Linguistische Aspekte

Im Rahmen unserer linguistischen Untersuchungen haben wir uns damit befasst, welche Kontexte bzw. Faktoren den Wegfall der Genitivmarkierung begünstigen, und wie sich entsprechende Aussagen zur relativen Häufigkeit endungsloser Varianten auf der Basis einer Korpusstudie überprüfen bzw. präzisieren lassen. Dabei haben wir zunächst in Invariante Fälle Fälle betrachtet, in denen eine endungslose Realisierung des Genitivs die Regel darstellt. Es wurde deutlich, dass obligatorische Endungslosigkeit in der Regel das Resultat kumulativer Effekte ist, d.h. eines Zusammenwirkens mehrerer Faktoren, wobei typischerweise lexikalisch-semantische Faktoren (insbes. mangelnde Integration in das Flexionssystem z.B. aufgrund von Eigennamencharakter/Nennfunktion oder fremdsprachlichem Ursprung) mit phonologischen (s-Auslaut) und morphosyntaktischen Faktoren (Monoflexion) interagieren. Als charakteristisches Beispiel ist z.B. das Flexionsverhalten nicht-integrierter Fremdwörter, die auf -s auslauten, zu nennen. Eine Sonderrolle nehmen Abkürzungen ein. Hier bleibt der Genitiv quasi obligatorisch unmarkiert, auch ohne dass eine Faktorenhäufung vorliegt. Dies korreliert womöglich mit der mangelnden Integration ins Flexionssystem, die für Abkürzungen charakteristisch ist. In anderen Kontexten (z.B. Konversionen oder einzelne Monatsnamen) treten zwar ebenfalls Fälle auf, in denen der Genitiv ausschließlich durch endungslose Varianten realisiert wird. Im Gegensatz zu den generell endungslosen Fällen (u.a. Fremdwörter auf -(u)s, Monoflexion bei Eigennamen) ist obligatorische Endungslosigkeit hier allerdings auf einzelne Lemmata beschränkt (z.B. Nichts, Heute, Gestern, Jetzt; März), während mit anderen Elementen der Wortklasse durchaus Varianten mit overter Genitivendung auftreten.

Im Anschluss haben wir im Abschnitt Variante Fälle das Flexionsverhalten von Nomen untersucht, deren Genitivformen Variation zwischen overter und endungsloser Markierung zeigen. Dabei haben wir quantitative Daten zu Eigennamen, ausgewählten eigennamenähnlichen Ausdrücken (Wochentage, Monatsnamen sowie Stil- und Epochenbezeichnungen), Fremdwörtern, Zeitausdrücken und Konversionen erhoben. Bei der Wahl des Genitivallomorphs lassen sich hier zum einen Kontraste zwischen verschiedenen Nominaltypen beobachten: Monatsnamen neigen generell zur Endungslosigkeit, während bei Fremdwörtern die Genitivendung nur bei Vorliegen weiterer Faktoren (s-Auslaut, Eigennamencharakter) ausfällt. Zum anderen verhalten sich oft auch die Elemente ein- und derselben Teilklasse aufgrund der Interaktion verschiedener Faktoren nicht einheitlich. So führt bei Farbwörtern (Schwarz, Weiß) und Monatsnamen (März) das Vorliegen eines s-Auslauts zu obligatorischer Endungslosigkeit, während bei anderen Elementen sowohl endungslose als auch morphologisch markierte Genitivformen auftreten.1 Ferner haben wir festgestellt, dass bei Monatsnamen die Wahl des Genitivallomorphs auch durch morphosyntaktische Bedingungen beeinflusst wird: Die Kombination eines Genitivartikels mit einem Monatsnamen begünstigt die s-Endung, während in Datumsangaben fast ausschließlich die Nullmarkierung auftritt. Die Beobachtungen zu Farbwörtern und Monatsnamen korrigieren z.T. Darstellungen in gängigen deskriptiven Grammatiken. Es steht zu hoffen, dass diese Befunde – insoweit noch nicht geschehen – bei künftigen Überarbeitungen einschlägiger Werke Berücksichtigung finden.

1 Allerdings müssten diese Interaktionseffekte noch genauer mithilfe statistischer Methoden wie Effektstärkenschätzung, Regressionsanalysen etc. untersucht werden.

Schließlich hat die Untersuchung von Interaktionseffekten bei der Genitivmarkierung fremdsprachlicher geografischer Namen (Iran/Irak) den Schluss nahe gelegt, dass die Wahl des Genitivallomorphs auch durch Fluktuationen im Gebrauch (d.h. der Häufigkeit) eines Nomens beeinflusst werden kann: Offenbar steigt der Anteil der s-Endung proportional zur Häufigkeit des Namens im Korpus. Mit einigen Einschränkungen scheint dies die Hypothese von Nübling (2012) zu unterstützen, dass der Faktor Geläufigkeit/Integration das Flexionsverhalten von Eigennamen determiniert.

Gegenstand vom Abschnitt Nicht-normgerechte endungslose Genitive: Korpusbefunde waren Fälle, für die in der einschlägigen Forschungsliteratur z.T. eine Tendenz zur Nullmarkierung des Genitivs (entgegen gängiger standardsprachlicher Normen) festgestellt wird. Dabei haben wir uns mit Maskulina und Neutra auf -en, Diminutiva und Verwandtschaftsbezeichnungen befasst. Die quantitative Auswertung der Belege hat gezeigt, dass in unserem Korpus für die untersuchten Nominaltypen keine Tendenz zum Wegfall der Genitivendung, nachgewiesen werden kann, die über den Anteil der Nullendungen bei „regulären“ Appellativa hinausgeht. Dies bestätigt den Befund von Paulfranz (2013), dass in der geschriebenen Standardsprache entsprechende Normen zur Genitivmarkierung weitestgehend eingehalten werden und zumindest in den genannten Bereichen keine Sprachwandeltendenzen zugunsten einer Ausbreitung endungsloser Genitive zu beobachten sind.

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Autor(en)
Eric Fuß
Bearbeiter
Monica Fürbacher
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