Mittel des flexionsmorphologischen Formenbaus
In Flexions?paradigmen kommen folgende Arten von Wortformen vor:
- Wortformen ohne Flexionsmarker (Grundformen), z.B. Kind, gut
- Wortformen mit Flexionsmarker(n), z.B. Kindern, gutes, sieht
- Suppletivformen, z.B. ich/wir, besser, war
(Teil-)Paradigmen, in denen Wortformen ohne Flexionsmarker vorkommen, gibt es z.B. bei der Deklination der Nomina (Singular ohne Kasusmarker) und bei der Komparation der Adjektive (undeklinierte Positivformen). Bei Wortformen, die mit Hilfe von Flexionsmarkern gebildet werden, lassen sich zwei Mittel der Bildung unterscheiden, die Affigierung und der Vokalwechsel. Die Bildung von Flexionsparadigmen mit Hilfe von Wortformen, die mit verschiedenen Stammformen gebildet werden (Suppletivformen), wird Suppletion genannt, z.B. bei den Pronomina (Kommunikanten-Pronomina) oder unregelma?igen Verben (sein).
Auch Wortformen ohne Flexionsmarker enthalten implizit grammatische Informationen. Die Form Kind kann zum Beispiel, sofern die Flexionsklasse des Nomens bekannt ist, hinsichtlich Numerus eindeutig als nicht-pluralisch, hinsichtlich Kasus als nicht-genitivisch (bzw. unter Berucksichtigung der Fakultativitat des Dativmarkers mindestens als nicht-oblique) identifiziert werden, obwohl der Singular und der nicht-oblique Kasus (als unmarkierte Kategorien) morphologisch unausgedruckt bleiben.
Affigierung
Bei den Flexionsaffixen des Deutschen handelt es sich (mit Ausnahme des Zirkumfixes ge-...-t), auschlie?lich um Suffixe, die an eine Stammform angehangt werden und somit eine Wortform bilden. Die Suffixe fungieren, oft in Verbindung mit Vokalwechsel an der Stammform, als Flexionsmarker zur Kennzeichnung von Flexionskategorien.
Flexionsaffixe konnen gleichzeitig Kategorien verschiedener Kategorisierungen markieren (z.B. Genus und Kasus), sie werden dann fusionierend genannt. Ein fusionierendes Suffix lasst sich nicht oder nicht eindeutig in Teileinheiten zerlegen, die jeweils nur mit einer Kategorisierung in Verbindung gebracht werden konnen. Fusionierende Suffixe sind charakteristisch fur Verben, Artikel, Pronomina und Adjektive. Flexionsaffixe, die nur eine Kategorie markieren, werden als agglutinierend bezeichnet, die Markierung einer weiteren Kategorie bzw. weiterer Kategorien erfordert in diesem Fall das Anhangen eines neuen Affixes. Dies illustrieren im Deutschen folgende Beispiele mit Suffixen:
fusionierende Suffigierung: | diesem | Genus: Mask/Neut, Kasus: Dativ |
horst | Person: Adressat (2.), Numerus: Singular | |
agglutinierende Suffigierung: | schon-er-es | Komparationsstufe: Komparativ - Genus: Neutrum, Kasus: Nicht-Oblique (Nominativ/Akkusativ) |
Kinder-n | Numerus: Plural - Kasus: Dativ |
Die Zerlegung von Flexionsmarkern in Teileinheiten (Morpheme) ist im Einzelfall teilweise umstritten. So gibt es z.B. in Bezug auf die Segmentierung des Prateritalmarkers bei schwachen Verben unterschiedliche Moglichkeiten.
Bei den Flexionsaffixen des Norwegischen handelt es sich auschlie?lich um Suffixe, die an eine Stammform angehangt werden und somit eine Wortform bilden. Die Suffixe fungieren wie im Deutschen oft in Verbindung mit Vokalwechsel an der Stammform als Flexionsmarker zur Kennzeichnung von Flexionskategorien.
