Aufforderungsmodus
Charakteristisch für den Formtyp des Aufforderungsmodus ist der Verbmodus Imperativ, doch ist diese Verbform nur eine der möglichen Aufforderungsformen. Neben dem Imperativ gehören auch die 'Distanzform der Aufforderung' und die 'Adhortativform' dazu, gemeinsam vorgestellt in den Einheiten
Den Funktionstyp des Aufforderungsmodus bestimmt diese Wissensqualität:
Das sage ich + Status als Erfüllungswissen
Propositionen, die mit kommunikativen Ausdruckseinheiten im Aufforderungsmodus eingebracht werden, dienen - anders als im Aussage- und in den Fragemodi - nicht dazu, Wahrheitsbedingungen zu setzen, sondern Sollwerte, die an den Adressaten gerichtet sind. Ihr Status als Erfüllungswissen macht kommunikative Ausdruckseinheiten im Aufforderungsmodus in gewisser Weise zu Bauplänen für Sachverhalte. Ihre Verbindlichkeitsqualität ('Das sage ich') weist dem Adressaten als Aufgabe zu, diese Pläne umzusetzen.
Mit kommunikativen Ausdruckseinheiten im Aufforderungsmodus können verschiedene Sprechhandlungen vollzogen werden. Die Benennung 'Aufforderung' ist deshalb in einem weiten Sinne zu verstehen, der neben Befehl, Bitte, Anordnung, Weisung, Ersuchen und Auftrag z. B. auch Ratschlag, Vorschlag, Erlaubniserteilung, Verbot, Anweisung und Instruktion/ Anleitung einschließt.
Bitte
(Freiburger Korpus, 31)
Anordnung (institutionell rückgebunden an Verordnungen)
Weisung (Diskurs im Rahmen von Weisungsverhältnissen)
Auftrag (Diskurse im Dienstleistungsrahmen)
Forderung (bezogen auf Rechtsansprüche zwischen Privatpersonen)
Ratschlag
(B99/JAN.04247 Berliner Zeitung, 18.01.1999; Beim Bier bangen die Verlierer um ihre Posten, S. 20)
Vorschlag (kooperative Planungssituation)
Erlaubniserteilung (in einer Partnerbeziehung)
Verbot (privater Natur)
Kooperative Anweisung
Instruktion (in Lernsituationen)
Neben solchen Aufforderungen, die jeweils an einen spezifischen, in der Diskurssituation präsenten Adressaten gerichtet sind, gibt es unspezifisch adressierte Aufforderungen, die prospektive Leserhörer angehen. Hier werden verstärkt nicht-finite kommunikative Ausdruckseinheiten eingesetzt.
Baustelle betreten verboten!
Erst gurten, dann spurten!
Nicht hinauslehnen!
Zwischen den Mahlzeiten einnehmen!
In diesen Beispielen wurden ausschließlich kommunikative Ausdruckseinheiten mit dem Formtyp des Aufforderungsmodus vorgestellt. Daneben finden sich weitere Ausdruckformen, die anderen Modi zuzuordnen sind, jedoch eine indirekte Aufforderungsinterpretation zulassen, etwa die 'höfliche' Aufforderung in Form von Fragesätzen mit Modalverb oder die 'unhöfliche' Aufforderung mittels Aussagesätzen.
Könnten Sie mir bitte das Salz herüberreichen?
Würden Sie bitte etwas zur Seite rücken?
Sie verlassen augenblicklich diesen Raum.
Du räumst jetzt sofort alles wieder an seinen Platz.
Zu nennen sind auch die Normsetzungen, die im Sinne von Aufforderungen eingesetzt werden können.
Das Manuskript muss noch heute zum Verlag.
Du sollst Vater und Mutter ehren.
Unspezifisch adressiert sind auch bestimmte Formen des konditionalen Imperativs.
Wer unerlaubte Hilfmittel benutzt, wird sofort von der Prüfung ausgeschlossen.
