Forschungsstand im Allgemeinen

Die Literatur zur Variation der starken Genitivmarkierung ist sehr umfangreich, und hier wird nur ein ganz allgemeiner Überblick angestrebt. Detailliertere Besprechungen stehen jeweils am Anfang der Spezialstudien Endungsvariation und Endungslose Genitive.

Die wesentlichen der postulierten Variationsfaktoren sind in der nachstehenden Tabelle enthalten. Über viele besteht in der Literatur Konsens (siehe dritte Spalte), sie werden jedoch teilweise unterschiedlich benannt und angereiht. In der Tabelle sind neutrale Benennungen der Faktoren intendiert. Auch deren Anordnung ist unabhängig von Darstellungen einzelner Autoren und strebt nur die Übersichtlichkeit an.


Faktorenbereich / Faktor (nummeriert) Mögliche Ausprägungen (A)
bzw. –wenn nötig– Realisierungen im Text (R)1
Quelle2
Auslaut
1. LetztlauttypA: Konsonant, Vokal, DiphthongD4, D9, F, P
bei konsonantischem Auslaut
2. s-LautR: -s, -ss, -ß, -tz, -z, -x, -ce, -ts, -chsD4, D9, F, S
3. sch-LautR: -sch, -chD 4, D9, S
4. Wortausgang auf /st/ R:-st, -zt /
5. Sonorität (Hierarchie) A: Liquid, Nasal, Frikativ, Affrikate, Plosiv F, S
6. Konsonantengruppe R: (z. B.) -rd (in Herd), -bst (in Obst) D4, D9, F, S, P
Endreim/Endsilbe
(mit konsonantischem Auslaut)
7. Vokallänge A: lang, kurz [, Diphthong] D4, D9, F, S, P
8. spezielle(r) Endreim/-silbe A: -en, -em, -el, -er, -ler, -ner, -end, -ich, etc. D4, D9, P, S
9. Suffix R: -ig, -ing, -ling, -chen, -lein, -tum etc. D4, D9, F, P, S
Betonung
10. Ultima-Betonung A: {0, 1} D4, D9, F, S
Wortbildung
11. Silbenanzahl A: 1, 2, 3 etc. D4, D 9, F, P, S
12. Komplexität A: Simplex, Präfigierung, Suffigierung, Kompositum D9, F, S
bei Präfigierung (Betonung)
13. Präfixbetonung A: {0, 1} S
bei Suffigierung (Betonung)
14. Suffixbetonung (Nebenakzent) A: {0, 1} S
bei Komposition
15. Fuge A: -s, -es [, andere Fugen] A, D9
16. semantische Transparenz A: transparent, opak F
17. Lexikalisierung A: stark, niedrig S
18. Präferenz des Grundworts A: -s, -esF
Nomenklasse
19. Fremdwort A: {0, 1} D4, D9, P, S
20. Eigenname A: {0, 1} D4, D9, F
21. Personenname A: {0, 1} D4, D9, F
22. geografischer Name A: {0, 1} D4, D9, F
23. Fachwort A: {0, 1} D9
24. Appellativum aus Eigenname sowie Monatsname, Epochenname, Produktbezeichnung o. Ä.3A: {0, 1} D4, D9
25. Titel o. Ä. A: {0, 1} D9
26. Abkürzung A: {0, 1} D4, F
27. Konversion A: {0, 1} A, D4, D9
28. starkes Nomen auf -enA: {0, 1} D4, D9, A
29. Genus A: maskulin, neutrum, Ø bzw. Eigenname S
Frequenz
30. Häufigkeit des Nomens A: hoch, niedrig D4, F, S
31. semantische Transparenz (Quotient: Häufigkeit des komplexen Wortes / Häufigkeit des Grundworts) A: (z. B.) ≥ 1, < 1 F
Syntax
32. Vorhandensein eines Artikels auf -sA: {0, 1} D4
33. Position des Genitivattributs Voranstellung, Nachstellung D4, D9
34. Vorangehen eines Titels A: {0, 1} D9
35. mehrgliedriger Eigenname A: {0, 1} D9
36. „feste Verbindung“ A: {0, 1} D4
37. „Paarformel“4A: {0, 1} D4
38. „formelhafte Wendung“5A: {0, 1} D9

