Das Präsensperfekt
it. passato prossimo
Präsensperfekt liegt vor in Sätzen wie diesen:
Ich hab von meiner Schulzeit profitiert, und ich hab sie in sehr guter Erinnerung. [Klaus Kinkel, 1998 in SWR1: Leute]
Ich habe gesagt, dass wir jetzt das Hotel verlassen müssen, wenn wir nicht hetzen wollen, und da hast du gesagt, dass du fertig wärst, und da habe ich gefragt, warum wir nicht gehen, und dann hast du gesagt, dass du nur wartest, bis ich aufstehe, und da habe ich gesagt, dass ich so lange sitzen bleibe, bis du fertig bist. [Loriot, Aufbruch, in Loriots Klassiker]
Doch er bekundete Verständnis für den Schritt: "Wir sind lange zusammen gelaufen, jetzt sind wir geschieden, und ich glaube, daß die Fortsetzung der Karriere schwierig für sie geworden wäre." [Berliner Zeitung, 04.01.1999, S. 31]
Im Präsensperfekt liegt die Betrachtzeit für den tempuslosen Satzrest vor der Betrachtzeit für das Obertempus Präsens, wie immer diese selbst situiert sein mag.
Die Betrachtzeit für das Obertempus Präsens kann aufgrund der Verwendung bestimmter Temporaladverbialia sogar in der Zukunft liegen. Die Betrachtzeit für das Präsens wird zur Orientierungszeit für die Interpretation des tempuslosen Satzrestes.
Peter hat morgen das Buch gelesen.
Katharina hat nächste Woche ihre Arbeit erledigt.
Für alle Fälle gilt:
Das Präsensperfekt drückt also Vergangenheit relativ zu Betrachtzeiten im Präsens aus, also relativ zu Betrachtzeiten beliebiger Lage.
Weiterführende Informationen:
zur Unterscheidung Präteritum
versus Präsensperfekt
zur Wahl des Hilfsverbs
haben oder
sein?
Dem deutschen (hier) Präsensperfekt entspricht im Italienischen das passato prossimo, ebenfalls ein zusammengesetztes Tempus, das durch das Präsens der Hilfsverben essere oder avere (haben oder sein?) und das Partizip Perfekt des Vollverbs gebildet wird: sono andato, ho cantato. In Bezug auf den Aspekt handelt es sich dabei um ein perfektives Vergangenheitstempus, das heißt um ein solches, das eine Handlung samt ihrem Endpunkt ausdrückt.
Innerhalb des italienischen Tempussystems gehört das passato prossimo neben dem imperfetto (Präteritum) zu den Tempora, deren Funktionsbereich im Zuwachs begriffen ist. Da das (it.) passato prossimo mit dem (it.) passato remoto die aspektuale Eigenschaft der Perfektivität teilt, womit beide Tempora (bei unscharf differenziertem Funktionsbereich) einen abgeschlossenen Vorgang in der Vergangenheit ausdrücken, erfolgt dieser Zuwachs hauptsächlich auf Kosten der synthetischen Form, die immer mehr von der analytischen Alternative verdrängt wird (siehe Präteritum). Im Großen und Ganzen kann man hier nur wiederholen, dass der Unterschied zwischen den beiden perfektiven Tempora nicht rein temporal ist (und zwar passato remoto bei weitem Zeitabstand zwischen Sprech- und Ereigniszeit, passato prossimo bei relativ geringem Zeitabstand zwischen beiden Koordinaten), sondern vor allem sprecherbezogen. Das passato prossimo steht für eine Vergangenheit, die präsentische Relevanz besitzt. Demnach werden Vorgänge, die zeitlich lange zurückliegen, die aber auf unterschiedlichen Ebenen auf die Gegenwart des Sprechers weiter wirken, eher durch Verwendung des passato prossimo als des passato remoto wiedergegeben:
mi sono sposato trent'anni fa e sono ancora insieme a
mia moglie
ich habe vor 30 Jahren geheiratet und bin immer noch mit
meiner Ehefrau zusammen
aber: mio cugino si sposò la prima volta in
municipio
mein Vetter heiratete das erste Mal
standesamtlich
Wobei das zweite Beispiel nahelegt, dass diese erste Ehe gescheitert ist. Bezeichnend für die Opposition passato remoto vs. passato prossimo ist die Option zwischen è nato (er ist geboren) und nacque (er wurde geboren) je nachdem, ob der Betroffene lebt oder verstorben ist: mio fratello è nato in dicembre vs. Dante nacque nel 1265. Die Zuständigkeit des passato remoto als Erzähltempus bleibt hingegen weitgehend unbestritten, allerdings ist diese Verwendung im Allgemeinen auf gewisse Register der Schriftsprache beschränkt.
Zwischen dem deutschen Präsensperfekt und dem (it.) passato prossimo gibt es einen markanten Konstrast, der auf die aspektuale Eigenschaft der beiden Tempora zurückgeht. Im Gegensatz zur italienischen Entsprechung hat das deutsche Präsensperfekt nämlich auch imperfektive Funktion, das heißt, es kann eine durative, progressive oder wiederholte Handlung wiedergeben. Der Unterschied soll anhand der folgenden Beispiele erläutert werden:
(1) als ich angerufen habe (anrief), hat er Zeitung
gelesen
vs. quando ho telefonato (telefonai)
leggeva il giornale (*quando ho telefonato ha letto il
giornale)
(2) du hast davon gewusst, warum hast du es
mir nicht gesagt?
vs. tu lo sapevi, perché non me l'hai
detto? (*tu l'hai saputo, perché non me l'hai detto?)
(3) wie hat unser Mathelehrer am Gymnasium
geheißen?
vs. come si chiamava il nostro
insegnante di matematica del ginnasio? (*come si è chiamato
…?)
(4) im Sommer ist er jeden Tag baden
gegangen
vs. in estate andava ogni giorno a
farsi il bagno (*in estate è andato ogni giorno a farsi il
bagno)
In (1) werden zwei Handlungen dargestellt, die erste davon punktuell (das Anrufen), die andere (Zeitung lesen) ohne Angabe des Endpunkts in ihrem Verlauf, weswegen die Verwendung des italienischen perfektiven passato prossimo ungrammatisch wäre. In (2) und (3) signalisiert das imperfetto das durative Merkmal des Sachverhalts, wobei die Verwendung des passato prossimo in (2) eine andere Bedeutung ergeben würde (du hast es erfahren, warum hast du es mir nicht gesagt?). In (4) wird eine Gewohnheit, eine wiederholte Handlung in der Vergangenheit beschrieben, für die im Italienischen nur das imperfetto zur Verfügung steht.