Auch im Norwegischen kommt sowohl fusionierende als auch agglutinierende Suffigierung vor:
fusionierende Suffigierung: | dager (die Tage) | Numerus: Plural, Definitheit: indefinit (Genus: Mask) |
barna / barnene (die Kinder) | Numerus: Plural, Definitheit: definit (Genus: Neut) | |
agglutinierende Suffigierung: | rikest-e (reichste) | Komparationsstufe: Superlativ - Flexionsmuster/Definitheit: schwach/definit |
Nach Eisenberg (2006: 156) ist das phonologische Gewicht ein Ordnungskriterium fur Flexionsmarker. Das phonologische Gewicht von Wortformen wird durch das Gewicht seiner Flexionssuffixe bestimmt. Endungslose Formen sind dabei leichter als solche mit Flexionssuffix. Eine weitere Differenzierung ist dann vom Gewicht der Suffixe selbst abhangig, wobei vokalische Endungen leichter sind als konsonantische. Letztere sind wiederum durch den Grad der Stimmhaftigkeit (Sonoritat) ihrer Konsonanten (je stimmhafter desto leichter) und ihrer Silbenbildung (silbische Suffixe sind schwerer als nicht silbische) unterscheidbar. Eisenberg ordnet z.B. die Formen des Demonstrativ-Artikels von leichter nach schwerer folgenderma?en:
diese < dieser < diesen < diesem < dieses
Das phonologische Gewicht und die (flexions)morphologische Spezifik von Flexionsmarkern kann in einem Zusammenhang betrachtet werden, der Ruckschlusse auf das Verhaltnis von Form und Funktion zulasst, was sich am Beispiel des Dativmarkers -em illustrieren lasst .
Die durch sein relativ hohes phonologisches Gewicht bedingte Auffalligkeit des Flexionsmarkers -em ist ikonisch, ihr entspricht seine spezifische grammatische Funktion: Es ist der einzige Marker im System der Nominalflexion, der nur in einem Kasus vorkommt (Dativ) und dabei die wenigsten Synkretismen aufweist (Dativ Singular: Maskulinum und Neutrum), d.h. die grammatischen Kategorien der Wortform im Vergleich zu den andern Flexionsmarkern am eindeutigsten kennzeichnet.
Vokalwechsel
Der Vokalwechsel ist ein Mittel des flexionsmorphologischen Formenbaus, mit dem verschiedene Stammformen eines Wortparadigmas unterschieden werden konnen. Er kann somit als das paradigmatische Mittel der Flexionsmorphologie bezeichnet werden, wahrend die Affigierung als das syntagmatische Mittel gelten kann. Der Vokalwechsel wird am Stammvokal (Monophthong oder Diphthong) vorgenommen (bei Prafixverben am Stammvokal der Simplexform, z. B. abfahr-), indem dieser umgelautet, abgelautet oder von e zu i angehoben wird. Eine der Stammformen ist dabei als Ausgangsform und die andere als abgeleitete Form zu betrachten.
Folgende Wortformen sind Beispiele fur Vokalwechsel:
Umlaut: | Wolf ? Wolfe; | gro? ? gro?er; | gab ? gabe |
e/i-Wechsel: | ? | ? | fresse ? frisst |
Ablaut: | ? | ? | spreche ? sprach |
Umlaut
Charakteristisch fur den Umlaut ist der Frontierung genannte Wechsel von einem hinteren zu einem vorderen Vokal, d. h. der Artikulationsort des Stammvokals verschiebt sich nach vorne. Bei der Umlautung von a?a kommt es auch zu einer Anhebung des Artikulationsortes (Beispiele 3, 7, 10), bei dem Diphthong au?au (Beispiele 4, 11) wird das erste Lautsegment nur angehoben und das zweite nur frontiert. Vokale, die schon im vorderen Teil des Vokalvierecks gebildet werden, konnen nicht weiter umgelautet werden (z.B. e/a-, i- und o/u-Laute).
Der Umlaut tritt meistens in Kombination mit einem Suffix auf. Er erfullt verschiedene Funktionen bei der Deklination (Pluralbildung der Nomina), der Komparation (Stammformenbildung des Nicht-Positivs) und der Konjugation starker Verben (sekundare Stammformenbildung).
Die folgende Ubersicht liefert Beispiele fur Umlaute in der Flexion der einzelnen Wortarten. Bei den Nomina (1-4) ist jeweils die Nominativform im Singular vs. Plural angegeben, bei den Adjektiven (5-7) die Positiv- vs. Komparativform (unflektiert), bei den Verben (8-11) die Prasensform Indikativ der 1. vs. 3. Person Singular bzw. die Prateritalform Indikativ vs. Konjunktiv des Nicht-Adressaten:
Umlaut | Nomen | Adjektiv | Verb | ||||
u ? u |
[u:]?[y:] [?]?[?] | (1) | Huhn ? Huhner Sprung ? Sprunge | (5) | klug ? kluger dumm ? dummer | (8) | fuhr ? fuhre wurde ? wurde |
o ? o | [o:]?[?:] [?]?[?] | (2) | Hof ? Hofe Holz ? Holzer | (6) | gro? ? gro?er fromm ? frommer | (9) | sto?e ? sto?t goss ? gosse |
a ? a | [a:]?[?:] [a]?[?] | (3) | Hahn ? Hahne Land ? Lander | (7) | nah ? naher alt ? alter | (10) | fahre ? fahrt falle ? fallt |
au ? au | [au]?[?y] | (4) | Baum ? Baume | ? | (11) | laufe - lauft |
Auch im Norwegischen gibt es die Anderung des Stammvokales in Form des Umlauts. Umlaut bei Verben kommt nur in der (hier nicht beschriebenen) Sprachvariante nynorsk vor und wird daher hier nicht aufgefuhrt. Beispiele fur Umlaut bei Nomina und Adjektiven (vgl. Faarlund (1991: 26):
Umlaut | Nomen | Adjektiv | |||
a ? e | [a]?[e] | tann ? tenner (Zahn ? Zahne) | lang ? lengre (lang ? langer) | ||
?? ? | [o:]?[?:] [o:]?[?] | t? ? t?r (Zehe ?
