Das Futurperfekt
it. Futuro anteriore
Verbformen im Futurperfekt zeigen diese Sätze:
Ich werde bald eins gehabt haben. [Büchner: Dantons Tod, S. 101. Digitale Bibliothek Band 1: Deutsche Literatur, S. 6790]
Im Frühjahr wird der Handballspieler [...] seine Polizeiausbildung beendet haben. Dann wird Kaellman in seinem Heimatort Ekenäs, einer 20000 Einwohner zählenden Gemeinde, Dienst tun. [Frankfurter Allgemeine, 06.09.1997]
Ich fürchte, das Hohe Konsistorium, man kennt dergleichen, wird gerade so klein gewesen sein, wie der Alte groß war. [Fontane: Cecile, S. 100. Digitale Bibliothek Band 1: Deutsche Literatur, S. 14049]
Das Futurperfekt ist – wie alle zusammengesetzen Tempora – in zwei Schritten zu interpretieren:
Zunächst muss das Obertempus, nämlich die Tempusform des Hilfsverbs ausgewertet werden. Als Futurform bestimmt diese eine Betrachtzeit, die sich entweder mit der Sprechzeit überschneidet oder nach dieser liegt. Im nächsten Schritt muss der Infinitiv Perfekt ausgewertet werden. Er greift die Betrachtzeit des Futurs als Orientierungszeit auf und setzt selbst eine neue Betrachtzeit, die vor dieser Orientierungszeit liegen muss:
Das Futurperfekt bringt die vergangene, zukünftige oder gegenwärtige Wahrscheinlichkeit (bezogen auf die subjektive Einschätzung des Sprechers) eines relativ zur Orientierungszeit vergangenen Ereignisses zum Ausdruck.
Beim Futurperfekt kann – wie beim Futur – eine temporale, zukunftsbezogene Verwendung von einer modalen (epistemischen) Verwendung unterschieden werden. Beispiele:
(1) Morgen wird um 6 Uhr die Sonne aufgegangen sein.
(2) Karl wird gestern in München angekommen sein.
(3) "Freundchen, du wirst mir doch keine Schande gemacht haben!" [Strittmatter 1963, 360]
Zukunftsbezug:
Experten grübeln, wann das Europäische Schuldvertragsübereinkommen in Österreich in Kraft getreten sein wird. [Die Presse, 14.12.1998]
Vergangenheitsbezug:
Ganz sicher, es wird ihm gegangen sein wie all seinen Politikerkollegen, als sie endlich heimfahren konnten, um Kraft zu tanken. [Berliner Zeitung, 24.12.2003]
Gegenwartsbezug:
"(...) - doch, einen", wirst du gesagt haben. [Böll 1963, 247]
Das wirst du ja gehört haben,
Kindchen, dass Großpapa als junger Mann bei uns im Quartier war und dass wir uns hier kennengelernt
und verlobt haben. [Bergengruen 1950, 10]
Du wirst ihm die Wahrheit gesagt haben: "Kinder, Beichtstühle, Kinos,
gregorianischen Choral und Clowns". [Böll 1963,
247]
In einer temporalen, nicht-modalen Verwendung dient das Futurperfekt der zeitlichen Situierung von Ereignissen wie in Beispiel (1). Bei Vergangenheits- (2) oder Gegenwartsbezug (3) liegt hingegen eine modale (epistemische) Tempusbedeutung vor. Das Temporaladverb gestern in (2) steht semantisch im Konflikt mit der zukunftsbezogenen Tempusbedeutung. Der Satz kann deshalb nur einen modalen Vergangenheitsbezug ausdrücken.
Das Futurperfekt kann – wie das vergleichbare historische Futur – in Kontexten mit 'historischem' Präsens verwendet werden. Es kann dann der zeitlichen Situierung von Ereignissen dienen, die aus Sicht der Sprechzeit in der Vergangenheit liegen, z. B.:
1968 wird Großbritannien das letzte europäische Land, in dem Nana Mouskouri zur festen Popgröße avanciert. Bis Mitte der Siebzigerjahre wird sie alle Länder erobert haben: auch die USA, Lateinamerika, Australien und selbst Japan. [die tageszeitung, 16.11.2002]
Beispiele künftiger Wahrscheinlichkeit des Vergangenseins von Ereignissen sind selten, was wohl daran liegen dürfte, dass anstelle der umständlichen Futurperfektform das einfachere Präsensperfekt gewählt werden kann:
In einem Jahr werden wir all den Ärger vergessen haben.
(Futurperfekt)
In einem Jahr haben wir all den Ärger vergessen.
(Präsensperfekt)
Das italienische Futurperfekt (futuro anteriore, nach Bertinetto 1986 futuro composto) ist, im Gegensatz zum entsprechenden futur exactum des Lateinischen, eine analytische Form, die aus dem Futur eines der beiden Hilfsverben (essere oder avere) und dem Partizip II des Vollverbs gebildet wird:
nel frattempo sarà arrivato a casa
inzwischen wird er zu Haus angekommen sein
non ci avrà creduto
nessuno
daran wird niemand geglaubt haben
Auch im Italienischen weist dieses zusammengesetzte Tempus eine temporale und eine modale Verwendung auf.
In der temporalen Verwendung bezieht sich das zusammengesetzte Futur auf die Zeitstufe der Vorzukunft (Dardano/Trifone 1997), das heißt, es situiert einen Vorgang vor einen in der Zukunft angesiedelten Zeitpunkt. Diese Vorzeitigkeit kann a) durch eine Verbform, b) durch Adverbialia signalisiert werden:
(a) verrò quando avrò finito di
lavorare
ich komme, sobald ich mit der Arbeit fertig
bin
(b) fra qualche settimana avremo raggiunto il nostro
scopo
in ein paar Wochen werden wir unser Ziel erreicht
haben
In diesem Gebrauch gehört das (it.) futuro anteriore, ebenso wie das futuro semplice, zu den Tempora, die im Rückzug begriffen sind. Dementsprechend ist es durch andere Tempora (presente und passato prossimo) ersetzbar:
verrò/vengo quando ho finito/finisco di lavorare; fra qualche settimana abbiamo raggiunto il nostro scopo.
Häufiger hingegen kommt seine epistemische Verwendung vor, die es mit dem einfachen Futur gemein hat, und zwar sowohl im geschriebenen als auch im gesprochenen Italienischen. Dies lässt sich dadurch erklären, dass die modale Funktion der Zukünftigkeit selbst insofern inhärent zu sein scheint, als in allem, was noch kommen soll, ein Quantum an Vermutung und Ungewissheit steckt. Bei der Wahrscheinlichkeit, die durch das futuro anteriore signalisiert wird, handelt es sich um eine, die zum Zeitpunkt der Aussage abgeschlossen ist:
chi avrà telefonato
stamattina?
wer wird heute Morgen angerufen haben?
quando arrivò saranno state le cinque del
pomeriggio
als er eintraf, wird es fünf Uhr nachmittags gewesen
sein
Zum modalen Verwendungsbereich des futuro anteriore gehört auch der Ausdruck der Konzessivität:
avrà pure viaggiato intorno al mondo, ma
non ne ha tratto nessun beneficio
er mag auch in der Welt herumgereist
sein, aber er hat keinen Nutzen daraus gezogen