Von elementaren zu erweiterten Dikta
Neben Dikta in elementarer Form - elementare Propositionen verbunden mit elementaren Indikationen des Modus dicendi - können auch Dikta zum Ausdruck gebracht werden, die in verschiedener Hinsicht als einfach oder mehrfach ausgebaut gelten können. Die Operationen, mit denen ein solcher Ausbau erreicht werden kann, definieren sich über die Gleichartigkeit ihrer semantischen Funktion, nicht über die Gleichartigkeit der Ausdrucksmittel, mit denen sie zu realisieren sind. Aus syntaktischer Perspektive wird man viele Klassen solcher aufbauenden Operationen nicht als zusammengehörig erkennen, wenngleich sich in der Regel auch typische Ausdrucksformen für die verschiedenen Operationen finden lassen.
Die in unserer Systematischen Grammatik definierten Klassen solcher aufbauenden Operationen werden auch aus eher traditioneller Sicht nicht allzu ungewöhnlich scheinen, weil beim Versuch, die betroffenen syntaktischen Klassen - vor allem Adverbiale und Nebensätze - zu subklassifizieren, schon immer auf semantische Kriterien zurückgegriffen wurde. Um diese Operationen zusammenfassend ansprechen zu können, werden sie hier insgesamt als Diktumserweiterungen bezeichnet. Dabei handelt es sich nur in bestimmten Fällen um pauschale Erweiterungen eines bereits konstituierten Diktums. Die Wirkung einer Diktumserweiterung kann sich auch als Modifikation der Proposition oder des Modus dicendi auf eine der beiden elementaren Komponenten eines Diktums beschränken.
Um Missverständnisse zu vermeiden, ist anzumerken:
- Erweiterung ist hier nicht so zu verstehen, als würde stets der Umfang der Geltungsansprüche ausgeweitet, die mit einem Diktum verbunden sind. Tatsächlich ist oft das Gegenteil der Fall: Was erweiternd hinzukommt, wirkt sich als Einschränkung des Anspruchs aus.
- Die verschiedenen Arten der Diktumserweiterung konstituieren sich nicht
als Klassen von Ausdrücken. Ausdrucksketten derselben Art können ganz verschiedene
Erweiterungsfunktionen erfüllen. Ihr semantisches Potential legt sie nicht eindeutig
auf eine bestimmte Erweiterungsfunktion fest. Die Bedeutung dieser Ausdrücke wird
mit der Feststellung ihrer Eignung für bestimmte Erweiterungsfunktionen nicht
erschöpfend erfasst. Darin zeigt sich keine Schwäche unserer Darstellung. Soll eine
umfassende Beschreibung der Bedeutung der Ausdrücke erreicht werden, ist eine andere
Betrachtungsweise zu wählen.
Hinweise auf Beispiele müssen deshalb mit einer Warnung verbunden werden: Man darf aus der Tatsache, dass sich mit einem Ausdruck die eine oder andere Wirkung erzielt lässt, nicht darauf schließen, dass er bei jeder Verwendung diese Wirkung haben muss.
Diktumserweiterungen können verschiedene Operanden und, bei gleichen Operanden, verschiedene Formen haben. Die folgenden Beispiele zeigen nur einen eher kleinen Ausschnitt der möglichen Vielfalt:
Propositionsspezifikation:
(die tageszeitung, 14.01.1991, S. 5)
Geltungsspezifikation:
(Manfred Rommel, SWR4)
(Berliner Zeitung, 04.01.2003, Rückkehr besser dreimal überlegen)
(Günter Grass , Die Blechtrommel, Fischer Verlag, Frankfurt 1962, S. 79, gelesen vom Autor)
(St. Galler Tagblatt, 31.05.1997, Investieren wir in die Zukunft)
(Die Presse, 21.08.1997; FPÖ: Frühes Gerangel um Spitzenkandidaten)
Geltungsrestriktion:
(Heinrich Böll, Die verlorene Ehre der Katharina Blum, gelesen vom Autor)
Modalfunktion:
(Mannheimer Morgen, 06.02.2002, Ernst Stenwers wird vermisst)
(die tageszeitung, 15.07.1989, S. 3)
Negation:
(Aufruf des West-Berliner DGB-Vorsitzenden Ernst Scharnowski, RIAS, 17.6.1953)
(Rede Ernst Reuters zum 1.Mai 1953, RIAS Berlin)
(Erich Kästner, Kennst du das Land, wo die Kanonen blüh'n? 1930)
Diktumsgraduierung:
(Signor Ferrari und Ilsa Lund in Michael Curtiz' Film 'Casablanca')
Sachbezogene Kommentierung oder Wertung:
(Frankfurter Rundschau, 20.05.1999, S. 13)
(St. Galler Tagblatt, 16.05.1998, Die meisten haben eine Lehrstelle)
Weiterführung:
(Berliner Zeitung, 17.06.2000, S. 10)
(die tageszeitung, 22.11.1988, S. 5)
Handlungsbezogene Kommentierung oder Wertung:
(Die Zeit, 12.12.1997, Nr. 51, S. 73)
(St. Galler Tagblatt, 19.01.1999, Keinen Takt lang langweilig)
Diskursorganisation:
(Mannheimer Morgen, 11.11.2002, Cule macht Dreier perfekt)
(die tageszeitung, 02.03.2002, S. 32)
Abtönung
(Marietta Meguid, 1997, in: SDR 3, Die Schwabensaga, 2. Staffel)
(Matthias Holtmann im Gespräch mit den 'Prinzen'. SDR3 Leute , 1995)
In diesen Sätzen wird jeweils Diktumserweiterungen eines Typs abgehoben, doch meist finden sich gleich mehrfache Erweiterungen. Nicht berücksichtigt werden in diesem Zusammenhang die vielfaltigen Formen eines Ausbaus von Dikta mittels Konnexion. Wo durch Konnexion von Dikta eine kommunikative Leistung erbracht werden kann, die der Leistung einer der hier betrachteten Diktumserweiterungen entspricht, weisen wir eigens darauf hin. Eine ausführliche Behandlung konnektiver Strukturen findet sich in der Einheit Konnektoren sowie weiteren Einheiten, auf die dort verwiesen wird.
Die Klassifikation der Beispiele soll darauf verweisen, dass Diktumserweiterungen, bei aller Verschiedenheit ihrer je besonderen Bedeutungen, Klassen mit gleicher allgemeiner Charakteristik zugeordnet werden können. Diese Klassifikation wurde unter zwei grundsätzlich verschiedenen Gesichtspunkten vorgenommen, von denen hier zunächst nur der erste berücksichtigt wurde:
- Die Erweiterungen wurden zunächst im Hinblick auf ihre Operationsebene und ihren Geltungs- oder Wirkungsbereich (Skopus) klassifiziert. Die Klassen, die auf diese Weise bestimmt werden, sind abstrakte semantische Funktionsklassen und haben als solche einen grundsätzlich anderen Status als die Klassen, die unter dem zweiten Gesichtspunkt zu bilden sind.
- Auf der Grundlage dieser Klassifikation können die Erweiterungen unter dem Gesichtspunkt weiter unterteilt werden, inwieweit sie geeignet scheinen, gleichartige Informationen - etwa Ortsbestimmungen, Begründungen oder Zweckbestimmungen - zu vermitteln.
Zur weiteren Unterteilung der semantischen Funktionsklassen von Diktumserweiterungen: