Sachbezogene Kommentierung oder Wertung

Will man sicher gehen, dass Hörern oder Lesern nicht entgeht, wie man zu der Sachlage steht, die Gegenstand des vorgebrachten Diktums ist, kann man dieses um eine Art "Anmerkung am Rande" erweitern, in der man in kompakter Form seine Haltung darlegt. Zusatzinformationen dieser Art werden in GRAMMIS als sachbezogene Kommentierungen oder Wertungen bezeichnet. Die Bezeichnung ist kommunikativ-funktional motiviert, insbesondere in Abgrenzung zu handlungsbezogenen Kommentaren oder Wertungen, die nicht den in Frage stehenden Sachverhalt zum Gegenstand haben, sondern den Sprechakt selbst.

Einen Eindruck davon, was an Sachbezogene Kommentierungen oder Wertungen möglich ist, sollen diese Beispiele vermitteln:

Kaum war diese Hürde genommen, ging zu allem Elend noch der Firma Fillibeck, an die man die Gründungsarbeiten vergeben hatte, die Luft aus: Konkurs, über 370 00 Mark Schaden.
(Mannheimer Morgen, 01.12.1995, Richtfest bei den Handwerkern)
Und zuallervorderst - Gott sei's geklagt - steht leider das Geld.
(Züricher Tagesanzeiger, 26.05.1999, S. 31)
Der Baukostenindex ist, wie allgemein bekannt sein dürfte, weit über die Inflationsrate gestiegen.
(Salzburger Nachrichten, 08.01.1997, Landeshauptstadt ohne Kardiologie)
Selbst wenn die Löscharbeiten, was niemand erwartet, in nächster Zeit von Erfolg gekrönt würden - gewonnen wäre nichts.
(die tageszeitung, 23.05.1991, S. 17)
Leider können wir nicht das ganze Gebäude untersuchen, weil uns die technischen Gerätschaften fehlen.
(die tageszeitung, 06.02.1991, S. 9)
Ihr Adressat, der Marquis de Chamilly, brachte es zwar zu allgemeiner Verwunderung bis zum Marschall von Frankreich, war aber als Persönlichkeit nicht mehr als der zufällige Auslöser einer großen Leidenschaft, die sich in Briefen ausdrückte, die in die Weltliteratur aufrückten.
(Salzburger Nachrichten, 24.10.1992, LOTHAR STRÄTER Verliebte, Nonnen und König)
Alle Brände seien glücklicherweise frühzeitig entdeckt und gelöscht worden.
(die tageszeitung, 10.11.1987, S. 2)
Die Reaktion liess bemerkenswerterweise nicht auf sich warten.
(St. Galler Tagblatt, 14.09.1998, Kreuzlingen unterliegt Rapperswil auch im Cup)
Der Landesgesetzgeber hat sich zu meinem größten Bedauern allerdings sehr viel Zeit gelassen, einen entsprechenden Gesetzesentwurf vorzulegen.
(Salzburger Nachrichten, 23.05.1998, Realisierung des Ensembleschutzes)

Wie sich zeigt

Die Doppelbezeichnung Kommentierung oder Wertung soll grundsätzlich darauf hinweisen, dass zu dieser Klasse von Diktumserweiterungen neben mehr oder weniger sinnvollen Kommentaren auch die kommunikativ besonders bedeutsamen Bewertungen von Sachverhalten zu zählen sind.

Mit sachbezogenen Kommentierungen oder Wertungen können Dikta im Aussage-Modus - und nur solche - um eine Einschätzung des mit dem Basisdiktum Gesagten erweitert werden, ohne in dieses Diktum einzugreifen. Wer etwa feststellt:

Ich bin leider etwas spät dran.

sagt in wesentlicher Hinsicht nichts anderes, als er so hätte sagen können:

Ich bin etwas spät dran.

Syntaktisch gesehen sind sachbezogene Kommentierungen oder Wertungen Supplemente, semantisch verhalten sie sich ähnlich wie Modalfunktionen. Dass sie nicht einfach als solche zu werten sind, zeigt sich an diesen Eigenschaften:

