Modalfunktion
- Was sind und was leisten Modalfunktionen?
- Die kommunikative Funktion von Modalfunktionen
- Die Ordnung der Modalfunktionen
- Der Skopus von Modalfunktionen
Was sind und was leisten Modalfunktionen?
Einen ersten Eindruck davon, was hier unter Modalfunktionen zu verstehen ist, können diese Beispiele vermitteln:
(Heinrich Böll, Ansichten eines Clowns, Köln-Berlin, 1963, S. 13. Gelesen vom Autor.)
(Stefan Siller und Giorgio Moroder, 23. 3. 1994, SDR3, Leute)
(die tageszeitung, 29.08.1990, S. 21)
(Frankfurter Rundschau, 04.08.1998, S. 25)
(Kleine Zeitung, 31.08.1999, Bluffer und Blender)
(Frankfurter Rundschau, 011.11.1998, S. 2)
Modalfunktionen operieren, wie Geltungsspezifikationen, Geltungsrestriktionen und die Negation, auf den einer Proposition zugedachten Wissensstatus. Sie sind jedoch, anders als diese Operationen, nur anzuwenden, wenn ein Status als repräsentatives Wissen gegeben ist. Diese Beschränkung erklärt sich unmittelbar aus der spezifischen Leistung von Modalfunktionen: Sie wandeln Geltungsansprüche um in mehr oder weniger sichere Vermutungen. Das macht Sinn, wo es um das Bestehen oder Nicht-Bestehen von Sachverhalten geht, also bei Aussagen und Fragen. Aufforderungen, Wünsche und Exklamationen verlieren hingegen jeden Sinn, wenn sie eine Modalfunktion auf sie angewandt wird:
Wer eine derart "modalisierte" Aufforderung zu hören bekäme, wüsste nicht, was er tun könnte, um der Aufforderung zu genügen.
Dagegen scheint zu sprechen, dass man sehr wohl sagen kann:
Mit ganz bestimmt wird hier jedoch nicht der Wissensstatus des Diktums modifiziert, es wird vielmehr eine handlungsbezogene Wertung vorgenommen, die auf die Dringlichkeit der Aufforderung abhebt.
Was gegen eine Anwendung von Modalfunktionen auf Dikta im Aufforderungsmodus spricht, blockiert auch die Anwendung auf Dikta, mit denen ein Sprecher seine Einschätzung von Sachverhalten kundtun kann:
Die distanzierte Einstellung zu den eigenen Auffassungen, die so zum Ausdruck zu bringen wäre, nimmt der Kundgabe der Einschätzung jeden Witz. Akzeptabel sind solche Äußerungen allenfalls in einem Kontext, in dem ein Sprecher damit auf eine nicht offen vorgebrachte Unterstellung reagieren will, also etwa im Sinn von:
Die Beschränkung auf Modi dicendi mit einem Status als repräsentatives Wissen ist nicht das Einzige, was Modalfunktionen von anderen Geltungsmodifikationen unterscheidet. Anders als Geltungsspezifikationen, die in vollem Umfang gelten lassen, was das Basisdiktum besagt, führt die Anwendung einer Modalfunktion zu einer mehr oder weniger starken Reduktion des Anspruchs, der mit dem Basisdiktum zu verbinden wäre, ohne gleich, wie die Negation, diesen Anspruchs völlig zurückzunehmen.
Die Verfügung über Modalfunktionen versetzt Sprecher in die Lage, auch zu Sachverhalten Stellung zu nehmen, über deren Bestehen oder Nicht-Bestehen sie nur Mutmaßungen anstellen können oder wollen: Wer mitteilt, der Zug sei wahrscheinlich 15 Minuten verspätet, kann nachher nicht belangt werden, wenn einer den Zug verpasst, weil dieser nur zehn Minuten später abgefahren ist.
Die kommunikative Funktion von Modalfunktionen
Auf den ersten Blick könnte man Modalfunktionen für widersinnig halten, da sie geeignet scheinen, das aufzuheben, was Aussagen und Versprechen erst zu dem macht, was sie sind. In jedem Fall führt der Einsatz einer Modalfunktion zu einer Minderung des Informationsgehalts. Das ist jedoch nur dann als Verstoß gegen elementare Kommunikationsprinzipien zu werten, wenn die Minderung ohne Not vorgenommen wird.
