Besonderheiten in der Position des Verbs

Aussagesätze mit Verberststellung

(1) Wie fühlt er sich? „Geht so“, sagt der Senior. (Braunschweiger Zeitung, 31.05.2010)
(2) „Ich war nämlich letzte Woche in der Schweiz. Jawohl! Bin da hingefahren mit dem Zug (Rhein-Zeitung, 01.03.2013, S. 2)
(3) „Und wenn Sie mich jetzt fragen, warum das so ist, dann muss ich Ihnen sagen: Weiß ich nicht ( dpa 05.06.2015, 709)
In (1) bis (3) steht das Verb in der Erstposition. Sätze mit dem Verb in der Erstposition gibt es auch In der geschriebenen Sprache. Das sind zum Beispiel Entscheidungsfragen, Aufforderungen, Wunschsätze oder Exklamativsätze (siehe Verberstsätze). Gehören die Sätze in (1) bis (3) zu diesen Satztypen?

Die fett markierten Sätze in (1) bis (3) sind keine Verberstsätze im engeren Sinne. Das Verb steht nur deshalb in der Erstposition, weil bestimmte Satzteile wegfallen: „[Es] geht so“, „[Ich] bin da hingefahren mit dem Zug“, „[Das] weiß ich nicht“.

Im gesprochenen Deutsch kann das Verb manchmal auch in ganz normalen Aussagesätzen in der Erstposition stehen. In den meisten Fällen fällt ein Pronomen weg, das normalerweise am Satzanfang stehen würde (Es, Ich, Das). Dadurch rückt das Verb in die Erstposition.

Verbzweitsätze mit Subjunktoren

(4) „Die Seite muss nach vorne, weil da geht der Kasten auf (DGD, IDS Mannheim, FOLK_E_00133_SE_01_T_01/c138)
(5) „Es kann ja auch nicht schaden, obwohl… angeblich sind ja ein paar auch irgendwie an dieser Impfung krank geworden (DGD, IDS Mannheim, FOLK_E_00055_SE_01_T_09/c341)
Die fett markierten Teilsätze in (4) und (5) haben das Verb in der Zweitposition. Vergleichen Sie diese Beispiele mit den Beispielen des Terminologieeintrags Verbzweitsatz. Was fällt auf?

Verbzweitsätze sind normalerweise Hauptsätze, während die Sätze in (4) und (5) Nebensätze sind. Sie werden nämlich durch die Subjunktorenweil und obwohl eingeleitet.

Nebensätze mit Verbzweitstellung sind im geschriebenen Deutsch grundsätzlich nicht vorgesehen, aber im gesprochenen Deutsch werden sie durchaus verwendet.

Verbzweitsätze mit obwohl wie in (5) werden allerdings nur in bestimmten Situationen und zu bestimmten kommunikativen Zwecken verwendet. Sie sind keine Konzessivsätze im engeren Sinne. Sie bringen nämlich nicht einen Widerspruch zwischen zwei Ereignissen zum Ausdruck, sondern eine Korrektur/Einschränkung der vorangehenden Äußerung. Durch den obwohl-Verbzweitsatz in (5) wird die Äußerung im Hauptsatz korrigiert, etwa nach dem Motto „Was ich gerade gesagt habe, stimmt nicht ganz“.

HINWEIS: In Verbzweitsätzen mit Subjunktoren wie weil und obwohl gibt es zwischen dem Subjunktor und dem Rest des Satzes oft eine kurze Pause – in (5) wird diese durch die drei Punkte verschriftlicht.

Komplementsätze mit Verbzweitstellung

(6) „Hat jemand von euch Handcreme dabei?“ – „Ich glaub’, ich hab’ welche dabei (FOLK_E_00052_SE_01_T_01/c536)
Der fett markierte Satz im Beispiel (6) ist ein Verbzweitsatz. Auch der Satz davor (Ich glaub’) ist ein Verbzweitsatz. Verbzweitsätze sind in der Regel Hauptsätze und können allein stehen. Sind beide Sätze im Beispiel ganz unabhängig voneinander?

Eigentlich nicht. Der erste Satz kann nicht allein stehen, denn die Information „Was glaube ich?“ fehlt. Diese Information gibt der zweite Satz, der somit als Komplementsatz fungiert. Im geschriebenen Deutsch würde man in diesem Fall einen Nebensatz mit dass verwenden ("Ich glaube, dass ich welche dabei habe").

Im gesprochenen Deutsch können dass-Komplementsätze durch Verbzweitsätze ersetzt werden. Diese werden meistens durch Verben des Sagens, des Denkens und des Fühlens (sagen, behaupten, meinen, glauben, finden, hoffen) eingeleitet.

Sehen wir weitere Beispiele:

(7) ... und ich hoffe, wir schaffen das (DGD, IDS Mannheim, FOLK_E_00015_SE_01_T_01/c16)
(8) „Wer meint, er kann das kurz erklären?“ (DGD, IDS Mannheim, FOLK_E_00006_SE_01_T_01/c88)
(9) „… weil ich finde, er macht wirklich gar nix, ja?“ (DGD, IDS Mannheim, FOLK_E_00022_SE_01_T_03/c1294)

Komplementsätze mit Verbzweitstellung gibt es auch in der indirekten Redewiedergabe:

(10) „Die Sabrina und die Marie haben gesagt, sie kommen noch vorbei (DGD, IDS Mannheim, FOLK_E_00048_SE_01_T_02/c425)
(11) „Pascal meint, er geht mal runter (DGD, IDS Mannheim, FOLK_E_00132_SE_01_T_16/c474)
HINWEIS:Die indirekte Redewiedergabe im Indikativ wie in (12) und (13) ist im Deutschen nur in der gesprochenen Alltagssprache akzeptabel. In institutionellen Kontexten wie z.B. vor Gericht oder in der Berichterstattung ist die indirekte Rede sowohl mündlich als auch schriftlich im Konjunktiv I formuliert – oder im Konjunktiv II, wenn Konjunktiv I und Indikativ die gleiche Form haben.

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Autor(en)
Giorgio Antonioli
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