  1. Modalfunktionen wirken sich auf den Geltungsanspruch aus, der mit dem Diktum gestellt werden kann, sachbezogene Kommentierungen wirken additiv.
  2. Modalfunktionen können auf Dikta im Aussage- und im Frage-Modus angewandt werden, sachbezogene Kommentierungen oder Wertungen nur auf solche im Aussage-Modus:
Hätten Sie möglicherweise eine Stunde für mich Zeit?
* Hätten Sie leider eine Stunde für mich Zeit?
  1. Modalfunktionen und sachbezogene Kommentierungen oder Wertungen - auch mehrere - können gemeinsam in einem Satz auftreten, während eine Kookkurrenz von zwei Modalfunktionen nicht akzeptabel ist:
Leider reicht wahrscheinlich mein Geld nicht für ein anständiges Hotel.
* Möglicherweise reicht wahrscheinlich mein Geld nicht für ein anständiges Hotel.
  1. Treten in einem Satz eine Modalfunktion und sachbezogene Kommentierungen oder Wertungen gemeinsam auf, kann der Ausdruck der sachbezogenen Kommentierungen nur ganz links oder als Parenthese stehen:
* Wahrscheinlich wird das Projekt bedauerlicherweise nicht zu finanzieren sein.
Wahrscheinlich wird das Projekt - bedauerlicherweise - nicht zu finanzieren sein.
Bedauerlicherweise wird das Projekt wahrscheinlich nicht zu finanzieren sein.

Das erste dieser Beispiele ist als abweichend gekennzeichnet, weil hier der Ausdruck einer sachbezogenen Kommentierung bruchlos in den Satz integriert ist, also weder durch Gedankenstriche - wie beim folgenden Satz - noch durch Kommata als Einschub ausgewiesen wird.

Einschätzungen, die als sachbezogene Kommentierungen oder Wertungen zu formulieren sind, können sich auf verschiedenste Gesichtspunkte der Wertung und der wissensbezogenen Einordnung von Sachverhalten beziehen. Hier eine kleine Auswahl:

Bekanntheit

Der Schriftsteller, Publizist, Zeitungsherausgeber und - wie man seit diesem Bildband weiß - nicht zuletzt auch Fotograf Alter Kacyzne hat den Zweiten Weltkrieg nicht überlebt.
(die tageszeitung, 02.01.2001, S. 13)
Vokabeln lernen gehört bekanntermaßen bei den meisten Kindern und Jugendlichen nicht gerade zu den Lieblingsbeschäftigungen.
(Mannheimer Morgen, 12.12.2002, Vokabeltag macht Spaß)
Den zehn Beschuldigten wird bekanntlich vorgeworfen, eine kriminelle Organisation gebildet zu haben, deren Geschäftsfelder der Straßenstrich, der Kokainhandel und das illegale Glücksspiel seien.
(Tiroler Tageszeitung, 26.11.1999, Polizist im Zeugenstand)

Akzeptanz

Offenkundig aus Angst vor dem unkontrollierbaren demokratischen Gestaltungswillen des "deutschen Volkes als dem eigentlichen Souverän unseres Staates" gibt es in unserem Grundgesetz unverständlicherweise keinerlei Möglichkeiten einer Volksabstimmung.
(Frankfurter Rundschau, 018.06.1999, S. 28)
Frauke Werther macht dankenswerterweise nochmals auf die Kosten-Nutzen-Relation im Streit zwischen Schulmedizin und Psychotherapie aufmerksam.
(Frankfurter Rundschau, 14.03.1998, S. 9)
Mein Partner hatte zudem auf der Rosenfarbe das As zu dritt, zog aber - für mich nicht nachvollziehbar - die Schiltenfarbe an.
(St. Galler Tagblatt, 31.12.1998, TB-VGN)
Doch es ist die Realität, daß die IRA ungeschlagen war, als sie vor 18 Monaten ihren sehr mutigen Entschluß faßte und - wie allgemein anerkannt wird - die größte Möglichkeit seit der Teilung Irlands für eine dauerhafte Friedenslösung schuf.
(die tageszeitung, 13.02.1996, S. 10)
Bill Hare ist anerkanntermaßen einer der Experten für Strategie und Taktik der Klimaschutzpolitik.
(Berliner Zeitung, 10.12.1997, S. 3)

Rechtmäßigkeit

Die Drittweltregieungen fürchten nicht ganz zu unrecht, daß im Sinne obiger Volksweisheit vor allem die Probleme der Banken, nicht ihre ureigenen angegangen werden.
(die tageszeitung, 22.03.1989, S. 8)
Der nigerianische Abwehrspieler sah in der 82. Minute nach einem Ellenbogenschlag gegen Casiraghi völlig zurecht die Rote Karte.
(Frankfurter Rundschau, 07.05.1998, S. 19)
Sie wollte - nicht ganz legal - außer Landes gebrachtes Geld zurückholen und daheim investieren.
(Oberösterreichische Nachrichten, 10.07.1996)