Der Gebrauch von Modalfunktionen ist gerechtfertigt, wo Feststellungen oder Versprechen unter der Bedingung unzureichender Information abzugeben sind. Lageeinschätzung und Planung schließen hier die Berücksichtigung möglicherweise eingetretener oder eintretender Entwicklungen ein. Modalfunktionen bringen solche Einschätzungen auf einen kommunizierbaren Nenner.
Zweierlei kann mit Modalfunktionen erreicht werden:
- Die Möglichkeit der Existenz oder des Eintretens eines Sachverhalts kann zum Ausdruck gebracht werden.
- Der Grad der Wahrscheinlichkeit, dass ein Sachverhalt eintritt oder besteht, kann angegeben werden.
Die Verwendung von Modalfunktionen ist nicht die einzige Form, in der wir in Rechnung stellen können, dass wir unvollständig informiert sind. Eine vergleichbare Wirkung kann durch ein modalisiertes Prädikat - realisiert mit Hilfe von Modalverben - erreicht werden:
Die besondere Leistung der Modalfunktionen besteht darin, differenzierten Vorbehalt zu erlauben. Während mittels Modalverb nur pauschal angegeben werden kann, der entworfene Sachverhalt könnte bestehen, kann mittels Modalfunktion zugleich eine Einschätzung der Wahrscheinlichkeit geben werden, mit der dies zutreffen könnte. Die Skala möglicher Einschätzungen reicht dabei von absoluter Gewissheit bis zum zu vernachlässigenden Restrisiko.
Bemerkenswert ist, dass die Interpretation entsprechender Sprechakte im Allgemeinen nicht ganz dem entspricht, was man erwarten könnte. Schon die Tatsache, dass die Frage der Wahrscheinlichkeit aufgeworfen wird, bringt ein gewisses Maß an Unsicherheit ins Spiel. Wer verspricht, ganz bestimmt zu kommen, räumt damit bestehende Zweifel nicht unbedingt aus, vor allem dann nicht, wenn er dies ohne Not tut.
Die Ordnung der Modalfunktionen
Die Rede von Graden der Wahrscheinlichkeit lässt vermuten, jede Modalfunktion stehe für einen exakten, vielleicht sogar numerisch fassbaren Wert. Dies ist nicht der Fall. Numerische Werte, wie sie in Wahrscheinlichkeitskalkülen angenommen werden, kommen im Deutschen nur mit Bezug auf solche Kalküle vor. Die Gebrauchsregeln von Modalfunktionen setzen keine absoluten Werte. Man kann nicht angeben, wie wahrscheinlich - im Sinn eines Kalküls - ein Ereignis ist, das vielleicht oder vermutlich oder sehr wahrscheinlich eintreten dürfte. Dass dies so ist, hat wohl damit zu tun, dass die Eintretenswahrscheinlichkeiten von alltäglichen Ereignissen nicht oder nur sehr aufwendig zu erfassen sind. Die Vagheit gründet mithin in der Natur der Sache.
Die im Deutschen verfügbaren Modalfunktionen lassen sich in zwei - in ihrer Extension sehr ungleiche - Klassen einteilen:
- solche, die etwas als eher wahrscheinlich ausgeben
- solche, die etwas als eher unwahrscheinlich ausgeben
Innerhalb dieser Klassen sind partielle Ordnungen zu erkennen, wie sie in der folgenden Liste vorgestellt werden. Die lineare Abfolge der Blöcke steht dabei für abnehmende Wahrscheinlichkeit. Gleicher Block bedeutet in etwa gleichen Wahrscheinlichkeitsgrad, jedoch nicht unbedingt wechselseitige Austauschbarkeit. Allzu streng sollte die Anordnung jedoch nicht gedeutet werden.
Klasse (a)
todsicher | absolut sicher | sicher(lich) |
gewiss(lich) | ganz gewiss | tatsächlich |
ganz bestimmt | fraglos | zweifellos |
ohne jeden Zweifel | definitiv | in jedem Fall |
auf alle Fälle | hundertprozentig | bestimmt |
mit höchster Wahrscheinlichkeit | mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit | höchstwahrscheinlich |
wahrscheinlich | aller Wahrscheinlichkeit nach | ziemlich sicher |
nach menschlichem Ermessen | wohl | vermutlich |
mutmaßlich | wie zu vermuten ist | im Zweifel |
Klasse (b)
möglicherweise | eventuell | vielleicht |
nach Möglichkeit | unter Umständen | wenn es der Zufall will |
kaum | schwerlich | eher nicht |
Die Klassen sind verschieden umfangreich. Das ist wohl damit zu erklären, dass geringe Wahrscheinlichkeit als hohe Wahrscheinlichkeit des Gegenteils ausgedrückt werden kann, auch damit, dass die bloße Feststellung der Möglichkeit allenfalls stilistische Varianten erlaubt.
