Verbflexion

(frz. flexion verbale)

Die Flexion der Verben bezeichnet man als Konjugation. Verben werden hinsichtlich Verbnumerus, Person, Tempus, Modus und Genus verbi konjugiert.

Verben lassen sich in verschiedene Subklassen einteilen. Die Subklassifizierung orientiert sich an der Funktion, die Vertreter einer verbalen Subklasse beim Aufbau des Verbalkomplexes erfullen. In ProGr@mm / ProGr@mm kontrastiv werden die Subklassen Vollverb, Hilfsverb, Modalverb, Kopulaverb und Nominalisierungs-/Funktionsverb unterschieden. Zwischen dieser funktionalen Subklassifizierung und den Flexionsklassen der Verben besteht nur teilweise ein Zusammenhang: Vollverben lassen sich zwei Hauptklassen zuordnen, Modalverben bilden eine eigene Flexionsklasse, Hilfs- bzw. Kopulaverben flektieren uneinheitlich und sind durch besonders viele Suppletivformen gepragt.

Aufbau von Verbformen

Mehrteilige Verbformen

Die meisten Tempus-Kategorien sowie die Genus verbi-Kategorie Passiv werden ausschlie?lich analytisch gebildet, d. h. sie bilden mehrteilige Verbformen und sind deshalb keine Flexionskategorien im engeren Sinne. Die folgende Tabelle gibt einen Uberblick uber die verbalen Kategorisierungen und Flexionskategorien, die traditionell fur das Deutsche postuliert werden:

KategorisierungFlexionskategorien(Kategorien mit analytischer Bildung)
Person1., 2., 3.
VerbnumerusSingular, Plural
TempusPrasens, Prateritum(Prasensperfekt), (Prateritumperfekt), (Futur), (Futurperfekt)
ModusIndikativ, Imperativ, Konjunktiv
(Genus verbi)(Aktiv)*, (Passiv)
* Die unmarkierte Kategorie Aktiv wird weder durch analytische Bildung noch durch Flexionsmarker gekennzeichnet.

Die fur die Flexion der Verben im Deutschen relevanten Kategorisierungen sind nur Person, Verbnumerus, Tempus und Modus, nicht aber Genus verbi. Einige verbale Kategorien werden im Deutschen nicht durch die Mittel der Flexion im engeren Sinne, sondern analytisch (periphrastisch) gebildet. Sie bilden mehrteilige Verbformen aus finiten Hilfsverben und infiniten Verbformen. (Zum Ausdruck einer passivischen Perspektive stehen auch bekommen, kriegen, erhalten, gehoren in Hilfsverbverwendung zur Verfugung.) Analytisch gebildete Kategorien selbst sind keine Flexionskategorien, sie bedienen sich aber flektierter Hilfsverben bei ihrem Aufbau. Folgende Kategorien werden im Deutschen analytisch gebildet:

  • die Genus verbi-Kategorie Passiv, z. B.: Das Auto wird repariert.
    Auch die unmarkierte Kategorie Aktiv ist keine Flexionskategorie im engeren Sinne, da sie keine eigenen Flexionsmarker besitzt.
  • die Tempus-Kategorien (Tempora) Prasensperfekt, Prateritumperfekt, Futur und Futurperfekt, z. B.: Sie hat/hatte das Auto repariert. / Sie wird das Auto reparieren/repariert haben.
  • die konjunktivische wurde-Form, die u. a. als Ersatz fur den Konjunktiv II mit Hilfe von wurde+ Infinitiv gebildet wird, z. B.: Sie wurde das Auto reparieren.

Finitheit

Verbformen, die nach Person, Verbnumerus, Tempus, Modus und Genus verbi differenziert sind, werden als finit bezeichnet. Das finite Verb ist das strukturale Zentrum eines Satzes, es stellt den unverzichtbaren Bestandteil des Verbalkomplexes dar, der eine der Primaren Komponenten des Satzes ist. Finite Verbformen konnen einfach (synthetisch) aufgebaut oder Teil einer mehrteiligen Verbform sein.

Als semifinit werden Imperativformen bezeichnet, weil sie nur nach einer der verbalen Kategorisierungen flektieren, namlich nach dem Verbnumerus (z. B. iss vs. esst). Sie sind nicht nach Person und Tempus differenziert.

Der Infinitiv (z. B. stehlen) und das Partizip II (Partizip Perfekt, z. B. gestohlen) sind keine finiten Verbformen, da sie nicht nach den genannten Kategorisierungen flektieren. Infinite Verbformen spielen eine wesentliche Rolle bei der Bildung mehrteiliger (analytischer) Verbformen wie des Passivs und einiger Tempora und werden dann vom finiten Verb regiert. Es konnen auch mehrteilige infinite Verbformen nach Tempus und/oder Genus verbi gebildet werden, ohne dass es sich dabei um Flexion im engeren Sinne handeln wurde, z. B. gestohlen werden (Infinitiv Passiv von stehlen). Infinite Verbformen bleiben unflektiert (genauer: Sie werden weder konjugiert noch dekliniert). Flektiert (genauer: dekliniert) werden lediglich Formen, die in Flexionsklassen anderer Wortarten ubergangen sind, also nominalisierte Infinitive (z. B. die Kunst des Stehlens) und Partizipien als attributive Adjektive (z. B. das gestohlene Auto).

Das Partizip I (Partizip Prasens) wird in ProGr@mm / ProGr@mm kontrastiv als ein durch Wortbildung aus einem Verb entstandenes Adjektiv angesehen und ist somit der Flexion der Adjektive zuzurechnen. Es wird durch Anhangen von -d an den Infinitiv des Verbs gebildet und dann wie ein Adjektiv dekliniert, z. B. stehlende Kinder.

Dem Infinitiv kann ein von ihm getrennt geschriebenes, sich aber sonst wie ein Affix verhaltendes zu vorausgehen, das nie vom Infinitiv getrennt wird. Bei Verben mit abtrennbarem Praverb wird zu zwischen Praverb und Verbstamm eingefugt (z. B. abzufahren). Bei Infinitiven, die Teil des Verbalkomplexes sind, hangt es (valenzbedingt) vom regierenden Verb ab, ob dem Infinitiv ein zu vorausgeht oder nicht (z. B. Er kann nicht kommen, er hat viel zu tun).

Den reinen Infinitiv (ohne zu) konnen regieren:

  • Modalverben: er darf/kann/mag/muss/soll/will arbeiten
  • Hilfsverb werden I (zur Bildung des Futurs): er wird arbeiten
  • AcI-Verben, z. B. hei?en, lassen und die Wahrnehmungsverben horen, sehen etc.: man lie? ihn arbeiten; man sah ihn arbeiten
  • Bewegungsverben, z. B. gehen, fahren, schicken etc. und statisches bleiben: er geht arbeiten; er bleibt stehen

Einige andere Verben konnen neben dem reinen Infinitiv auch den mit zu regieren, z. B. (nicht) brauchen in modaler Verwendung (er braucht nicht (zu) arbeiten) sowie helfen, lehren, lernen, uben etc. (er lernt (zu) schreiben). Vgl. Grammatik in Fragen und Antworten: Ich helfe dir das Packchen (zu) tragen. Du brauchst nicht (zu) kommen. - Verben mit einem Infinitiv mit oder ohne zu

Nur den zu-Infinitiv regieren:

  • Die Verben drohen, pflegen, scheinen, die modalverbahnlich verwendet werden (sog. Halbmodale): er schien zu arbeiten
  • sein und haben in modaler Verwendung: er hat zu arbeiten; die Arbeit ist zu erledigen

Fur Beispiele zu Infinitiven mit/ohne zu in Komplementfunktion siehe auch Uberblick uber die Komplementklassen und ihre Realisierungsformen. Fur weiterfuhrende Informationen zu Infinitivkonstruktionen vgl. auch Grammatik in Fragen und Antworten: Alles verstehen hei?t alles verzeihen oder Alles zu verstehen hei?t alles zu verzeihen? ? Infinitivkonstruktionen mit und ohne zu.

Stammformen der Verben

Die Kennzeichnung der Kategorien von Verbnumerus, Person, Tempus und Modus wird bei Verben durch Affigierung, Vokalwechsel und Suppletion geleistet. Grundlage dafur bilden der Verbstamm bzw. verschiedene verbale Stammformen, an die Flexionsaffixe affigiert werden.

In der Flexionsklasse der schwachen Verben gibt es nur einen Verbstamm aus dem keine unterschiedlichen Stammformen abgeleitet werden. Die Verben anderer Flexionsklassen konnen im Deutschen bis zu funf verschiedene formale Auspragungen von Stammformen besitzen, die ein verbspezifisches Stammparadigma bilden, z. B.:

schwach: lach-
stark: sprech-, sprich-, sproch-, sprach-, sprach-

Die einzelnen Stammformen unterscheiden sich hauptsachlich durch ihren Stammvokal, weshalb der Vokalwechsel auch als das paradigmatische Mittel der Flexionsmorphologie angesehen wird. Dabei kann ein Konsonantenwechsel begleitend erscheinen, der phonologisch gesteuert ist (Allophone wie bei sprech-[c]/sproch-[?] usw.) oder ein Charakteristikum einiger starker und gemischter Verben darstellt (z. B. bring-/brach-).

