syntax (Die deutsche Grammatik kennt keinen Dualis.)
  3. Die explizite Beschreibung grammatischer Regeln und Regularitäten, z. B. in einem Buch (Das musst du in der Grammatik nachschlagen.)
  4. Grammatische Theorien, die oft "Schulen" oder Grammatikmodelle bilden wie z. B. Konstituentenstrukturgrammatik, Transformationsgrammatik, funktionale Grammatik, Dependenzgrammatik oder Kategorialgrammatik (Das ist eine der Stärken der Dependenzgrammatik und der Kasusgrammatik.)

In Bezug auf die Bedeutungen 3 und 4 ergeben sich viele Grammatiktypen, von denen einige kurz charakterisiert werden sollen:

  • Die Bezeichnung "Schulgrammatik" oder "Traditionelle Grammatik" wird oft für einen Kanon an grammatischen Regeln, verbunden mit einer bestimmten Terminologie, verwendet, der sich - besonders im muttersprachlichen Unterricht der Gymnasien - herausgebildet hat und in Lehrplänen festgeschrieben ist.
  • Wissenschaftliche Grammatiken beschreiben eine Sprache (heute meist die Gegenwartssprache in ihrer mündlichen und schriftlichen Ausprägung unter Heranziehung empirischer Methoden) möglichst umfassend, ohne Bewertungen und auf einer explizit dargestellten theoretischen Grundlage. Sie sind nicht normativ, sondern beschreiben die reale Sprachwirklichkeit.
  • Eine Resultatsgrammatik wie z. B. die "Duden-Grammatik" beschreibt die Sprache auf der Grundlage gesicherter Forschungsergebnisse. Sie legt also nicht oder nicht primär Wert auf eigene Forschungsergebnisse und will oft auch Normen für guten Gebrauch vermitteln ("Standardgrammatik").
  • "Didaktische Grammatik" steht für eine Grammatikbeschreibung, die i.d.R. auf das Lehren und Lernen einer (fremden) Sprache bezogen ist (z. B. eine Französisch-Grammatik für Deutsche oder eine Deutsch-als-Fremdsprache-Grammatik). Sie kann sich stärker an die Lehrenden wenden oder stärker an die Lernenden (im letzteren Fall wird sie auch "pädagogische Grammatik" genannt). Sie kann auf ein bestimmtes Lehrwerk bezogen sein und hat dann meist auch eine didaktische Progression, oder sie ist lehrwerkunabhängig. Sie muss nicht einem bestimmten grammatischen Modell verpflichtet sein.

Die oben genannten Grammatiken beziehen sich i.d.R. auf eine Sprache, sind also Einzelgrammatiken. Wenn sie zwei oder mehr Sprachen beschreiben und vergleichen, handelt es sich um kontrastive Grammatiken:

  • Eine kontrastive Grammatik (manchmal auch "konfrontative Grammatik" genannt) beschreibt i.d.R. die Gemeinsamkeiten und Unterschiede zweier Sprachen, entweder als wissenschaftliche oder als didaktische Grammatik.

Die meisten der skizzierten Grammatiktypen sind synchrone Grammatiken, beschreiben also die Gegenwartssprache im Gegensatz zu diachronen bzw. historischen Grammatiken, die die Veränderungen und Entwicklungstendenzen einer Sprache im Verlauf ihrer Geschichte zum Gegenstand haben, z. B. bestimmte Lautverschiebungen ("Grimms Gesetz").

Neben den Einzelgrammatiken und den kontrastiven Grammatiken gibt es noch die "Universalgrammatik", die im Sinne von Typ 1 oben nach gemeinsamen Eigenschaften der menschlichen Sprachen ("Universalien") sucht. Sie erforscht u.a., welche sprachlichen Phänomene bestimmte andere bedingen, z. B.: Sprachen, die eine Numeruskategorie für paarige Einheiten haben ("Dualis"), haben immer auch einen Plural, aber nicht umgekehrt.

Quer zu den bisher genannten liegt die Unterscheidung in normative Grammatiken, die Aussagen über richtigen Sprachgebrauch machen, und deskriptive Grammatiken, die Sprachmaterial ohne Bewertung zu beschreiben versuchen.

Je nach Publikationsmedium kann man Buchgrammatiken (als Printausgaben) unterscheiden von digitalen Grammatiken (z. B. als Online-Grammatiken mit Hypertextstruktur).

ProGr@mm ist eine deskriptive, nicht kontrastive didaktische Grammatik des Deutschen auf wissenschaftlicher Basis in der Form einer Online-Grammatik.

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