Die verschiedenen Operatoren, mit denen Modalfunktionen auszuführen sind, können auch bei weitgehend gleichem Wahrscheinlichkeitskoeffizienten nicht beliebig ausgetauscht werden. In verschiedener Hinsicht können sie verschiedenes Verhalten zeigen. So etwa bei Intensivierung: 'Vermutlich' ist, wie die meisten Operatoren, gar nicht zu intensivieren. 'Kaum' setzt selbst ein Maß an Intensität und ist nicht weiter gradierbar. 'Sicher', 'gewiss' und 'bestimmt' erlauben nur eine Affirmation durch 'ganz' (jugendsprachlich auch 'voll'). Dagegen erlaubt 'wahrscheinlich' eine Intensivierung von 'in höchstem Maß wahrscheinlich' über 'sehr wahrscheinlich' bis 'ziemlich wahrscheinlich'.
Der Skopus von Modalfunktionen
Der Skopus einer Modalfunktion lässt sich - wie der Skopus aller Arten von Diktumserweiterungen - nur über eine semantische Analyse entsprechend modifizierter Dikta bestimmen. Man reformuliert, unter Wahrung aller damit verbundenen Geltungsansprüche, ein solches Diktum so, dass die Skopusverhältnisse transparent werden. Man erreicht dies, indem man den verschiedenen Diktumserweiterungen die Form von Aussagen über Aussagen gibt:
Leider ist es so, dass der Kanzler wahrscheinlich morgen in Berlin in die Debatte über die Mehrwertsteuererhöhung eingreifen wird.
* Wahrscheinlich ist es so, dass der Kanzler leider morgen in Berlin in die Debatte über die Mehrwertsteuererhöhung eingreifen wird.
Vielleicht ist es so, dass wir morgen alle froh sind, wenn wenigstens die Grundnahrungsmittel noch zu bezahlen sind.
Wenn wenigstens die Grundnahrungsmittel noch zu bezahlen sind, ist es so, dass wir vielleicht morgen alle froh sind.
* Höchstwahrscheinlich ist es so, dass sie schon in den sauren Apfel werden beißen müssen.
Es ist schon so, dass sie höchstwahrscheinlich in den sauren Apfel werden beißen müssen.
Vermutlich ist es so, dass, wer solche Ziele hat, sich oft verstellen muss.
* Oft ist es so, dass, wer solche Ziele hat, sich vermutlich verstellen muss.
Vielleicht trifft es zu, dass das Stück nicht aufgeführt werden kann.
* Es trifft nicht zu, dass das Stück vielleicht aufgeführt werden kann.
Eventuell ist es so, dass das Institut wegen des Umzugs zwei Tage schließen müssen wird.
* Wegen des Umzugs ist es so, dass das Institut eventuell zwei Tage schließen müssen wird.
Es ist nicht so, dass ich das vielleicht erledigen werde.
Es ist vielleicht so, dass ich das nicht erledigen werde.
Die Auswertung derartiger Umformungen ist in manchen Punkten etwas problematisch. Eindeutig feststellen lässt sich dies:
- Nicht-modifizierende Diktumserweiterungen können nicht im Skopus einer Modalfunktion auftreten.
- Modalfunktionen können alle Arten modifizierender Diktumserweiterungen in ihrem Skopus haben.
- Modalfunktionen können Quantifikationen in ihrem Skopus haben.
- Eine Negation kann nur dann eine Modalfunktion in ihrem Skopus haben, wenn sie kontrastierend verwendet wird. Der Negationsausdruck muss dabei unmittelbar vor dem Ausdruck der Modalfunktion stehen.
In der Schriftsprache tritt in aller Regel nur eine Modalfunktion in einem Diktum auf, sofern sich darin keine eingebetteten Propositionen finden:
In mündlicher Rede wird diese Regel allerdings nicht immer befolgt. Auch solche Äußerungen sind zu beobachten:
Zu erklären sind solche Dubletten wohl aus der Unsicherheit von Sprechern, die zwischen zwei - manchmal sogar noch mehr - Einschätzungen schwanken. Wo ein Sprecher selbst nicht weiß, wie er die Wahrscheinlichkeit einschätzen soll, kann es auch seinen Hörern nicht gelingen, zu einem eindeutigen Verständnis zu kommen. Im Zweifel wird man sich in solchen Fällen für die schwächere Version entscheiden.