Wortakzent

Definition

Der Wortakzent ist im Lexikon festgelegt, d. h., jeder Lexikoneintrag ist mit einem eigenen Akzent versehen. Die Akzentuierung von Wörtern wird manchmal auch als Betonung bezeichnet. Für das Deutsche gilt:

  • Im Vergleich zu anderen Sprachen, die einen gebundenen Wortakzent haben, ist der Wortakzent im Deutschen nicht immer derselben Silbenposition (z. B. der vorletzten Silbe) zuzuordnen.
  • Nur wenige Wörter – insbesondere nicht-einheimische – sind unterschiedlich akzentuierbar oder unterliegen Kontexteinflüssen (Telefon – Telefon).
  • Nur in wenigen Fällen ist der Wortakzent bedeutungsunterscheidend, z. B.: August (Monatsname) : August (Vorname), ein Problem umgehen : mit einem Problem umgehen, mit dem Boot übersetzen : ein Gedicht übersetzen

Die Funktion des Wortakzents im Deutschen ist nicht die Markierung einer Grenze (delimitative Funktion). Seine Funktion kann, da jede Wortform nur einen Hauptakzent tragen kann, in der Kennzeichnung der Worteinheit (kulminative Funktion) gesehen werden – unterstützt gegebenenfalls durch Pausen und Glottisverschlusslaut [ʔ]. Diese Funktion ist in der Äußerung für die Elemente der semantisch wichtigsten Wortklassen durchgehalten, ansonsten sorgt der Gewichtungsakzent für Überlagerungen einerseits, Deakzentuierungen andererseits.

Wortakzentsetzung

Es gibt Akzentuierungstendenzen für einheimische (indigene) Wörter einerseits und für eine große Gruppe aus anderen Sprachen übernommene (nicht-indigene) Wörter andererseits. Vor der Beschreibung einzelner Hauptregularitäten, die der Wortakzentuierung zugrunde liegen, müssen einige ihrer Grundbedingungen sowie einige Realisierungsbedingungen für Haupt- und Nebenakzente vorausgeschickt werden (Silben mit Hauptakzent werden im Folgenden rot und Silben mit Nebenakzent orange markiert).

Grundbedingungen der Wortakzentsetzung

  1. Jedes Wort hat genau einen lexikalischen Akzent, d. h. einen Hauptakzent. Wörter mit mehr als zwei Silben können zusätzlich Nebenakzente haben. Nur Kopulativkomposita weisen mehr als einen Hauptakzent auf, d. h., jeder Bestandteil des Kompositums hat genau einen (schwarz-rot-gold).
  2. Wenn eine Wortform schwere Silben hat, so werden diese akzentuiert. Sonst auch leichte Silben.
  3. Nicht akzentuiert werden Flexionsaffixe (z. B. das -e in Hunde, das -en in laufen, -et in findet, -est in redest, das ge- und das -en in gelaufen) sowie die Diminutivsuffixe -chen, -lein

Darüber hinaus gilt für die Derivata:

Die Substantiv-/Adjektiv-Präfixe erz-, miss-, un-, ur- und die trennbaren Verbpäfixe (einsteigen) tragen den Hauptakzent.

Die Präfixe be-, ge-, ent-, emp-, er-, ver-, zer- sowie die untrennbaren Verbpräfixe (vgl. übersetzen vs. übersetzen) sind unbetont.

Die Suffixe -bar, -haft, -heit, -icht, -ig, -isch, -keit, -ler, -lich, -ling, -ner, -nis, -sal, -sam, -schaft, - tum, -ung können einen Nebenakzent tragen.

Realisierungsbedingungen für Haupt- und Nebenakzente Folgende

Folgende Realisierungsbedingungen für Haupt- und Nebenakzente lassen sich formulieren:

  1. Hauptakzente werden grundsätzlich phonetisch realisiert, wenn die Wortform durch einen Gewichtungsakzent hervorgehoben bzw. Exponent einer Hervorhebungsdomäne ist. Oder wenn sie allein einen Satz bzw. eine kommunikative Ausdruckseinheit konstituiert. (Es war gestern. / Gestern.)
  2. Wird eine Silbe eines Simplex oder eines Kompositums kontrastiv hervorgehoben, erhält sie den stärksten Akzent. (Das Redemanuskript nicht das Redeskript.)
  3. Akzentuierte Silben, die keinen Gewichtungsakzent tragen, können deakzentuiert werden. (Wie Rede in Redemanuskript in (2).)
  4. Hat eine Wortform mehrere Nebenakzente wird am ehesten der vom Hauptakzent am weitesten entfernte phonetisch realisiert; dabei ist der entsprechende Nebenakzent stärker als die anderen Nebenakzente. (Gesundheitsreformdebatte)

Generell gilt: Der lexikalische Akzent kann nur in isolierter Wort-Artikulation (etwa als Antwort) uneingeschränkt realisiert werden. Im Rahmen eines Satzes können sich – bedingt durch Gewichtung, Rhythmus oder metrische Struktur der Äußerung – Verschiebungen ergeben.

