Wortgruppenflexion
Phrasen sind Wortgruppen, deren Elemente syntaktisch zusammengehören, eine Einheit bilden und bestimmten syntaktischen Regeln folgen. In einer Nominalphrase wird die Markierung grammatischer Kategorien vor allem an den Artikeln, Adjektiven und Pronomina, die die Nominalphrase erweitern bzw. an ihrer Statt auftreten, vorgenommen, teilweise aber auch am Nomen selbst (Plural- und Kasusflexive). Die Wortgruppenflexion betrifft also vor allem das Nomen sowie dessen Erweiterungen links vom Kopf und ist durch das Zusammenspiel der Flexionsmarker in der Nominalphrase charakterisiert. Der Begriff Wortgruppenflexion trägt dabei der Tatsache Rechnung, dass dieses Zusammenspiel in seinem Wirkungsbereich nicht auf Nominalphrasen im engeren Sinne beschränkt ist, sondern durch Korrespondenz zwangsläufig auch Phrasen betrifft, die den nominalen Kopf der Phrase oder die ganze Nominalphrase erweitern. Nominalphrasen selbst können aber auch Teile von anderen Phrasentypen sein (z. B. von Präpositionalphrasen).
Dabei herrschen komplexe Korrespondenzverhältnisse zwischen den flektierbaren Elementen
der erweiterten Nominalphrase, z. B. Nomina, Pronomina, Artikel, Adjektive (Adjektivphrasen),
vorangestellte Nominalphrasen im Genitiv und anderen Erweiterungen (Attribute). Für bloße Nomina,
d.h. ohne Begleiter, gelten wiederum besondere syntakische und flexionsmorphologische
Einschränkungen (siehe Kasusflexion bei
bloßen Nomina).
Beispiele:
- Artikel + Nomen: dem Prinzen
- Adjektiv + Nomen: kleiner Prinz
- Artikel + Adjektiv + Nomen: dem kleinen Prinzen
- Artikel + Possessiv-Pronomen: das deine
- bloßes Nomen: Milch (z. B. ohne Milch)
- vorangestellte Nominalphrase im Genitiv + Nomen: Saint-Exupérys kleiner Prinz
- andere Erweiterungen + Nomen: Herr Müller
Aufgrund der fehlenden Kasusflexion, die gleichermaßen Nomina, Adjektive, Artikel und die meisten Pronomina anbetrifft, ist die Nicht-Markiertheit der italienischen Nominalphrase hinsichtlich der Kasusendung systembedingt, und zwar sowohl am Kopf (Nomen) als auch an dessen Erweiterungen (Artikeln und Adjektiven). Über kasusspezifische Formen verfügen nur Personalpronomina, die an Stelle des Nomens auftreten (siehe Flexion der Pronomina).
Die Kategorisierung des Numerus hingegen ist durch flexionsklassenspezifische Marker (siehe Numerusflexion) am Nomen selbst sowie an seinen in der erweiterten Nominalphrase präsenten Begleitern gekennzeichnet. Unspezifiziertheit in Bezug auf den Numerus weisen nur die Nomina auf, die zur Klasse 6 gehören und als solche im Plural unveränderlich sind. Bei denen wird die Markierung des Numerus in der erweiterten Nominalphrase an Artikeln und Adjektiven vorgenommen:
Sg. la bella città
> Pl. le belle città
Sg.
questo re > Pl. questi
re.
Kommt ein solches Nomen in einer Nominalphrase vor, die nur aus dem lexikalischen Kopf besteht, lässt sich die Information bezüglich des Numerus bei Subjekt- oder Kopulafunktion aus dem kongruierenden Prädikat gewinnen:
Città è sinonimo di vita caotica.
dt.: Stadt steht für chaotisches Leben
Firenze, Livorno e Pisa sono città della
Toscana.
Florenz, Livorno und Pisa sind Städte der
Toskana
Auch bei den wenigen nominalen Ableitungen (etwa auf -iatra, -ista), bei denen im Singular Genusunspezifiziertheit herrscht, wird die Markierung des Genus in der erweiterten Nominalphrase an Artikeln und Adjektiven vorgenommen:
Mask. un bravo
geriatra > Fem. una brava
geriatra
Mask. quel prodigioso
pianista > Fem. quella prodigiosa
pianista.