Den einzelnen Stammformen kommt (in Verbindung mit den Flexionsaffixen) die Aufgabe zu, die Flexionskategorien finiter Verformen zu markieren bzw. infinite Verbformen (Infinitiv/Partizip II) zu bilden. Dementsprechend gibt es Prasens-, Praterital- und Partizipialstammformen. Prasens- und Prateritalstammformen konnen flexionsklassenabhangig jeweils primare und sekundare Varianten besitzen, die sich durch einen Vokalwechsel unterscheiden.

Flexionsaffixe der Verben

Die Beschreibung der Flexionsaffixe in den Einheiten zur Verbflexion befasst sich mit folgenden Punkten:

  • die Funktion der Flexionsaffixe als Personal-, Numerus-, Tempus- und Modusmarker
  • die flexionsklassenabhangige Distribution der Flexionsaffixe
  • die Rolle des Schwa-Lauts der Suffixe und der daraus resultierenden Varianten

Die folgenden Beispiele (1) - (3) zeigen die im Deutschen moglichen Distributionen von Flexionssuffixen bzw. -suffixketten finiter Verben im traditionellen sechsteiligen Flexionsparadigma. Die auf den Verbstamm folgenden Suffixe sind rot markiert und (noch) nicht weiter segmentiert. Das nicht nach Person ausdifferenzierte Imperativparadigma bleibt hier unberucksichtigt. In (1) werden die Flexionsparadigmen fur die unmarkierten Kategorien Prasens Indikativ wiedergegeben, in (2) fur die markierten Kategorien Prateritum und Konjunktiv, in (3) fur die markierten Kategorien Prateritum Indikativ/Konjunktiv(II). Das Verb reden in (1) und (3) dient als Beispiel fur einen Verbstamm, der auf einen Dental endet (red-) :

(1) lachen vs. reden
Pras. Ind.
PersonSingularPlural
1.lachelachen
2.lachstlacht
3.lachtlachen
SingularPlural
redereden
redestredet
redetreden
(2) singen vs. lachen
Prat. Ind. vs. Pras. Konj.(I)
PersonSingularPlural
1.sangsangen
2.sangstsangt
3.sangsangen
SingularPlural
lachelachen
lachestlachet
lachelachen
(3) lachen vs. reden
Prat. Ind./ Konj.(II)
PersonSingularPlural
1.lachtelachten
2.lachtestlachtet
3.lachtelachten
SingularPlural
redeteredeten
redetestredetet
redeteredeten
Die Affixketten lassen sich weiter in Tempus-, Modus- und Personal-/Numerussuffixe segmentieren. In ProGr@mm werden das Schwa -e- im Konjunktiv (z. B. er lache) (und Imperativ Rede!) als eigenstandige Modussuffixe, im Prateritum (lachte) als Teil des Tempussuffixes -te- (bzw. -ete-) betrachtet und nicht als morphologischer Bestandteil der Personal-/Numerussuffixe (bzw. des Verbstamms) angesehen. Bei Verben wie reden liegen hingegen schwahaltige Varianten der Personal-/Numerussuffixe vor. Die Tabelle zeigt, wie Verbformen der 3. Person Singular segmentiert werden:
StammT/MP/N
Pras.lach
red
?
?
-t
-et
Prat.lach
red
-te
-ete
?
?
Konj. Ilach-e?

Daneben sind ? mit Konsequenzen fur die Distribution der Personal-/Numerussuffixe und das Stammformenparadigma ? aber auch andere Segmentierungen denkbar, vgl. lach-te- vs. lach-t-e. Das Flexionsparadigma eines Verbs wie reden eignet sich gut, um die unterschiedlichen Segmentierungsmoglichkeiten von Flexionssuffixen zu illustrieren. Die 2. Person Singular Prateritum Indikativ redetest (auf die Analyse als Konjunktivform wird hier verzichtet) enthalt zwei Schwas (hellblau/rot markiert), die je nach Segmentierung dem Verbstamm oder Tempussuffix bzw. dem Tempussuffix oder dem Personal-Numerussuffix zugeordnet werden konnen. Es sind also vier theoretische Segmentierungen moglich:

Verb-
stamm
TempussuffixPersonal-/
Numerussuffix
(1)red-ete-st
(2)red-et-est
(3)rede-te-st
(4)rede-t-est

In ProGr@mm wird, ausgehend von nur einem Verbstamm (red-ete-st), zwei Tempussuffix-Varianten (lach-te-st/red-ete-st) und nur einem indikativischen Personal-/Numerussuffix (red-ete-st), nach Muster (1) segmentiert. Die anderen Segmentierungsmoglichkeiten (2) - (4) gehen von zwei Stammvarianten und/oder zwei Personal-/Numerussuffix-Varianten aus, jeweils eine mit und eine ohne Schwa.

