Wortstellung
norw. leddstilling, ordstilling
In der thematischen Einheit Wortstellung geht es um die Abfolge der Stellungseinheiten im Satz, nicht der einzelnen Wörter. Die Wortstellung innerhalb von Stellungseinheiten ist nicht Gegenstand dieser thematischen Einheit, sondern wird an anderer Stelle behandelt (s. Phrasen, Verbalkomplex). Die syntaktische Detailbeschreibung bezieht sich v.a. auf die Stellungseigenschaften der Primären Komponenten des Satzes, die aber nicht immer mit Stellungseinheiten gleichzusetzen sind. Wortstellung ist ein allgemein bekannter, vereinfachender Begriff, der hier aus praktischen Gründen beibehalten wird. Andere Grammatiken überschreiben das Kapitel Wortstellung mit "Topologie", "Satzgliedstellung" oder "Wort(ab)folgeregeln".
Auf die einführende Darstellung der Wortstellung in dieser Einheit folgt eine grundsätzliche Beschreibung der Satzklammer und Stellungsfelder. Im Anschluss daran wird die Wortstellung in den einzelnen Stellungsfeldern behandelt: im Mittelfeld, im Vorfeld, im Nachfeld und in den Außenfeldern.
In den Einheiten zur Wortstellung werden auch kommunikative Aspekte berücksichtigt, die sich mit der Frage nach der Informationsstruktur, d. h. nach der Art von Information, die mit den einzelnen Satzteilen übermittelt wird, befassen (s. Wortstellung und Informationsstruktur). Die Wortstellung interagiert außerdem in weiten Teilen mit der Intonation. Zum Verhältnis der intonatorischen (prosodischen) Mittel und Wortstellung befinden sich ausführlichere Informationen in der thematischen Einheit Wortstellung und Prosodie.
Funktionen der Wortstellung
Die Wortstellung ist im Deutschen grammatisch, informationsstrukturell und semantisch definiert. Es zeigen sich verschiedene Funktionen der Wortstellung, die in den folgenden Einheiten genauer beschrieben werden:
- Sie ist an der Bildung von Satztypen beteiligt.
- Sie ermöglicht kommunikative Gewichtungen innerhalb des Satzes und kann den Satz in den umgebenden Kotext einbetten.
- Sie ist an der Entstehung bzw. Veränderung von Satzbedeutungen beteiligt.
Grundsätzlich erfüllt die Wortstellung im Norwegischen ähnliche Funktionen wie die im Deutschen. Insgesamt ist sie jedoch fester, was mit der weniger ausgeprägten Flexionsmorphologie zusammenhängt. Im Unterschied zum Deutschen spielt die Wortstellung im Norwegischen auch eine wichtige Rolle bei der Kennzeichnung der syntaktischen Funktion von Elementen im Satz.
Sprachtypologische Parameter
Aus sprachtypologischer Sicht ist die Stellung des finiten Verbs im Rahmen der Abfolge der primären Komponenten des Satzes von besonderem Interesse. So lassen sich Sprachen, denen z. B. eine Verbletztstruktur als Grundtypus zugrundeliegt, von solchen mit Verbzweitstruktur usw. unterscheiden (vgl. Greenberg 1963). Die eindeutige Zuordnung des Deutschen zu einem dieser Grundtypen ist umstritten, da hierfür sowohl die Verbzweitstruktur (wie in typischen Hauptsätzen) als auch Verbletztstruktur (wie in typischen Nebensätzen) in Frage kommen.
Ein weiterer sprachtypologischer Parameter wird durch den Zusammenhang zwischen flexibler Wortstellung und ausgebauter morphosyntaktischer Markierung ausgedrückt: Eine ausgeprägte Möglichkeit, grammatische Kategorien an Wörtern zu kennzeichnen (z. B. mithilfe der Flexion) erlaubt i. d. R. eine flexiblere Wortstellung.
Flexibilität der Wortstellung
Wie die folgenden beiden Beispiele zeigen, spielt die Anordnung der Wörter im Satz bei der Interpretation des Satzes eine zentrale Rolle:
Kain erschlug Abel. ≠ Abel erschlug Kain.