Der deutsche Wortkörper weist vorwiegend Stammbetonung auf. Man könnte daraus folgern, Deutsch sei eine trochäische Sprache, also eine Sprache mit vorwiegend Anfangsakzent (nutzen, Nutzung). Dagegen steht, dass die häufige Präfigierung zu jambischen Wortformen, also solchen mit unbetonter Anfangssilbe (Auftakt) führt (benutzen, Benutzung). Flexion, Derivation und die ebenfalls häufigen Zusammensetzungen (Komposita) ergeben weitere Abstufungen innerhalb des Wortkörpers, da ein komplexes Wort immer nur einen Hauptakzent, aber mehrere hierarchisierte Nebenakzente haben kann. Dennoch ist der Wortakzent im Deutschen – abgesehen von Varianten (Kaffee, Kaffee) – auf Systemebene eindeutig und stark markiert. Die Sprachpraxis kann daran nicht viel ändern, auch nicht unter Einwirkung von Affekt. Lediglich der Stärkegrad der Akzente (die „Intensität“) und ihre Position innerhalb der Intonationskurve können unter emotionalem Druck variieren. Die „gefühlte Prosodik“ der individuellen Sprecher – also das intuitiv produzierte Klangbild der Sprache – hat im Deutschen nur wenig Einfluss auf die Lage des Wortakzents.

Anders im Französischen. Theorie und Praxis der Prosodik können hier durchaus auseinanderklaffen. Auszugehen ist von einem lexikalischen Wortakzent in dem Sinne, dass ein mehrsilbiges Wort als isolierter Lexikoneintrag mit einer bestimmten Akzentuierung versehen ist, meist auf der Endsilbe (Ultima): paradis, bei schwachen Endsilben auch auf der vorletzten (Pänultima): paraître, die natürlich auch als die erste erscheinen kann: maître. Aber schon greifen Tendenzen der Relativierung. Eine Sonderrolle spielt z. B. das so genannte „stumme E“ am Wortende, das zwar in der Verslehre als Silbe zählt, aber in der Alltagssprache (außer in Südfrankreich) nicht gesprochen oder nur angedeutet wird: fair(e) ['fɛr], tis(e) [bɛ'tiz]. Im Gegensatz zum Deutschen kann der frz. Wortakzent auch auf ein Flexionsmorphem fallen: parlez, attendais, häufig auch auf ein Suffix: illusion, universi, was dann im Deutschen entsprechende Wörter eindeutig als Entlehnungen identifiziert. Genau dies zeigt aber den eigentlichen Kern des Unterschieds, nämlich dass der Wortakzent im Französischen weniger an die Struktur des Wortes selbst oder an die dominante Rolle des Stamms gebunden ist, sondern eher durch einen allgemeinen, jambo-anapästischen Sprachrhythmus gesteuert wird. Und dies wiederum erklärt, warum er relativ flexibel ist und von anderen prosodischen Phänomenen ausgehebelt werden kann (siehe Rhythmus). Hinzu kommt die große Freiheit der individuellen Sprechpraxis, die Varianten breiten Raum lässt, natürlich auch im Französischen immer auf der Basis – theoretisch – fester Muster.

In einem Punkt reagieren allerdings beide Sprachen gleich: Der emphatische metasprachliche oder kontrastive Akzent kann auf jede Silbe fallen und damit den Wortakzent überlagern:

Hier steht: bearbeitet, nicht gearbeitet.
Il ne faut pas confondre former et former.
(dt. Man soll nicht „verändern“ mit „entstellen“ verwechseln.)

Aber damit verlassen wir das eigentliche Gebiet des Wortakzents und begeben uns in den Bereich des Satzakzents.

Sehr aufschlussreich für die gefühlte Prosodik einer Sprache ist ihre Kombination mit einem Versschema (also einem abstrakten Rhythmus) und vor allem mit Musik, im Rahmen einer Vertonung. So gilt für das Deutsche, dass der Komponist keinesfalls den Wortakzent ignorieren kann, starke Silben auf schwache Taktzeiten setzen und somit „gegen den Strich“ schreiben kann. Dies wurde in der Poetik (schon bei Opitz) und Vokalmusik traditionell immer als Verstoß gewertet, und zwar auf allen Ebenen, von der volkstümlichen zur hochliterarischen Kunst. Selbst zu Zwecken der Ironie oder Karikatur ist dieses Mittel kaum akzeptabel (und in der Musikliteratur auch schwer nachweisbar), selbst dann nicht, wenn z. B. ein Ausländer persifliert werden soll.

Das Deutsche verhält sich damit wie sehr viele andere Sprachen, gleichgültig ob sie Stammbetonung, feste Wortformbetonung wie etwa Italienisch, stereotype Positionsbetonung wie Tschechisch oder Ungarisch (Akzent auf der ersten Silbe) oder auch verschiedene Arten der Mischbetonung wie Englisch oder Russisch aufweisen: Entscheidend ist die Festigkeit (= Unbeweglichkeit) und Starktonigkeit des Akzents auf Wortformebene.

Im Französischen dagegen ist gerade eine Betonung gegen den Strich ein Zeichen für launiges Musizieren. Volkslieder bis hin zum Gassenhauer und die Operette à la Offenbach legen Zeugnis davon ab. Die derbe Hervorhebung des stummen "E" auf den starken Taktteilen eines Marschrhythmus stört das französische Ohr nicht. In der Oper (z.B. bei Gounod) und im Kunstlied (z. B. bei Fauré) hat sich im 19. Jahrhundert zwar endgültig die Beachtung korrekter Deklamation durchgesetzt. Aber selbst hier blieb Freiraum für die „gefühlte Prosodik“ eigenwilliger Komponisten. Der Franko-Schweizer Arthur Honegger findet in seinen Bühnenwerken zu einer musikalischen Sprachbehandlung, bei der grundsätzlich (und mit überzeugender Wirkung!) Stammsilben oder Erstsilben betont werden:cheval, l'amour, fier. Für die französische Popmusik könnte er als Lehrmeister gelten: Auch hier bestimmt oft die abstrakte rhythmische Figur, im Verein mit klanglichen Kriterien, den Sprachrhythmus.

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