Zudem lie?e sich der Verbstamm mit dem Tempussuffix zu einer Stammform zusammenfassen, wodurch eine Prateritalstammform schwacher Verben entstunde. Eine Partizipialstammform ware bei einer solchen Segmentierung mit der Prateritalstammform identisch (z. B. ge-lacht, lacht-e, siehe Bildung des Partizip II).

Zur Bildung der infiniten Verbformen stehen folgende Zirkumfixe zur Verfugung :

  • ge-...(e)t, ge-...en fur das Partizip II (bei Verben mit fixem Prafix nur -t, -et, -en)
  • -(e)n fur den Infinitif

Die Distribution von Suffix-Varianten mit/ohne Schwa ist von verschiedenen Faktoren abhangig, die auch in Wechselwirkung stehen konnen:

  • Haufiger Wegfall unbetonter Vokale in der gesprochenen Sprache, insbesondere Schwa [?]
  • Abhangigkeit von phonologischen (genauer: phonotaktischen) Regularitaten, die beim Bau einer Silbe oder eines Morphems im Deutschen herrschen
  • Markierung von Flexionskategorien, d.h. flexionsmorphologisch signifikante Distribution von Schwa

Weiterfuhrende Informationen zu den verbalen Flexionsparadigmen, den Mitteln des Formenbaus und den Flexionsmarken sind in den Einheiten Flexion nach Person und Verbnumerus und Flexion nach Tempus und Modus zu finden. Person und Verbnumerus werden gemeinsam betrachtet, da beide Kategorisierungen im Deutschen am finiten Verb durch Suffixe fusionierend kodiert werden. Auch Tempus und Modus greifen auf gemeinsame Mittel des Formenbaus zuruck.

Flexionsklassen

Wie auch in anderen Bereichen der Flexion (vgl. Flexionsmuster der Adjektive) werden im Deutschen traditionell die von Jacob Grimm gepragten Bezeichnungen stark und schwach verwendet, um bestimmte Flexionseigenschaften zu charakterisieren. Man unterscheidet zwei Hauptklassen, die der schwachen und die der starken Verben. Grundlage dieser Einteilung sind die Formen des Prateritums und des Partizip II (Partizip Perfekt): Verben, die Prateritalformen durch Affigierung bilden (mit Hilfe des dentalen Prateritalmarkers -(e)te ), zahlen zu den schwachen Verben, z. B.:

lache ? lachte ; rede - redete

Starke Verben bilden ihre Prateritalformen mit Hilfe des Ablauts (Vokalwechsel), z. B.:

sehe ? sah

Eine kleine Gruppe von Verben bildet die Prateritalformen durch Affigierung, weist aber zusatzlich auch einen Vokal- und teilweise auch einen Konsonantenwechsel in den Prateritalstammformen auf. Sie kann zu den unregelma?igen schwachen Verben gezahlt werden oder alternativ als gemischte Verben bezeichnet werden, da sie formale Mittel beider Flexionsklassen vereint, z. B.:

kenne ? kannte; denke ? dachte

Starke und schwache Verben bilden auch die infinite Verbform Partizip II unterschiedlich. Schwache Verben affigieren ge-...-(e)t an den Verbstamm, starke Verben ge-...-en an die Partizipialstammform, z. B. er hat gelacht/gesungen. Verben mit festem Prafix affigieren nur das Suffix -(e)t bzw. -en, z. B. ich habe erzahlt/verloren. Bei Verben mit abtrennbarem Praverb wird ge- zwischen Praverb und Verbstamm eingefugt, z. B. er wurde ausgelacht.

Die Modalverben und das Vollverb wissen bilden gemeinsam eine eigene Flexionsklasse. Sie zeichnen sich durch ubereinstimmende Formen der 1. und 3. Person (Nicht-Adressat) im Prasens Singular aus.

Die Hilfsverben haben, sein und werden weisen teilweise uneinheitliche Flexionsmuster mit Suppletivformen auf.

Ausfuhrlichere Informationen zu den verbalen Flexionsklassen befinden sich in der Einheit Flexionsklassen der Verben.

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