Bei allen genannten Handlungsmustern geht es um ein durch den Adressaten zukünftig auszuführende Handlungen oder erforderliches Verhalten. Dabei wird eine noch herzustellende Sachlage auf volitivem Redehintergrund gesehen: Sie beruht auf einer Bewertung von Handlungspräferenzen und/ oder -interessen, die gegebenenfalls aus überpersönlichen normativen Rahmenbedingungen resultieren. Die Art des Redehintergrunds ist allerdings nicht in allen Fällen dieselbe:
- Aufforderungen im engeren Sinne, einschließlich Bitten, Befehlen, Anordnungen, Weisungen und Aufträgen, beziehen ihren volitiven Redehintergrund aus den Präferenzen und Interessen des Sprechers oder den (institutionellen) Normsetzungen, auf die er sich rückbezieht.
- Bei Ratschlägen, zu denen auch Empfehlungen, Tipps, Ermunterungen zu rechnen sind, sieht der Sprecher in der Regel von eigenen Präferenzen ab und orientiert sich an den Problemlösungsinteressen des Adressaten.
Bei Anweisungen im Zuge kooperativer Handlungen kommen gemeinsame Interessen und Ziele ins Spiel. Bei Vorschlägen - auch in Adhortativform - steht die Eröffnung von Handlungsmöglichkeiten oder die Bewertung von Handlungsalternativen im Vordergrund. Die Präferenzperspektive kann zwischen Sprecher- und Adressatenorientiertheit variieren.
Erlaubnis und Verbot setzen voraus, dass sich der Sprecher gegenüber seinem Adressaten in einer Position befindet, in der ihm solches Handeln zusteht. Ist dies der Fall, kann er erklärte oder angenommene Wünsche und Absichten des Adressaten aufgreifen und zu eigenen Präferenzen und Einschätzungen in Beziehung setzen.
Handlungen des Aufforderungstyps können gegliedert werden zum einen in
- 'bindende' Aufforderungen - Befehle, Weisungen, Anordnungen
- 'nicht-bindende' Aufforderungen - Bitten, Ratschläge, Vorschläge
zum andern in
- 'normenorientierte' Aufforderungen - Vorschriften, Anordnungen
- 'personenorientierte' Aufforderungen - Befehle, Weisungen, Bitten, Ratschläge, Vorschläge
Als weiterer Gliederungsaspekt bietet sich die Frage an, ob die Nichtbefolgung einer Aufforderung Sanktionen nach sich ziehen kann oder sanktionenfrei bleibt.
Der Modus kommunikativer Ausdruckseinheiten spiegelt solche Differenzierungen nur bedingt wider, vorzugsweise in der Wahl der Partikeln: ja (betont) und bloß treten nur in Aufforderungen mit der Möglichkeit von Sanktionen auf, die Partikel ruhig hingegen nur in Aufforderungen wie Ratschlägen, Erlaubniserteilung, Empfehlungen oder Ermutigungen.
Neben dem Kernbereich der Aufforderungshandlungen, die mit der Wissensqualität des Aufforderungsmodus und den ihr zugeordneten sprecher- oder adressatenbezogenen Präferenzsystemen voll übereinstimmen, gibt es kommunikative Handlungen, die der Form nach Aufforderungshandlungen sind, jedoch nicht ernstlich als Aufforderungen zu verstehen sind.
Resignative Erlaubnis
In einem Gespräch über die Gefahren einer Bergtour, von der der Adressat nicht
abzubringen ist, äußere der Sprecher:
Dann brich dir halt den Hals. Du lässt dich ja doch nicht
abhalten.
Hier wird in Form einer Erlaubnis eine unerwünschte, aus der Sicht des
Sprechers aber unvermeidliche Handlungsfolge angesprochen.
Adressatenbezogenen Wünsche
Hier wird etwas, das bekanntermaßen nicht in der Macht des Adressaten steht, als aktiv herbeiführbar dargestellt: Er soll alles tun, um gut zu schlafen, süß zu träumen, gesund zu bleiben. Gemeint ist, dies möge ihm beschieden sein.
Träum süß!
Bleib gesund!
Aufforderungen zur gedanklichen Vorwegnahme von Zuständen oder Ereignissen
Ähnlich wie bei bestimmten 'konditionalen Imperativen' wird hier nur der Übergang zu "Denkmöglichem" ausgedrückt.
Lass den erst mal älter werden. Dann wird sich das schon legen.
Konditionale Imperative
Hier wird mit einen Aufforderungsausdruck eine Bedingung dafür angegeben, dass es zu der im Anschluss genannten Folge kommt.
Halt den Ball flach, dann ersparst du dir eine Menge Unannehmlichkeiten!
Siehe vertiefend Aufforderungssatz.