In den folgenden Beispielen variiert die Wortstellung, die primären Komponenten des Satzes bleiben jedoch gleich:
Der Ältere erschlug den Jüngeren. = Den Jüngeren erschlug der Ältere.
Das Beispiel zeigt, dass die eindeutige Kennzeichnung von Wortformen mit den Mitteln der Flexion eine flexiblere Wortstellung ermöglichen kann. In flexionsärmeren Sprachen wie dem Norwegischen oder Englischen ist die Wortstellung deshalb in der Regel weniger variabel, vgl.:
now. Den eldre drepte den yngre. ≠ Den yngre drepte den eldre.
engl. The elder killed the younger. ≠ The younger killed the elder.
Eine wesentlich reichere Flexion besitzt die lateinische Sprache. Der Satz
lat. agricola gallinas numerat
kann mit der Bauer zählt die Hühner übersetzt werden. Überträgt man jedoch Wort für Wort, erhält man der Bauer die Hühner zählt. Die Wortstellung im Lateinischen ist wegen seines großen Formenreichtums sehr frei bzw. variabel. Im Deutschen wie auch im Norwegischen ist – anders als im Lateinischen – die Wortstellung für die Bildung von Satztypen mitverantwortlich. Satztypen lassen sich u. A. nach der Stellung des finiten Verbs (z. B. Verbletztsatz), nach ihrem Satzmodus (z. B. Fragesatz) oder nach ihrer Selbstständigkeit bzw. Unselbstständigkeit (z. B. Hauptsatz vs. Nebensatz) beschreiben.
Die lateinischen Sätze (1) bis (6) sind allesamt Hauptsätze im Aussage-Modus, die nur hinsichtlich der Stellung ihrer primären Komponenten variieren. Ihre wörtliche Übertragung zeigt, dass sie unterschiedlichen Satztypen zuzuordnen sind:
lateinisch | deutsch | |
(1) agricola gallinas numerat | (1') der Bauer die Hühner zählt | |
(2) gallinas agricola numerat | (2') die Hühner der Bauer zählt | |
(3) agricola numerat gallinas | (3') der Bauer zählt die Hühner | |
(4) gallinas numerat agricola | (4') die Hühner zählt der Bauer | |
(5) numerat agricola gallinas | (5') zählt der Bauer die Hühner | |
(6) numerat gallinas agricola | (6') zählt die Hühner der Bauer |
Wird ein bestimmter Satztyp mit den für ihn typischen intonatorischen Mitteln realisiert, stellen die Verbzweitsätze (3') und (4') aufgrund ihrer Wortstellung typische Aussagesätze (im Aussage-Modus) dar:
(3'') Der Bauer zählt die Hühner.
(4'') Die Hühner zählt der Bauer.
Die Verberstsätze (5') und (6') können als Fragesätze (im Entscheidungsfrage-Modus) verstanden werden:
(5'') Zählt der Bauer die
Hühner?
(6'') Zählt die Hühner der
Bauer?
Satz (4') kann z. B. in Verbindung mit einem bestimmten Kotext mit einem spezifischen Gewichtungsakzent auftreten, etwa nach einem Satz wie Die Bäuerin zählt die Gänse., dem dann der nachfolgende Satz gegenübergestellt wird: Die Hühner zählt der Bauer. Unter vergleichbaren Bedingungen kann man auch (6') als Fragesatz verstehen.
Als Hauptsätze sind (1') und (2') aber weder als Aussage noch als Frage möglich:
(1'') *Der Bauer die Hühner zählt. /
*Der Bauer die Hühner zählt?
(2'') *Die
Hühner der Bauer zählt. / *Die Hühner der Bauer
zählt?
Sie verstoßen offensichtlich gegen die Bauprinzipien deutscher Hauptsätze. Möglich sind diese Abfolgen lediglich als Nebensätze, sie bedürfen hierzu aber eines entsprechenden Einleitungselements (Subjunktoren, Relativ-Elemente):
(1''') Ich weiß nicht, ob der
Bauer die Hühner zählt.
(2''') Die
Bäuerin hat heute frei, da die Hühner der Bauer
zählt.
Die wörtliche Übertragung der lateinischen Beispiele ins Norwegische zeigt, dass sie auch hier unterschiedlichen Satztypen zuzuordnen sind, wobei allerdings nicht alle Wortfolgekombinationen grammatisch möglich sind:
*(1'') bonden hønsene teller |
(2'') bonden teller hønsene |
(3'') teller hønsene bonden |
(4'') teller bonden hønsene |
*(5'') hønsene bonden teller |
(6'') hønsene teller bonden |
Auch im Norwegischen können (2'') als Aussagesatz (im Aussage-Modus) und (4'') als Fragesatz (im Entscheidungsfrage-Modus) verstanden werden. Wegen der fehlenden Kasusmarkierung ist für die norwegischen Versionen (6'') und (3'') im Unterschied zum Deutschen allerdings nur eine – syntaktisch zulässige aber semantisch unplausible – Interpretation möglich, in der der Bauer von den Hühnern gezählt wird. Die norwegischen Wortfolgen (1'') und (5'') sind ungrammatisch.
Die Stellung des Verbalkomplexes ist also nicht generell festgelegt (z. B. auf die Endstellung wie im Japanischen), sie ist aber für den jeweiligen Satztyp bindend festgelegt. Variabler ist die Wortstellung bei den nicht dem Verbalkomplex zugehörigen Teilen des Satzes.
Wenn man die Aufgabe hätte, aus den folgenden vermischten Wörtern
wird | am | Zeit | für | ProGr@mm | seit | Mannheimer | Deutsche | entwickelt | Sprache | Institut | einiger |
einen sinnvollen Satz zu bilden, muss man zunächst die Stellung des finiten Verbs festlegen. Für diese zwölf Wörter gibt es 479001600 Möglichkeiten der Wortstellung, aber nur ganz wenige davon ergeben einen syntaktisch richtigen und sinnvollen Satz. Wie viele es sind, hängt u. A. davon ab, wie viele Kontexte man zulässt. In jedem Fall muss man sich zunächst für einen Satztyp und damit für die Stellung des finiten Verbteils entscheiden, z. B.:
Aussagesatz:
finites Verb | infiniter Verbteil | ||
Seit einiger Zeit | wird | am Mannheimer Institut für Deutsche Sprache ProGr@mm | entwickelt. |
Entscheidungsfragesatz:
finites Verb | infiniter Verbteil | |
Wird | seit einiger Zeit am Mannheimer Institut für Deutsche Sprache ProGr@mm | entwickelt? |
Die Stellung des Verbalkomplexes ist auch im Norwegischen nicht generell festgelegt und ebenfalls für den jeweiligen Satztyp bindend, allerdings sind nicht zwischen allen Satztypen die Unterschiede so deutlich wie im Deutschen. Die Stellung des finiten Verbteils ist im Entscheidungsfragesatz (norw.: setningsspørsmål, spørresetning uten spørreord) und Aussagesatz (norw.: fortellende hovedsetning) jedoch entsprechend. Bei der Stellung des infiniten Verbteils gibt es jedoch Unterschiede im Vergleich zum Deutschen:
Aussagesatz (norw.: fortellende hovedsetning):
finites Verb | infiniter Verbteil | |||
I noen år | har | hun | jobbet | i Mannheim. |
Entscheidungsfragesatz (norw.: setningsspørsmål, spørresetning uten spørreord):
finites Verb | infiniter Verbteil | ||
Har | hun | jobbet | i Mannheim i noen år? |
Wortstellungsvariation
Mit Ausnahme des Verbalkomplexes sind einige Wörter so eng miteinander verbunden, dass sie nur zusammen umgestellt werden können. Sie bilden zum Teil komplexe Phrasen, die die primären Komponenten des Satzes Komplement und Supplement realisieren. Man erkennt bei den Stellungsvarianten der Beispiele (7) bis (9), dass einige Wörter immer zusammen umgestellt werden:
(8) Seit einiger Zeit wird ProGr@mm am Mannheimer Institut für Deutsche Sprache entwickelt.
