Das Phänomen

Die starke Genitivmarkierung des Nomens (im Weiteren nur „die Genitivmarkierung“) tritt im Gegenwartsdeutschen vor allem bei sog. starken Maskulina (z. B. Vaters) und Neutra (z. B. Hauses) sowie bei Eigennamen (z. B. Peters/Petras [Buch]) auf. Sie erscheint darüber hinaus an Nomen, die laut Grammatiken „gemischt“ (Duden (9) 2007:216-220) flektieren (z. B. Herzens, Friedens) und wird in einem normativ kritisch gesehenen Gebrauch auch an Nomen beobachtet, die ansonsten der schwachen Deklination zugerechnet werden (z. B. Bärs, Bärens). Sie zeigt auch spezifisch schriftliche Ausprägungen wie in Ergebnisses, Grass [Werke] oder Andrea‘s [Kneipe]. So hat man, um den Genitiv am Nomen in der geschriebenen Sprache zu kennzeichnen, sieben Möglichkeiten zur Verfügung. Richtig vollständig ist die Reihe der Varianten des Genitivnomens aber erst, wenn man berücksichtigt, dass die Genitivmarkierung auch unterbleiben kann wie in [des kleinen] Peter, [des alten] Rom, [des] Barock oder – nicht normgerecht – [des] Garten, vgl.:

  • Vater -s
  • Haus -es
  • Ergebnis -ses
  • Friede -ns
  • Herz -ens
  • Andrea -´s
  • Grass
  • [des] Barock

Die Endungen -ens und -ns können als Zusammensetzungen aus einem Nicht-Nominativ-Kennzeichen -en/-n und einem Genitivkennzeichen -s analysiert werden. Zumindest vorerst sollen sie aber als Ganzes betrachtet werden, denn die geplante automatische Suche nach Genitivnomen im Korpus erfordert einen Abgleich der Kandidaten mit den Lemmata, die formal dem Nominativ entsprechen.

Das Nomen im Genitiv Singular (im Weiteren: Genitivnomen) trittt in Phrasen auf, die als Ganzes genitivisch markiert sind (im Weiteren: Genitivphrasen). So formuliert die Dudengrammatik eine „Sichtbarkeitsbedingung“ (Duden (4) 2009:968), in der festgehalten wird, dass der Genitiv durch eine spezifische Markierung irgendwo in der Genitivphrase erkennbar sein muss. Der Aufbau der Genitivphrase lässt dafür einige Möglichkeiten zu, wie es die folgende „Schablone“ und die möglichen Realisierungsformen zeigen:

[Artikel +] [[… +] Adjektiv auf -en +] Genitivnomen, z. B.

  • Genitivnomen: Peters
  • Adjektiv auf -en + Genitivnomen: letzten Jahres
  • Artikel + Adjektiv auf -en + Genitivnomen: des beerdigten Kapitäns
  • Artikel + … + Adjektiv auf -en + Genitivnomen: des am Wochenende beerdigten Kapitäns

Die Markierung am Genitivnomen kann nur dann unterbleiben, wenn ein phraseneinleitender Artikel (im Weiteren: Genitivartikel) vorhanden ist, der sie übernehmen kann, denn am Adjektiv kann der Genitiv nicht spezifisch markiert werden. Zu beachten ist, dass das Adjektiv auf -en, das auch die Form eines Partizips haben kann (vgl. oben beerdigten), direkt vor dem Genitivnomen stehen muss und in dieser Position mit einer Ortsnamenableitung auf -er (z. B. [des] Berliner [Mülls]) variiert. Solche Ortsnamenableitungen werden im Weiteren einfachheitshalber mit dem Adjektiv auf -en zusammen behandelt.

Genitive/Genitivphrasen können je nach syntaktischer Einbettung klassifiziert werden als:

  • adnominal (Merkels Mann)
  • präpositional regiert (wegen des Umbaus)
  • adjektivisch regiert (des Fahrens überdrüssig)
  • verbal regiert (keines Artenschutzes bedürfen)
  • adverbial (guten Willens)

Eine spezifische syntaktische Einbettung kann ebenfalls bestimmte Rahmenbedingungen für die Markierungsvariation festlegen. Etwa bei adverbialen Genitivphrasen (die größtenteils keinen Artikel enthalten) ist die Weglassung der Markierung ungrammatisch, so in eines Tages, guten Willens, erhobenen Hauptes etc.

Für Sprachbenutzer irritierend kann insbesondere die Tatsache sein, dass sich formal ähnliche Lexeme und sogar Realisierungen desselben Lexems – selbst unter gleichen Distributions- und Einbettungsbedingungen – hinsichtlich der Genitivmarkierung unterschiedlich verhalten können:

(1a) den Inhalt des Sackes (Braunschweiger Zeitung, 15.08.2006; Polizei findet Spritzen)
(1b) den Inhalt des Sacks (Rhein-Zeitung, 19.10.1998; LAND UND LEUTE)
(2a) der Rest des Wrackes (Berliner Zeitung, 10.08.2001; In kleinen Schritten zur Wahrheit)
(2b) ein Stück des Wracks (St. Galler Tagblatt, 02.07.2009, S. 8)
(2c) die Entdeckung des Wrack (Lamoricière (Schiff), In: Wikipedia - URL: http://de.wikipedia.org/wiki/Lamoricière_(Schiff): Wikipedia, 2011)
(3a) der Ex-Diktator des Irakes, Saddam Hussein (Diskussion: Albtraum, In: Wikipedia - URL: http://de.wikipedia.org/wiki/Diskussion: Albtraum: Wikipedia, 2011)
(3b) Tariq Aziz, ehemaliger Vize-Premierminister des Iraks (Assyrer (Gegenwart), In: Wikipedia - URL: http://de.wikipedia.org/wiki/Assyrer_(Gegenwart): Wikipedia, 2011)
(3c) Der Übergangsaußenminister des Irak, Hoschijar Sebari, […] (Berliner Zeitung, 10.11.2003; Irak ist erneut Kriegszone, S. 8)

Formal ähnliche Nomen können dabei Präferenzen für unterschiedliche Varianten zeigen: So sind die Genitivvarianten unter (1) ähnlich frequent, unter (2) aber ist die Variante (b) vorherrschend und die beiden anderen randständig und unter (3) schließlich halten sich (b) und (c) die Waage, während (a) nur sporadisch erscheint.

Solche Fälle sind besonders interessant, denn hier sind die Lexeme offensichtlich nicht regelbasiert auf eine Markierungsart fixiert. Die Wahl der Markierung scheint einigermaßen frei zu sein: Jedenfalls erschließen sich beobachtbare Präferenzen vielen Sprachbenutzer nicht auf Anhieb.

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Autor(en)
Marek Konopka
Bearbeiter
Monica Fürbacher
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