Geltungsrelevante Diktumserweiterungen

Als geltungsrelevant können alle Erweiterungen von Dikta gelten, die sich darauf auswirken, welche Geltungsansprüche mit einem so erweiterten Diktum einzubringen sind. Dabei lassen sich allgemeint zwei Klassen von Erweiterungen unterscheiden:

  1. Modifizierende Diktumserweiterungen
  2. Additive Diktumserweiterungen

Modifizierende Diktumserweiterung

Die modifizierenden Diktumserweiterungen bilden eine heterogene Klasse. Sie konstituiert sich unter einem Gesichtspunkt, der quer liegt zu unserer Analyse des Diktums, denn zu dieser Klasse zählen Operationen, die sich auswirken auf

Das Konstrukt einer Klasse modifizierender Diktumserweiterungen führt mithin Operationen zusammen, die sachverhalts- oder normbezogene Geltungsansprüche zum Gegenstand haben. Ausschlaggebend für die Zusammenfassung dieser Operationen ist, dass sie, trotz verschiedener Operanden, gleiche Resultate haben können:

  1. Propositionsspezifikationen operieren auf Propositionen und bilden so neue, modifizierte Propositionen.
  2. Modifikationen der Geltungsmodalitäten operieren auf dem einer Basisproposition zugedachten Wissensstatus und können dabei ebenfalls zur Bildung neuer, modifizierter Propositionen führen.

Was auf den ersten Blick verwirrend scheint, besagt nichts anderes, als dass ein Sachverhalt und das Bestehen dieses Sachverhalts beide in gleicher Weise als Sachverhalte gelten können. Das zeigt auch die Schachtelung der Argumente in dieser Folge kommunikativer Minimaleinheiten:

Es schneit.
Es stimmt, dass es schneit.
Es stimmt, dass es stimmt, dass es schneit.
Es stimmt, dass es stimmt, dass es stimmt, dass es schneit.
Es stimmt, ... , dass es stimmt, dass es stimmt, dass es schneit.

Eine modusbezogene Modifikation, etwa eine Negation, gilt nicht dem Sachverhalt, der mit der Basisproposition entworfen wird, sondern dem gedachten Bestehen des Sachverhalts. Sie schließt dieses Bestehen aus. Ist diese Modifikation diejenige mit dem weitesten Skopus unter den modusmodifizierenden Operationen eines Diktums, führt sie nicht zur Bildung eines neuen Sachverhaltsentwurfs, sondern weist dem gegebenen Entwurf einen modifizierten Wissensstatus zu. Finden sich jedoch modusbezogene Modifikationen mit weiterem Skopus, bilden Operationen, die ansonsten modusmodifizierend wirken, modifizierte Sachverhaltsentwürfe, d.h. modifizierte Propositionen. Der Ausschluss des Bestehens eines Sachverhaltes etwa gilt dann seinerseits als Sachverhalt. Das heißt: Die wissensstatusbezogene Operation kann in der Bildung einer neuen Proposition resultieren.

Nur wenn man dieses Phänomen erkannt hat, kann es gelingen, von der Struktur erweiterter Dikta Rechenschaft zu geben, denn dabei trifft man auch auf Operationen, die Sachverhaltsentwürfe ins Spiel bringen, die ihrerseits bereits über modusbezogene Operationen zu konstituieren sind.

Additive Diktumserweiterungen

Unter den geltungsrelevanten Diktumserweiterungen finden sich drei Klassen von Erweiterungen, die weder auf die Proposition noch auf die mit dem Basisdiktum gegebenen Geltungsansprüche modifizierend wirken und die deshalb als additiv bezeichnet werden können:

Diktumsgraduierungen

Der zweithäufigste Vorwurf der Frauen: "Du hättest wenigstens anrufen können" (29 Prozent).
(St. Galler Tagblatt, 05.05.1999, Du schnarchst)
"Besser", sagen fast zwei Drittel, "schlechter" nur 15 Prozent.
(Josef Joffe, Regimewechsel, Teil 2, DIE ZEIT, Nr. 27 24. Juni 2004, S. 1)

Sachbezogene Kommentierungen und Wertungen

Den Einwand, das Kühlwasser des geplanten Atomkraftwerks könnte die Ostsee über Gebühr belasten, kontern sie mit der verblüffenden Auskunft, das Meer sei ja bekanntermaßen unausschöpfbar.
(die tageszeitung, 26.08.1988, S. 9)
Zur maßlosen Enttäuschung der Männerwelt hat Neisser nun aber doch für die Diskriminierung seiner Geschlechtsgenossen gestimmt.
(Salzburger Nachrichten, 18.04.1998, Ohne Protokoll)

Weiterführungen

Vier DDR-Bürger, die in die Bundesrepublik ausreisen wollen, sind mit einem weißen Lada in den Hof der Bonner Vertretung in Ost-Berlin gerast, wobei sie einen DDR-Polizisten anfuhren und verletzten.
(die tageszeitung, 18.02.1989, S. 6)
Nach ihrer Ausschulung arbeitete sie bei verschiedenen Familien als Haushaltshilfe, um in späteren Jahren Beschäftigung bei der Firma F. M. Hämmerle aufzunehmen.
(Vorarlberger Nachrichten, 07.06.1999, Josefina Nick (92))

In der Praxis täglicher Kommunikation haben additive Diktumserweiterungen oft den Charakter eines Zusatzes oder einer Digression. Das wird deutlich, wenn man die Reaktionen auf solche Erweiterungen betrachtet. Typische Reaktionen auf eine Diktumsgraduierung, sachbezogene Kommentierung oder Wertung, die man ohne weiteres nicht akzeptieren will: "Was heißt denn hier sogar/nur/bekanntermaßen/leider?" oder "Wieso sogar/nur/bekanntermaßen/leider?" Bloßes nein oder das stimmt nicht genügt in der Regel nicht, wenn man zurückweisen will, was mit solchen Erweiterungen gesagt wird. Bloßes Nein gälte hier nur dem jeweiligen Basisdiktum. Lediglich bei bestimmten Formen der Weiterführung bleibt offen, welches Teildiktum die Verneinung auf sich zieht. Additive Diktumserweiterungen unterscheiden sich darin wesentlich von allen Arten modifizierender Diktumserweiterung, bei denen sich eine pauschale Verneinung stets auf die Operation mit dem weitesten Skopus bezieht.

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