(9) Am Mannheimer Institut für Deutsche Sprache wird ProGr@mm seit einiger Zeit entwickelt.
Die jeweils zwölf Wörter gliedern sich in folgende vier Komponenten:
am Mannheimer Institut für Deutsche Sprache | seit einiger Zeit | ProGr@mm | wird entwickelt |
Die ersten drei Komponenten sind Phrasen, die letzte – der Verbalkomplex – gilt in ProGr@mm nicht als Phrase. Die interne Abfolge der Wörter in einer Phrase ist sehr fest (s. hierzu auch Syntaktische Eigenschaften von Phrasen). Die Abfolge der Elemente auf der Phrasenebene kann also, abgesehen von wenigen Ausnahmen, nicht zum Zwecke der kommunikativen Gewichtung verändert werden.
Berücksichtigt man diese Einschränkungen auf der Phrasenebene, kann man durch die Variation der Wortstellung im Satz eine kommunikative Gewichtung der einzelnen Informationen vornehmen. Auf diese Weise werden bestimmte Ausdruckselemente gezielt fokussiert. Der stellungsbezogene Gewichtungseffekt wird durch die zweigliedrige kommunikative Grundstruktur deutscher Sätze bewirkt, die die weniger wichtigen – meist bekannten – Informationen dem Hintergrund und die wichtigeren – meist neuen Informationen – dem Vordergrund zuordnet.
Beispiel
Satz (10) ist zwar auch auf Anhieb verständlich, signalisiert aber, dass es einen Vortext gibt (wie bei (6') und (3')), in dem schon über ProGr@mm gesprochen wurde. Eventuell wurde allgemein etwas über ProGr@mm gesagt und (10) ergänzt z. B. in einem thematischen Anschluss Informationen über die Herausgeber. Oder im Vortext wird etwas gesagt, das eine kontrastierende Hervorhebung des Verbs entwickeln begünstigt, die dann durch die Voranstellung des infiniten Verbteils (in Verbindung mit einem Gewichtungsakzent) signalisiert wird. Die ungewöhnliche Besetzung des Satzabschnitts vor dem finiten Verb (wird) passt den Satz in den größeren Kontext ein, macht ihn sozusagen "textfähig".
Aber es gibt auch auf Satzebene Grenzen der Wortstellungsvariation. Die Abfolgen (11) und (12) gehören nicht zu syntaktisch wohlgeformten Strukturen deutscher Sätze, da sie elementare Wortstellungsregeln verletzen:
(12) *ProGr@mm seit einiger Zeit wird am Mannheimer Institut für Deutsche Sprache entwickelt.
Bei der Wortstellungsvariation gibt es sowohl Gemeinsamkeiten als auch Unterschiede zwischen dem Deutschen und dem Norwegischen. Die Unterschiede hängen vor allem mit der weniger ausgeprägten Flexionsmorphologie des Norwegischen zusammen. Auch im Norwegischen ist die interne Abfolge der Wörter in einer Phrase eher fest, und auch im Norwegischen kann die Wortstellung im Satz zum Zwecke der kommunikativen Gewichtung, z. B. in Hintergrund- und Vordergrundinformation, variiert werden:
(13) I noen år har hun jobbet i Mannheim.
(14) I Mannheim har hun jobbet i noen år.
(15) Hun har jobbet i Mannheim i noen år.
Ähnlich wie im deutschen Satz (10) wird auch im norwegischen Satz (16) durch die Voranstellung des infiniten Verbteils das Verb (jobbe) kontrastierend hervorgehoben, was ebenfalls mit einem Gewichtungsakzent verbunden ist. Auch hier hat die ungewöhnliche Besetzung der Position vor dem finiten Verb eine textuelle Funktion:
(16) Jobbe vil hun helst i Mannheim.
Die Abfolgen (17) und (18) – nach dem Muster deutscher Wortstellungsregeln gebildet – sind keine syntaktisch wohlgeformten Strukturen norwegischer Sätze:
(17) *I noen år har hun i Mannheim jobbet.
(18) *Hun har i Mannheim i noen år jobbet.