Dasselbe erfolgt für beide Numeri bei nominalisierten Partizipien 1:
Mask. Sg. il vecchio
assistente > Fem. Sg. la vecchia
assistente
Mask. Pl. i vecchi
assistenti > Fem. Pl. le vecchie
assistenti.
Die Wortgruppenflexion wird durch die Korrespondenzverhältnisse zwischen den flektierbaren Bestandteilen der Nominalphrase geregelt, die im Italienischen weniger komplex sind als im Deutschen. Denn das Nomen bestimmt auch hier Genus und Numerus von Artikel und Adjektiv und somit die Kongruenz innerhalb der erweiterten Nominalphrase, deren Flexionsmuster jedoch richten sich nur nach den zwei Genera und Numeri. Hinzu kommt als Kontrast zum Deutschen, dass adjektivische Erweiterungen eine einzige Flexionskategorie aufweisen, so dass bei allen Subklassen der vorangestellten Artikel bzw. bei Aufeinanderfolge mehrerer Attribute ihre Genus- und Numerusflexive konstant bleiben. Das dadurch resultierende Zusammenspiel der jeweils dazugehörigen Flexionsendungen ist somit leichter überschaubar und ergibt bei Nomina der Flexionsklassen 1 und 2 (Maskulina auf -o und Feminina auf -a) mit adjektivischen Erweiterungen der Flexionsklasse 1 (vgl. Flexion der Adjektive) ein paralleles Flexionsmuster von Artikel, Nomen und Adjektiv. Zur Erläuterung folgen Beispiele für die häufigsten Realisierungen einer solchen erweiterten Nominalphrase:
a) definiter bzw. indefiniter Artikel + Adjektiv(e) + Nomen: Mask. Sg. il/un/ simpatico vicino > Mask. Pl. i simpatici vicini; simpatici vicini, Fem. Sg. la/una graziosa vicina > Fem. Pl. le graziose vicine; graziose vicine
b) demonstrativ-Artikel + Adjektiv(e) + Nomen: Mask. Sg. lo stesso vecchio caro amico > Mask. Pl. gli stessi vecchi cari amici, Fem. Sg. la stessa famosa raccolta > Fem. Pl. le stesse famose raccolte
c) definiter bzw. indefiniter Artikel + Possessiv-Artikel + (Adjektiv) + Nomen: Mask. Sg. il mio prezioso orologio > Mask. Pl. i miei preziosi orologi, Fem. Sg. la sua matita > Fem. Pl. le sue matite.
Demgegenüber resultiert das Flexionsmuster der erweiterten Nominalphrase bei Nomina, die zu den anderen Flexionsklassen gehören bzw. bei Adjektiven der Flexionsklassen 2, 3 und 4 bezüglich der Flexionsmorpheme markierter:
Mask. Sg. il grande problema >
Mask. Pl. i grandi problemi
Fem.
Sg. la tenace resistenza > Fem. Pl.
le tenaci resistenze
Sieht man von der Kasusmarkierung ab, gelten also für die flektierbaren Komponenten der
erweiterten Nominalphrase im Deutschen und im Italienischen analoge Korrespondenzverhältnisse,
allerdings mit einem wesentlichen Unterschied: Im Gegensatz zum Deutschen handelt es sich bei den
adjektivischen Erweiterungen der italienischen Nominalphrase nicht ausschließlich um
Linkserweiterungen. Während nämlich alle Subklassen der Wortart Artikel, darunter in
der Regel auch Possessiva, dem Nomen vorangehen (il viaggio,
questo viaggio, quale viaggio, due viaggi,
molti viaggi, il mio viaggio), können qualifizierende Adjektive
häufig auch die Stellung rechts vom Kopf einnehmen (AN bzw. NA).
