Rückbildung

Definition

Rückbildung ist ein Wortbildungsverfahren; sie ist eine Unterart der Derivation. Dabei werden Wörter aus expliziten Derivaten durch Tilgung des Wortbildungsaffixes gebildet.

Erläuterungen

Rückgebildet werden Nomina aus Adjektiven, zum Beispiel Sanftmutsanftmütig, und Verben aus Nomina, zum Beispiel bauchlandenBauchlandung. Bei der Rückbildung wird also immer wortartgewechselt. Die Adjektivbasen sind vor allem -ig-Derivate, die Substantivbasen -er- und -ung-Derivate. Siehe federführend Åsdahl Holmberg (1976), Eschenlohr (1999), Štekauer (2015).

Beispiele

  1. bauchlanden
  2. Eigensinn
  3. hausdurchsuchen
  4. mähdreschen
  5. Mondsucht
  6. notlanden
  7. Sanftmut
  8. wechselwirken

Korpusbelege

a    Die frucht aber des geysts ist/ liebe/freude/ fride/ langmutt/ freuntlicheyt/ guttickeyt/ glawbe/ sanfftmut/ keuscheyt. (Luther 1522, deutschestextarchiv.de)
b    Als Student hatte er in der Türkei melken und mähdreschen gelernt. (Frankfurter Allgemeine 1997)
c    Norbert Latsch aus Betzdorf (Sieg) fragt: Anziehungskraft von Sonne und Mond haben enormen Einfluss auf die Erde (Ebbe und Flut). Trifft dies auch auf die Flüssigkeit in uns Menschen zu? Haben Schlaflosigkeit, Mondsucht, Schlafwandeln etwas damit zu tun? (Rhein-Zeitung 2006)

Hinweise

Wörter als rückgebildet zu betrachten, wird sprachistorisch, morphosyntaktisch und semantisch begründet:

  • Sprachhistorie: Tatsächlich sind Bildungen mit Affix vor affixlosen Bildungen nachweisbar. So ist in deutschestextarchiv.de zum Beispiel mondsüchtig 1676 erstbelegt, Mondsucht erst 1730. Allerdings kann niemand alle geschriebenen und gesprochenen deutschen Texte aller Zeiten auswerten; niemand kann definitiv nachweisen, dass ein Wort deutlich vor einem anderen gebildet worden ist.
  • Morphosyntax: Rückgebildete Verben wie mähdreschen haben generell ein „defektives Flexionsparadigma“ (Altmann/Kemmerling 2000, S. 44). Fraglich ist, ob daraus ein spezieller Ableitungsweg für solche Verben konstruiert werden muss.
  • Semantik: Zum Beispiel könnte man bei krankenversichern „als erstes […] voraussetzen, dass Krankenversicherung aus dem Verb krankenversichern entstanden ist. Das geht jedoch zunächst an der Bedeutung des Verbs vorbei, da dies als ‚eine Krankenversicherung abschließen‘ paraphrasiert werden kann. Wir brauchen also das Konzept der Krankenversicherung, bevor wir ein Verb daraus machen können“ (Szigeti 2017, S. 36).

Fraglich ist bei einigen Rückbildungen, wie ihre Basen gebildet sein sollen, etwa sanftmütig oder eigensinnig, die eher nicht als Komposita aus sanft + mütig oder eigen + sinnig analysiert werden können.

Mitunter wird die Rückbildung als eine Art Kurzwortbildung verstanden. Kurzwörter sind aber per definitionem Dubletten ihrer Langformen, es findet kein Wortartwechsel statt, und die Bedeutung bleibt weitgehend erhalten.

Andere Bezeichnungen

Pseudokomposition, retrograde Derivation, Scheinkompositition

Übersetzungen

subtractive formation (englisch)

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