Was hat Sprache mit Zeichen zu tun?
"Ein Zeichen ist etwas, durch das wir, indem wir es kennen, etwas mehr wissen." (Charles Sanders Peirce, 1839–1914, Begründer der modernen Semiotik)
Sprache besteht aus Zeichen. Über diese Aussage besteht innerhalb der Linguistik relative Einigkeit. Darüber, was ein Zeichen ist bzw. was einen Ausdruck zu einem Zeichen macht, gibt es allerdings unterschiedliche Auffassungen.
Zeichen besitzen intern je nach Zeichenauffassung unterschiedliche Relationen und durch die unterschiedlichen Relationen auch unterschiedliche Funktionen. Wir beziehen uns, dann wenn wir innerhalb von ProGr@mm von Zeichen sprechen, auf den Zeichenbegriff des Genfer Strukturalisten Ferdinand de Saussure. Nach de Saussure ist das sprachliche Zeichen bilateral: Es besteht aus einer Ausdrucksseite und einer Inhaltsseite. Ausdruckseite und Inhaltseite sind dabei miteinander verbunden wie die Vorder- und die Rückseite eines Blattes Papier. Die Teile des sprachlichen Zeichens "image acoustique" (Lautbild) und "concept" (Vorstellung) sind nicht materiell, sie existieren beide nur in unserer Vorstellung. De Saussure verwendet zur Illustration seines Zeichenkonzeptes den Baum. Das sprachliche Zeichen Baum besteht im Deutschen aus dem Lautbild /baum/ und der dazu gehörenden Vorstellung eines Baumes beim Hören des Lautbildes.
Unter einem umfassenden semiotischen (zeichentheoretischen) Aspekt, kann man mit einem anderen Semiotiker, Umberto Eco, so weit gehen, die komplette Welt als zeichenhaft zu betrachten. Bei dieser Annahme bestünde unsere Welt ausschließlich aus Zeichen, welche Bedeutung besitzen und dadurch interpretierbar wären. Unter einem eingeschränkteren semiotischen Aspekt, wenn wir nur ein - nach de Saussure das wichtigste - Zeichensystem, nämlich das der Sprache betrachten, können wir feststellen, dass das Zeichensystem Sprache aus unterschiedlichen Typen von Zeichen besteht.
Die klassische Zeicheneinheit der Sprache ist das Wort. Wörter werden in der alltäglichen Kommunikation dazu verwendet, um auf die außersprachliche Realität Bezug zu nehmen. Das Wort selbst ist weiter segmentierbar in kleinere Zeichen, die Morpheme. Morpheme sind die kleinsten bedeutungstragenden Einheiten der Sprache, die eine Ausdrucks- und Inhaltseite besitzen. Die Zusammensetzung Kindergarten besteht aus zwei Wörtern, Kinder und Garten, wobei das erste in zwei Morpheme segmentierbar ist: Kind- und -er. Das zweite Wort besteht aus nur einem Morphem Garten. Kind- und Garten besitzen jeweils eine lexikalische Bedeutung, -er hat in diesem Fall eine grammatische Bedeutung. Ob -er neben der grammatischen Information Plural den Kasus Nominativ, Akkusativ oder Genitiv trägt, ist kontextlos nicht entscheidbar.
Die Morpheme - wenn man sie weiter segmentiert - bestehen aus bedeutungsunterscheidenden Einheiten, den Phonemen. Phoneme besitzen im Gegensatz zu den Wörtern und den Morphemen keine Bedeutung, tragen aber dazu bei, Bedeutungen zweier oder mehrerer Wörter zu unterscheiden. Die Phoneme /r/, /z/, /k/, /m/, /f/, /d/ sind zum Beispiel verantwortlich für die Bedeutungsunterschiede zwischen rein, sein, kein, mein, fein, dein. Als einzelne Einheiten haben sie keine Inhaltsseite (kein Signifikat), es sei denn, sie werden z. B. als Abkürzungen verwendet. m als Abkürzung für Meter hat natürlich die Bedeutung, eine bestimmte Maßeinheit für Strecken zu sein.
Eine besondere Zeichenhaftigkeit weisen die Phraseologismen (feste Syntagmen) auf. Ausdruckseitig sind Phraseologismen segmentierbar, inhaltsseitig sind sie das nicht. Der Phraseologismus Haus und Hof in Sie haben während des Krieges Haus und Hof verloren. ist auf der Ausdrucksseite in die Substantive Haus, Hof und den Konjunktor und zerlegbar, er besitzt aber nur eine Gesamtbedeutung, nämlich den gesamten Besitz. Die Summe der Bedeutung der einzelnen Ausdruckseinheiten entspricht also nicht der Gesamtbedeutung des Phraseologismus.
Andere Zeichenauffassungen sehen noch eine dritte Relation hin zum tatsächlich existierenden Objekt vor. Charles Sanders Peirce z.B. fügt neben der Bedeutungs- und Ausdrucksebene eine dritte Ebene hinzu, welche die Relation zwischen Zeichen und dem tatsächlichen Objekt herstellt. Die Ausdrucksebene bezeichnet er als "Sign" bzw. "Repräsentamen", die Inhaltsebene nimmt der "Interpretant" (nicht zu verwechseln mit dem Interpreten) ein. Die dritte hinzugekommene Ebene ist die des "Object". Auf Subebenen aller dieser drei fundamentalen Ebenen werden wir nicht näher eingehen. Eine Dimension jedoch soll hier noch betrachtet werden:
Eine zweite triadische Differenzierung bei Peirce betrifft die Art des Bezuges des Zeichens zum Objekt. Der Bezug zur außersprachlichen Welt kann nämlich indexikalischer, ikonischer oder symbolischer Art sein. Ein Zeichen ist ein Index dann, wenn es nicht intentional hervorgebracht wird und nur auf einen Zustand oder Sachverhalt verweist. Ein steigendes Thermometer ist z. B. ein Index für zunehmende Temperatur. Dialektale Verwendung von sprachlichen Zeichen weist auf die geografische Herkunft des Sprechers hin. Es gibt auch Beispiele für ikonische Sprachzeichen. Sie stehen in einer Ähnlichkeitsbeziehung zu ihrem dargestellten Objekt. Die onomatopoetischen Wörter (Lautwörter und Lautmalereien), die tatsächliche, in der Natur vorkommende, Laute nachahmen, gehören zu dieser Kategorie. Das am häufigsten genannte Beispiel ist das Wort Kuckuck, das den Ruf des Kuckucks repräsentiert, und die Comicsprache ist voller ikonischer Zeichen wie z. B. peng, zack ... Die meisten Zeichen einer Sprache sind allerdings Symbole. Das Charakteristische von symbolischen Zeichen ist ihre Arbitrarität. Sie haben keinen erkennbaren Bezug zu dem Gedanken oder dem Objekt den oder das sie bezeichnen. Sie sind also unmotiviert und werden willkürlich gebildet. Die Ausdrücke (oder deren Lautgestalt) Bücher, books, livres, libri haben wenig gemein mit den Objekten, welche sie gewöhnlich in den verschiedenen Sprachen repräsentieren.