Beispiele:
il giovane medico bzw. il medico giovane; la difficile relazione bzw. la relazione difficile; i bravi colleghi bzw. i colleghi bravi.
im Allgemeinen gilt bei der Option AN - NA das Kriterium, dass einem dem Nomen
vorangestellten Adjektiv eine hinsichtlich seiner Semantik schwächere Funktion zukommt als einem
nachgestellten. Anders gesagt: Während das dem Nomen vorangestellte Adjektiv (AN) einen schlicht
beschreibenden, in Bezug auf das Nomen nicht restriktiven Charakter erhält, womit die jeweilige
Qualität eher abgeschwächt zum Ausdruck kommt, betont das dem Nomen nachgestellte Adjektiv diese
Qualität in restriktiver, semantisch markanterer Funktion. Insofern lassen sich Aussagen wie
cerco una bella ragazza con cui uscire vs. cerco una ragazza
bella con cui uscire im Gegensatz zum Deutschen (ich suche ein
schönes Mädchen zum Ausgehen) nicht als schlechthin gleichbedeutend
einstufen, da der Sprecher im ersten Fall die Qualität der Schönheit als vage Attribution meint, im
zweiten als diskriminierende Eigenschaft gegenüber weniger schönen Mädchen.
Die
unterschiedliche Funktion des vorangestellten und nachgestellten Adjektivs in der Nominalphrase
wirkt sich nicht selten sogar auf die Bedeutung des Adjektivs aus (etwa bei grande, certo,
povero, caro, semplice, unico), wie die folgenden Beispiele zeigen:
Onassis non era certo un uomo povero, ma in fondo era un
pover'uomo.
Onassis war sicher kein armer Mensch, wohl aber
ein armer Teufel.
La vecchia FIAT 500 non era una macchina grande, ma
resta una grande macchina.
Der alte Fiat 500 war zwar kein
großes Auto, wohl aber ein großartiges.
Ho un unico amico, ma in compenso è un amico
unico.
Ich habe einen einzigen Freund, aber dafür einen
einzigartigen.
Bei Adjektiven, die das Nomen u.a. in Bezug auf Form, Farbe, Nationalität näher bestimmen bzw. eine Nominalphrase im Genitiv ersetzen sowie bei den sogenannten aggettivi relazionali (Helbig: Bezugsadjektive; Hoberg: Beziehungsadjektive; Latour: relative A.; Engel: klassifikative A.) wird die Stellung rechts vom Kopf (NA) grammatisch verbindlich:
un collega spagnolo, il colore rosso, la
bolla papale, la riforma universitaria, le elezioni
amministrative
(*uno spagnolo collega, *il
rosso colore, *la papale bolla, *la universitaria riforma,
*le amministrative elezioni).
Ein weiterer Kontrast zwischen den beiden Sprachen besteht darin, dass im Italienischen die Stellung des Adjektivs rechts oder links vom Kopf die Kongruenzverhältnisse innerhalb der Nominalphrase nicht beeinträchtigt, im Deutschen hingegen bleiben eventuelle, selten vorkommende attributive Rechtserweiterungen der Nominalphrase in der Regel unflektiert. Beispiele:
una bella e brava attrice (dt.: eine schöne und gute Schauspielerin) vs. un'attrice bella e brava (dt.: eine Schauspielerin, schön und gut).
In folgendem Abschnitt werden die grundlegenden Rektions- und
Kongruenzbeziehungen zwischen Nomina und ihren Begleitern zusammengefasst, auf die im Einzelnen in
den Einheiten zur Flexion der Nomina,
Pronomina,
Artikel und
Adjektive eingegangen wird.
Korrespondenz in der Nominalphrase
Innerhalb der Nominalphrase regiert das Nomen das Genus von Artikel und Adjektiv.
Es besteht Kongruenz in Numerus und Kasus zwischen Nomen, Artikel und Adjektiv.
Artikel regieren nachfolgende attributive Adjektive hinsichtlich der Flexionskategorie stark oder schwach.
Ausführliche Informationen zu wesentlichen Aspekten der Wortgruppenflexion befinden sich in folgenden Einheiten:
Kasusflexion in der
Nominalphrase
Korrespondenz und
Flexion bei mehreren attributiven Adjektiven
Flexion bei erweiterten Nominalphrasen