Quantität

Mit Quantität ist die Verwendung der relativen messbaren Dauer zum Zweck der Bedeutungsunterscheidung gemeint. Quantität ist mithin 1) ein phonologischer Begriff und 2) sind für ihre Abgrenzung nicht die absoluten Dauerwerte eines Lautes relevant, vielmehr ergibt sie sich aus dem Verhältnis zu den anderen Lauten eines Sprachsystems. Wegen diesem ihr eigenen Charakter wird die Quantität zu den prosodischen Eigenheiten der Sprache gezählt. Das auditiv-perzeptive Korrelat der Quantität ist die Länge.

In Sprachen, die die Quantität als phonologisches Merkmal haben, kann sie entweder nur für Vokale (z. B. Latein) oder nur für Konsonanten (z. B. Italienisch) bzw. sowohl für Vokale als auch für Konsonanten (z. B. Ungarisch) gelten. In einigen Sprachen (z. B. Schwedisch) stehen Vokal- und Konsonantenquantität in komplementärer Distribution, insofern als sie sich in Vokal-Konsonant-Sequenzen gegenseitig ausschließen.

Im Deutschen und anderen germanischen Sprachen (z. B. Norwegisch) betreffen die Quantitätsoppositionen Vokale in betonten Silben. Dabei gibt es (bis auf /ɛ/ vs. /ɛ:/) eine Korrelation zwischen Quantität und Qualität: Kurze Vokale sind offen und ungespannt, lange Vokale sind geschlossen und gespannt.

Wie die meisten prosodischen Merkmale wird die vokalische Quantität in der Schrift nicht immer eindeutig markiert. Jedoch gibt es orthografische Anhaltspunkte sowohl für lange (z. B. Doppelschreibung: Paar, Moor, Boot; Dehnungs-h nach einem einfachen Vokalgraphem: Mehl, Ruhr usw.) als auch für kurze Vokale (z. B. ein einfaches Vokalgraphem vor einer Sequenz aus zwei unterschiedlichen bzw. identischen Konsonantengraphemen: Gast, Kette usw.).

Die Dauer bzw. die wahrgenommene Länge wird nicht nur zum Ausdruck der phonologischen Quantität in einigen Sprachen verwendet, vielmehr ist sie von großer Relevanz für die Definition des Rhythmus, die Charakterisierung der Pausen, die Analyse der Intonation sowie die Bestimmung des Akzentes. Darüber hinaus hat die Dauer eine paralinguistische Funktion, indem sie z. B. zum Ausdruck der Emphase eingesetzt wird (ach wie schöööön).

Quantität wird in der Phonetik sowohl artikulatorisch als auch akustisch definiert. Artikulatorisch geht es um die Dauer einer Ruhephase, in der die Artikulationsorgane nicht mehr in Bewegung sind, aber ihre in Folge einer Bewegung entstandene Lage weiterhin den ausgehenden Phonationsstrom gestaltet (in Extremfall ihn stoppt, z. B. bei [t:]). Der akustische Hauptparameter der Quantität ist die Zeit und nicht die Frequenz, was dazu führt, dass gerade die Quantität das am schwächsten auditiv wahrnehmbare artikulatorische Merkmal ist und ihre richtige Wahrnehmung erst dank anderen artikulatorischen Merkmalen oder unterschiedlichen Faktoren situativer Art möglich ist.

Primäre Realisierung der Quantität erfolgt im segmentalen Bereich. Im Gegensatz zum Deutschen hat sie im polnischen Vokalismus keine vokaldifferenzierende Funktion (in der Regel sind alle Vokale des Polnischen kurz). Ebenfalls anders als im Deutschen ist die Quantität zum Teil (als Alternative für geminierte Aussprache) lautdifferenzierend bei polnischen Konsonanten, z. B. winy (dt. Schulden) mit kurzem [n] vs. winny (dt. schuldig) mit langem [n:].

Zahlreiche phonetische Experimente beweisen die Hypothese nicht, dass die verlängerte Quantität auf der suprasegmentalen Ebene ein Mitmerkmal der Betonung sei. Dies gilt sowohl für eine Sprache wie Polnisch, in der eine solche potentielle Verlängerung des betonten Vokals kein Verstoß gegen die segmentalen Regeln wäre, als auch für eine Sprache wie Deutsch, in der ja sowohl lange wie auch kurze Vokale betont werden können. Auf der prosodischen Ebene nutzt man die Quantität im Polnischen für die präpausale Vokallängung (vgl. Rhythmus im Polnischen), was häufig als sprachuniverselles Phänomen betrachtet wird (vgl. Pompino-Marschall 1995). Trotzdem kann sie auch im Polnischen zum Ausdruck der Emphase (z. B. ales[::]yf) dienen oder bei Ausrufen (z. B. Jure[::]k!) vorkommen.

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