Zehen) . | f? ? f?rre | ||
o ? ? | [u:]?[?:]
[?:]? [u:]?[?] | bok ? b?ker (Buch ?
Bucher) . | stor ? st?rre (gro? ? gro?er) | ||
u ? y | [?] ?[y:]
? [u]?[y] | ku ? kyr (Kuh ? Kuhe) . | ung ? yngre (jung ? junger) |
e/i-Wechsel
Beim e/i-Wechsel handelt es sich um eine Anhebung des Artikulationsortes des Stammvokals. Er betrifft die Prasensstammformen (Indikativ und Imperativ) einer Reihe von starken Verben und kennzeichnet die Formen der 2. und 3. Person (Nicht-Sprecher) Singular, z. B. gibt (3.Ps.Sg.) vs. gebt (2.Ps.Pl.). Beispiele fur die beiden haufigsten Arten von e/i-Wechseln:
Vokalwechsel | Verb | ||
e ? ie, i | [e:]?[i:], [?] | (1) | lese ? lies nehme ? nimm |
e ? i | [?]?[?] | (2) | esse ? iss |
Ablaut
Der Ablaut ist immer mit einem Wechsel des Artikulationsortes des Vokals verbunden, der auch von einem Wechsel der Vokallange begleitet sein kann. Als Ablaut bezeichnet man den Vokalwechsel bei starken Verben, der die Unterscheidung von Prasens-, Praterital- und Partizipialstammformen formal begrundet und als sog. Ablautreihe dargestellt werden kann, z. B.:
sprech-e ? sprach ? ge-sproch-en
Ausfuhrlichere Informationen zur Systematik der Ablautreihen finden sich in der Einheit Flexionsklassen der Verben.
Beispiele fur Ablaut gibt es bei den starken Verben im Norwegischen in ganz ahnlicher Weise wie im Deutschen:
syng-e ? sang ?
sung-et (singen ? sang ? gesungen)
treff-e
? traff ? truff-et (treffen ? traf ?
getroffen)
Suppletion
Die Suppletion (< lat. supplementum, dt. Erganzung) beschreibt die Bildung von Flexionsparadigmen mit Hilfe von Wortformen, die mit verschiedenen, nicht (durch Vokalwechsel) abgeleiteten Stammformen gebildet werden. Solche Formen kommen zumeist bei hochfrequenten Lexemen vor. In vielen Sprachen kommen Suppletivformen bei der Konjugation von Hilfs- bzw. Kopulaverben vor wie z.B. sein:
bi-st, ist, sind, sei-d, war-st, ge-wes-en
Bei der Komparation der Adjektiven gibt es suppletive Stammformen in den Komparationsstufen:
gut ? besser ? best-, viel ? mehr ? meist-, wenig ? minder ? mindest-
Ebenfalls typisch fur viele Sprachen sind Suppletivformen in den Flexionsparadigmen der Wortart mit der traditionellen Bezeichnung Personalpronomina. Haufig werden hier je nach Kasus(gruppe) unterschiedliche Stammformen verwendet:
ich ? mich ? mir ? meiner ? wir ? uns ? unser
Suppletion kommt im Norwegischen ebenfalls in ahnlicher Form vor wie im Deutschen:
Suppletivformen bei den Hilfs- bzw. Kopulaverben wie z.B. v?re (sein):
v?re (sein), er (finite Prasensform), var (finite Prateritumsform), v?rt (gewesen)
Bei der Komparation der Adjektiven gibt es wie im Deutschen suppletive Formen in den Komparationsstufen:
god ? bedre ? best (gut ? besser ? best-) , mye ? mer ? mest (viel ? mehr ? meist-), lite ? mindre ? minst (wenig ? weniger ? wenigst-)
Suppletivformen gibt es auch bei den Personalpronomina:
jeg (ich) ? meg (mir/mich) ? min (mein) ? vi (wir) ? oss (uns) ? v?r (unser)