Freud und Leid

Brüllend, mit hochrotem Kopf und die Faust immer wieder aufs Rednerpult schlagend zeigt zunächst Hans Jochen Vogel, wie ein aggressiver Wahlkämpfer auszusehen hat. Leider hört ihm kaum jemand zu.
(die tageszeitung, 27.10.1986, S. 5)
Die erste knappe Mitteilung aus dem St. Mary's Krankenhaus in Manchester klang geheimnisvoll und unverständlich: "Jodie ist derzeit in einem kritischen, aber stabilen Zustand. Allen Anstrengungen des medizinischen Teams zum Trotz ist aber Mary traurigerweise verstorben."
(Berliner Zeitung, 08.11.2000, S. 10)
Zumal nicht angeschnallt, erlitt der laut Polizei angeheiterte Verkehrsteilnehmer zu allem Unglück auch noch schwere Verletzungen, die seine Einlieferung ins Krankenhaus unvermeidlich machten, die unumgängliche Blutprobe jedoch erleichterte.
(Frankfurter Rundschau, 02.01.1997, S. 5)
Das künstlerische Potenzial hiefür war in der Region erfreulicherweise problemlos zu finden, aber leider erwies sich dann die Finanzierung - 1,2 Millionen Franken - als unüberwindliches Hindernis.
(St. Galler Tagblatt, 25.08.2001, Vom Open- zum Closed-Air)

Interesse

In Salzburg wählte man bemerkenswerterweise nicht die neuere (in Bologna und Nürnberg erprobte) Komplettierung von Alfred Beaumont, sondern die Endfassung des Busonischülers Philipp Jarnach.
(Frankfurter Rundschau, 03.08.1999, S. 7)
Die Türkei jedoch - laut Mölzer ein islamisches Land - also Atatürk hat nie gelebt und Mölzer hat jetzt die Türkei reislamisiert, wie interessant; die Türkei also als islamisch geprägter Staat kann natürlich nie oder wörtlich "doch mehr als fragwürdig" zu einen künftigen Europa gehören!
(Die Presse, 17.01.2000, EU kein katholischer Verein)
Erst danach wird es auf das materielle Strafrecht ankommen, also der Auslegung der Paragraphen 218 und 218a des StGB. Laut §218a ist eine Notlage "nach ärztlicher Erkenntnis" festzustellen. Zur Frage, was das bedeutet, hat interessanterweise bereits 1985 der BGH in einer Zivilsache (Arzthaftung) entschieden.
(die tageszeitung, 22.10.1991, S. 5)

Erwartung und Erwartbarkeit

Der Liebhaber des Faustballs ist typischerweise männlich, 25jährig und in ländlichen Gebieten anzutreffen.
(Züricher Tagesanzeiger, 14.05.1996, S. 48)
30 Millionen Mark Schulden hatte der Club in den letzten Jahren angehäuft und so den Unmut des italienischen Fußballverbandes auf sich gezogen, der es ohnehin für angebracht hielt, der Verschwendungssucht in der italienischen Liga endlich einen Dämpfer zu verpassen.
(die tageszeitung, 19.09.1986, S. 9)
Bezeichnenderweise waren es nicht die Bedenken um das Wohl der Gefangenen, die zur Räumung des Trakts führten, sondern die Sorge um das Wohl des Gemäuers.
(die tageszeitung, 11.08.1988, S. 17)
Doch die bewährte Abwehrstrategie gegen alles Weibliche kam beim Kulturpapst Marcel Reich-Ranicki, wie nicht anders zu erwarten, durchaus gut an, und auch die Regisseurin Edith Clever mochte sich dem allgemeinen Jubeltaumel offenbar nicht verschließen.
(Frankfurter Rundschau, 30.08.1999, S. 11)

Den - ohnedies nicht systematisch zu bestimmenden - verschiedenen sachlichen Gesichtpunkten der sachbezogenen Kommentierung und der Wertung, entsprechen keinerlei formale Unterscheidungen. Unabhängig von der Zuordnung zu bestimmten sachlichen Gesichtspunkten lässt sich feststellen, dass in vollauf akzeptablen Sätzen in der Regel nur eine sachbezogene Kommentierung pro Satz auftritt. Sequenzen wie diese wirken zumindest überladen:

Bezeichnenderweise wählte man in Salzburg bemerkenswerterweise nicht die neuere (in Bologna und Nürnberg erprobte) Komplettierung von Alfred Beaumont, sondern die Endfassung des Busonischülers Philipp Jarnach.
Leider hört ihm seltsamerweise kaum jemand zu.

Zu erklären ist die Beschränkung auf jeweils nur eine sachbezogene Kommentierung oder Wertung mit den Schwierigkeiten, die sich bei mehrfacher Kommentierung hinsichtlich des Skopus der Kommentare ergeben: Ist es leider so, dass seltsamerweise kaum jemand zuhört, oder ist es seltsamerweise so, dass leider kaum jemand zuhört?

Völlig ausgeschlossen sind aus sachlichen Gründen wechselseitig unverträgliche Kommentierungen oder Wertungen, wie sie hier vorliegen:

Der nigerianische Abwehrspieler sah ungerechtfertigterweise in der 82. Minute nach einem Ellenbogenschlag gegen Casiraghi völlig zurecht die Rote Karte.

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