Welche Gegenstandsbereiche kann eine Grammatik behandeln?

Je nach Betrachtungsweise kommt man zu unterschiedlichen Gliederungen des Gegenstandsbereichs: Wenn man die spezifischen Ausprägungen einer Sprache im Auge hat, denkt man spontan an Standardsprache, Varietäten, Dialekte. In Wirklichkeit ist die Gliederung diffiziler, wie in der folgenden Grafik mit den wichtigsten Subtypen angedeutet:

Alle Subtypen stellen Varietäten des Deutschen dar.

Die Standardsprache (früher sagte man "Hochsprache") ist das Beschreibungsobjekt der meisten Grammatiken. Mit Standardsprache wird die überregionale Form der Sprache bezeichnet, die in der öffentlichen Kommunikation (Presse, Medien, Politik, Wissenschaft) verwendet und im ganzen deutschen Sprachraum verstanden wird. Es gibt zahlreiche Definitionsversuche zum Standarddeutschen.

Der Gegenstandsbereich (natürliche) Sprache kann medial gegliedert werden und zwar in die zwei Realisierungsformen gesprochene Sprache und geschriebene Sprache. Gesprochene Sprache gibt es vermutlich seit mehreren zehntausend Jahren, die frühesten Schriftsysteme haben sich aber erst vor ca. 5000 Jahren entwickelt. Die geschriebene Sprache ist also sekundär, jedoch nicht die geschriebene Version der gesprochenen Sprache. Nicht alles, was gesprochen wird ist deshalb schon gesprochene Sprache. Schriftliche Texte, die verlesen werden wie z.B. die Nachrichten im Radio, gehören zur Schriftsprache. Beide Sprachformen basieren zwar auf dem gleichen Sprachsystem, sie haben aber jeweils spezifische Eigenschaften.

Für die gesprochene Sprache ist typisch, dass Laute oder Lautketten verändert oder weggelassen werden können (Gibst du mir mal einen Nagel?Gibsde mir man Nagel?), und dass mit der Sprechmelodie und der Akzentuierung Bedeutung spezifiziert oder verändert werden kann (Er kommt morgen.Er kommt morgen?↑). Die Syntax der gesprochenen Sprache ist gekennzeichnet durch Ellipsen und Wiederholungen, durch Abbrüche und Korrekturen.

Die geschriebene Sprache ist aufgrund von höherer Planbarkeit und (nicht bemerkbaren) Korrekturen syntaktisch besser durchstrukturiert und scheint einer grammatischen "Norm" näher zu stehen. Das allerdings nur, weil die meisten Grammatiken auch heute noch überwiegend die geschriebene Form der Sprache beschreiben.

Die gesprochene und geschriebene Form der Sprache sind aufeinander bezogen, aber nicht durchgehend als Eins-zu-Eins-Entsprechnung. So gibt es für den Laut [o:] (= langes geschlossenes O) mehrere schriftliche Realisierungen: oder, ohne, Boot, Soest und für den Buchstaben <e> die phonetischen Realisierungen [e:] wie in Tee, [E] wie in denn und [↔] wie in Name.

ProGr@mm bezieht die gesprochene Sprache an relevanten Stellen in die Beschreibung mit ein. So gibt es eine thematische Einheit "Prosodie" und auch bei den Abtönungspartikeln als primär gesprochensprachlichen Einheiten werden betonte und unbetonte unterschieden (Das wissen Sie ja. - Sag das ja nicht deinem Vater.).

Als regionale (oder areale) Varietäten werden i.d.R. Dialekte bzw. regional gefärbte Umgangssprachen angesehen. Von einigen deutschen Dialekten gibt es zusammenhängende grammatische Beschreibungen (z.B. vom Rheinischen oder vom Bairischen). Unter funktionalem Aspekt werden u.a. Fach- oder Berufssprachen (Medizinersprache, Juristensprache) unterschieden. Soziale Varietäten können sich z.B. auf Altersunterschiede (Jugendsprache - Alterssprache) auf Geschlechtsunterschiede (Frauensprache - Männersprache) oder auf bestimmte Gruppen (Schülersprache) beziehen.

Man kann darüber hinaus den Gegenstandsbereich unter einer zeichentheoretischen (semiotischen) Perspektive gliedern, also

  • nach den Relationen der Zeichen untereinander und den Regeln, nach denen sie zu jeweils größeren Einheiten zusammengefügt werden können (Syntax),
  • nach der Relation zwischen Zeichen und deren Bedeutung, genauer: zwischen Zeichen und den von ihnen bezeichneten außersprachlichen Gegenständen, Sachverhalten usw. (Semantik) und schließlich
  • nach der Relation zwischen Zeichen und deren Verwendung durch Menschen, also auch der Beziehung zwischen Sprecher, Hörer und Zeichen (Pragmatik).

Streng genommen sind diese drei nicht unmittelbar Gegenstandsbereiche der Grammatik, sondern Perspektiven oder Dimensionen, unter denen grammatische Regularitäten beschrieben werden können. Aber da es Publikationen mit Titeln wie "Deutsche Syntax", "Syntax der deutschen Gegenwartssprache" oder "Deutsche Satzsemantik" gibt, wird deutlich, dass diese Dimensionen mittelbar doch grammatische Gegenstandsbereiche konstituieren.

In den meisten Grammatiken ist der syntaktische Aspekt zentral. Bei der Beschreibung des Aufbaus von größeren Einheiten aus kleineren spielt die semantische Dimension eine große Rolle, wie z.B. auch bei der Kategorisierung der Nebensätze. Im Rahmen der Syntax wird auch die Morphologie behandelt, die ansonsten in der semiotischen Dreigliederung keinen eigenen Ort hat. Der pragmatische Aspekt wird in den Grammatiken kaum berücksichtigt.

Der Objektbereich von ProGr@mm ist die Standardsprache. Zentral ist die syntaktische Dimension mit Berücksichtigung der semantischen Dimension u.a. bei der Komposition von Phrasen und Sätzen. Die pragmatische Dimension spielt z.B. bei der Untergliederung der Pronomina in "Sprecher-Pronomen" und "Hörer-Pronomen" und bei der Beschreibung der Abtönungspartikeln eine Rolle.

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