Tab.: Faktoren der Genitivmarkierungsvariation in der Fachliteratur

1 Mit Realisierungen sind hier Erscheinungsformen einer Faktorausprägung gemeint. So hat z. B. der Faktor ‚s-Laut‘ zwei Ausprägungen, auf die man mit ‚ja‘ oder ‚nein‘ bzw. mit ‚1‘ und ‚0‘ referieren kann. Die positive Ausprägung des Faktors hat wiederum neun graphemisch bestimmte Realisierungen. Diese sind in der obigen Tabelle verzeichnet und mit vorangehendem „R“ gekennzeichnet.

2 Exemplarisch wurden hier folgende Darstellungen herangezogen: Appel 1941 (A), Duden (4) 2009 (D4), Duden (9) 2007 (D9), Fehringer 2011 (F), Pfeffer/Morrison 1984 (P), Szczepaniak 2010 (S). Die aufgeführten Quellen thematisieren nicht immer alle Ausprägungen des Faktors bzw. Realisierungen einer Ausprägung.

3 Z. B. Tempo sowie April, Barock, Mercedes.

4 Z. B. Sturm und Drang.

5 Z. B. von Rechts wegen.


In der Tabelle fehlen weitgehend rhythmische und stilistische Parameter, die in der Literatur erwähnt, aber kaum präzisiert werden (vgl. Duden (9) 2007:371 oder Pfeffer/Morrison 1984:18). Aber auch so ist die hohe Anzahl der Faktoren auffällig. Trotz vieler Faktoren, die allgemein anerkannt sind, fallen die Schwerpunkte in den einzelnen Darstellungen sehr unterschiedlich aus.

Ganzheitliche Beschreibungen der Markierungsvariation sind in den Standardwerken wie der Dudengrammatik (D4) und dem Zweifelsfälle-Duden (D9) enthalten. Die Dudengrammatik gewichtet besonders stark lautliche Faktoren und die Zugehörigkeit des Nomens zum nativen oder fremden Wortschatz. So werden lautliche Faktoren für verschiedene Genitivendungen teilweise getrennt für Nomen des Grundwortschatzes und für Fremdwörter spezifiziert. Bei der Beschreibung der Tendenzen zur Weglassung der Genitivendung, bei denen stärker morphologische und syntaktische Faktoren in den Vordergrund rücken, werden wiederum Nomenklassen relevant wie Eigennamen sowie – im Bereich der Appellativa – Wörter auf -en, Paarformeln, mehrteilige feste Verbindungen oder Farbbezeichnungen (vgl. Faktoren 21-29 in der obigen Tabelle). Der Zweifelsfälle-Duden wiederum betont, dass die Variation zwischen -s und -es nur teilweise geregelt ist, strukturiert die diesbezügliche Darstellung nach festem und schwankendem Gebrauch und behandelt diejenigen Probleme, die mit der Weglassung der Endung verbunden sind, im Kontext spezifischer Nomenklassen, wie Personennamen, geografische Namen, Monatsnamen, Fachwörter, Fremdwörter.

Bereits in diesen beiden Gesamtdarstellungen werden die Variation verschiedener Genitivendungen einerseits und die Variation zwischen Genitivmarkierung und ihrer Unterlassung andererseits weitgehend getrennt behandelt, und so widmet sich auch die Spezialliteratur in der Regel entweder dem einen oder dem anderen Fragenkomplex. Dies führt dazu, dass sie auch im Weiteren getrennt behandelt werden müssen. Daher beginnen Endungsvariation und Endungslose Genitive jeweils mit einer spezialisierten Literaturübersicht.

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Autor(en)
Marek Konopka
Bearbeiter
Monica Fürbacher
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