Geltungsrestriktionen
Wird auf eine Proposition eine Propositionsspezifikation oder auf ein Diktum eine Geltungsspezifikation angewandt, dann bleiben die Geltungsbedingungen, die mit der Basisproposition bzw. dem Basisdiktum gesetzt werden, in vollem Umfang erhalten und durch die Modifikation kommen neue Bedingungen hinzu. Das Verfahren der Geltungsrestriktion scheint auf den ersten Blick das Gleiche zu erreichen, denn auch hier wird eine weitere Bedingung ins Spiel gebracht. Die Wirkung der Geltungsrestriktion ist jedoch in gewissem Sinn entgegengesetzt: Sie bindet den mit dem Basisdiktum gegebenen Geltungsanspruch an die Geltung einer zusätzlichen - meist selbst komplexen - Bedingung, die erfüllt sein muss, damit dieser Anspruch überhaupt zum Tragen kommt. Einige typische Beispiele solcher Restriktionen:
(die tageszeitung, 06.11.1999, S. 9)
(Frankfurter Rundschau, 023.04.1997, S. 1)
(Oberösterreichische Nachrichten, 05.06.1998, Reich sprudelt das Kulturleben in der Provinz)
(die tageszeitung, 11.07.1989, S. 10)
(Die Presse, 19.06.1996, Brüssel öffnet Blick hinter die Kulissen)
In keinem Fall kann hier von der Geltung des modifizierten Diktums auf die Geltung des Basisdiktums geschlossen werden.
Geltungsrestriktion ist eine logische Operation, genauer: eine zweistellige Wahrheitswertfunktion. Man kann für jede Basisproposition p und die mit einer Geltungsrestriktion eingeführte Proposition q beliebige Wahrheitswerte setzen und dann auf der Basis dieser Werte den Wahrheitswert errechnen, den die Proposition des derart gebildeten Diktums haben muss. Der Funktionsverlauf kann in einer Matrix dargestellt werden:
p | → | q |
w | w | w |
w | f | f |
f | w | w |
w | w | w |
w steht für wahr, f für falsch, → für das logische Konditional. p und q stehen für beliebige Propositionen. Es sei z.B. p die Proposition Es herrscht Nebel. und q die Proposition Man muss langsam fahren. p → q ist dann Wenn Nebel herrscht, muss man langsam fahren.
Da die Geltungsrestriktion logisch gesehen eine zweistellige Relation zwischen Propositionen ist, könnte man daran denken, sie auch unter grammatischem Aspekt als zweistellige Funktion zu beschreiben. Hier wird sie - wie im Übrigen auch alle Geltungsspezifikationen - jedoch als einstellig betrachtet, weil die Ausdrücke, mit denen die zu formulieren sind, unter syntaktischem Aspekt als geschlossene Einheiten gelten können.
Geltungsrestriktionen können mehrfach angewandt. werden. Eine logische Grenze der Mehrfachanwendung gibt es nicht, wohl aber eine praktische, die sich auch in der Syntax entsprechender Konstruktionen zeigt: Sollen mehr als zwei oder allenfalls drei Geltungsrestriktionen in einem Diktum untergebracht werden, müssen deren Ausdrücke explizit koordiniert werden, weil man sonst schnell den Überblick über die Konstruktion verliert.
Die Identifikation von Geltungsrestriktionen ist nicht ganz problemlos, denn es genügt - wie auch bei vielen Geltungsspezifikationen - nicht, die Ausdrucksketten zu identifizieren, mit denen sie typischerweise zu formulieren sind. Ausdrucksformen genau derselben Art können auch in anderer Funktion gebraucht werden:
Das erste dieser Beispiele kann auf zweierlei Weise interpretiert werden:
- Es kann gesagt sein, dass sie immer dann, wenn es in Strömen regnete, spazieren geht. In diesem Fall, wird die markierte Phrase als Ausdruck einer Geltungsrestriktion gewertet.
- Es kann gesagt sein, dass sie spazieren geht, als es gerade in Strömen regnete. In diesem Fall wird die markierte Phrase als eine Spezifikation der herrschenden Umstände gewertet.
Bei den nächsten Beispielen erkennt man sofort, dass von den markierten wenn-Sätzen (Konditionalsätzen) der Modus dicendi, genauer die Verbindlichkeitsqualität, betroffen ist:
Eine Geltungsrestriktion wird damit nicht vorgenommen. Erreicht wird im ersten Fall eine Kommentierung, im zweiten eine Wertung der Handlung, die mit dem Basisdiktum realisiert wird. Grundsätzlich besteht aber auch hier die Option, die wenn-Sätze als Ausdrücke für eine Geltungsrestriktion zu interpretieren, doch sind die Wissenshintergründe, die bei solcher Interpretation anzunehmen wären, etwas abenteuerlich.
Mit dem Hinweis auf Wissenshintergründe ist angesprochen, worauf sich die Identifikation von Geltungsrestriktion zusätzlich zur Auswertung der Bedeutung der einschlägigen Sätze oder Phrasen stützen muss. Ohne Rekurs auf Wissenshintergründe ist nicht zu entscheiden, welche Funktion ein entsprechender Ausdruck hat. Das bedeutet auch, dass die Grammatik nur die grundsätzlich gegebenen Interpretationsmöglichkeiten verzeichnen kann.
Geltungsrestriktionen im Verbund mit anderen Diktumserweiterungen und verschiedenen Modi dicendi
Geltungsrestriktion und Propositionsspezifikation
Propositionsspezifikationen können nur im Skopus von Geltungsrestriktionen angewandt werden.
Beispiele, mit denen Verstöße dagegen zu belegen wären, lassen sich nicht bilden.
Geltungsrestriktion und Geltungsspezifikation
Geltungsspezifikationen können im Skopus von Geltungsrestriktionen auftreten und umgekehrt:
Weiteren Skopus hat die Operation, deren Ausdruck weiter rechts im Satz postiert ist, sofern sie nicht - wie bei den folgenden Beispielen - als Erweiterung der Erweiterung aufzufassen ist:
(die tageszeitung, 28.10.1986, S. 7)
(die tageszeitung, 26.08.1987, S. 4)
Geltungsrestriktion und Negation
Im Skopus von Geltungsrestriktionen können Negationen stehen. Der umgekehrte Fall lässt sich im Deutschen nur mit größerem Formulierungsaufwand ausdrücken, weil der Negationsausdruck sonst unweigerlich dem Basisdiktum zugeschlagen wird.
(die tageszeitung, 26.08.1987, S. 4)
Geltungsrestriktion mit additiven und geltungsneutralen Diktumserweiterungen
Additive und geltungsneutrale Diktumserweiterungen können Geltungsrestriktionen in ihrem Skopus haben, jedoch nicht in deren Skopus auftreten:
Formale Indikatoren für die festgestellten Skopusverhältnisse fehlen. Die Einschätzung stützt sich hier ganz auf sachliche Überlegungen: Es macht einfach keinen Sinn anzunehmen, eine Geltungsrestriktion operiere auf eine solche Diktumserweiterung.
Geltungsrestriktionen und Modi dicendi
Geltungsrestriktionen sind mit allen Modi dicendi kompatibel, wie diese Beispiele zeigen: