haben oder sein?

it. essere o avere?

Im Deutschen werden zwei Perfekt-Hilfsverben für die Bildung von Präsensperfekt und Präteritumperfekt unterschieden: haben und sein.

Die Wahl des Perfekt-Hilfsverbs hängt von syntaktischen als auch von semantischen Kriterien ab.

Perfektbildung mit dem Hilfsverb haben

Verben, die ein Komplement im Akkusativ (Kakk) fordern, bilden die Perfektformen mit haben.

Er hat mich recht freundlich gegrüßt.
Sie haben ein Haus gebaut.

Er hat seinen Hut in den Ring geworfen.
Sie haben die Urkunde zurückdatiert.
Der Steinmarder hatte die Zündkabel zerbissen!
Sie hatten die Latten vom Zaun abgebrochen.

Dies gilt auch für Verben, bei denen das Kakk fakultativ ist:

Sie hatten bis spät in die Nacht (Süßigkeiten) gegessen.
Ich habe früher (Zigarren) geraucht.

Verben, die kein Komplement im Akkusativ (Kakk) fordern und mit denen das Bestehen eines Zustands, die Ausführung eines Vorgangs oder einer Tätigkeit bezeichnet werden, ohne dass dabei auf eine Veränderung gegenüber einem Vorzustand oder auf einen Folgezustand (Anfangs- oder Endphase) abgehoben wird, bilden Perfektformen mit dem Hilfsverb haben. Es darf sich dabei nicht um Tätigkeiten oder Vorgänge handeln, die eine räumliche oder zeitliche Veränderung der Position des Gegenstands bewirken, der als Ksub realisiert ist.

Das Kind hat geschlafen.
Da hatte ich nur gelacht.

Der Anzug hatte mir wie angegossen gepasst.
Wir haben an unsere Verwandten gedacht.

Modalverben bilden ihre Perfektformen mit haben, gleichgültig mit welchem Vollverb sie verbunden werden.

Ach, was kann man in dieser Eingeschnürtheit des Geistes von sich wissen, was nie hat können erprobt werden?
[Arnim: Dies Buch gehört dem König. Digitale Bibliothek Band 1: Deutsche Literatur, S. 3428]

Wir halten jetzt bei der Zeit der Leichenreden – die Hasardeure, die das Spiel verloren haben, setzen dem deutschen Volk ausführlich auseinander, warum es hat verlieren müssen, und wie es hätte gewinnen können.
[Kurt Tucholsky: Leichenreden. Digitale Bibliothek Band 15: Werke, Briefe, Materialien, S. 1403]

Sie hat, durch die Liebe ermuntert, im kurzen seine Meinungen und seine Sitten angenommen und so viel Verstand bekommen, daß er sich keine Gewalt mehr hat antun dürfen, ihr gewogen zu sein.
[Gellert: Leben der schwedischen Gräfin von G***. Digitale Bibliothek Band 1: Deutsche Literatur, S. 19096]

Behüt dich Gott, es wär zu schön gewesen,
behüt dich Gott, es hat nicht sollen sein!
[Joseph Victor von Scheffel (1853): Der Trompeter von Säckingen.]

Verben, die ein Reflexivpronomen als Kakk oder Kdat fordern können, bilden ihre Perfektformen mit haben.

Geboren wurde Mastroianni 1924 in einem kleinen Nest zwischen Rom und Neapel, aber zeit seines Lebens hat er sich als Römer gefühlt.
[Frankfurter Rundschau, 20.06.1998, S. 4]

Sein erstes Motorrad hat er sich in Fürstenwalde gekauft: eine DKW zum Anschieben, für 50 Mark.
[Berliner Zeitung, 04.09.1998, S. 24]

Ausnahmen können reziprok verwendete Verben mit einem Kdat sein. Sie bilden ihre Perfektformen mit sein, wenn auch ihre nicht reziprok verwendeten Formen mit sein gebildet werden.

Sie sind sich während der Ausstellung begegnet. / Sie sind dem Künstler während der Ausstellung begegnet.
Am Ende des Films sind sich der Held und der Bösewicht entgegengegangen. / Am Ende des Films sind der Held und der Bösewicht dem Sonnenuntergang entgegengegangen.

Perfektbildung mit dem Hilfsverb sein

Verben, mit denen Vorgänge oder Tätigkeiten bezeichnet werden, die eine räumliche und zeitliche Veränderung der Position des Gegenstands bewirken, der als Ksub realisiert ist, bilden Perfektformen mit dem Hilfsverb sein. Sie werden auch Vorgangs- oder Bewegungsverben genannt.

Er ist durch die ganze Stadt gerannt.
Sie sind mit der S-Bahn zur Schwabstraße gefahren.

Der Apfel war nicht weit vom Stamm zur Erde gefallen.
Bougainville ist um die ganze Welt gereist.

Werden die Bewegungsverben mit einem Kakk realisiert, können die Perfektformen auch mit dem Hilfsverb haben gebildet werden.

Ich weiß genau, dass Manfred Germar 1956 in Melbourne die 100-Meter gelaufen hat.
Er hat das Rennen nicht zuende gefahren.

Verben, mit denen Zustandsveränderungen bezeichnet werden und bei denen die davon betroffenen Gegenstände als Ksub realisiert werden, bilden Perfektformen mit dem Hilfsverb sein.

Das Wasser ist gefroren.
Der Kessel ist explodiert.

Der Junge ist vielleicht gewachsen!
Die Blüten sind bereits aufgegangen.
Die ehemals wohlhabende Familie ist inzwischen verarmt.
Sie ist endlich eingeschlafen.

Kopulaverben (sein, werden, bleiben) bilden ihre Perfektformen mit sein.

Umweltministerin Angela Merkel legte gestern den Rückwärtsgang ein: "Von Anfang an ist klar gewesen, daß der Verkehr keinen wesentlichen Beitrag zur CO2-Reduktion leisten wird".
[Berliner Zeitung, 08.10.1997, S. 4]

Trotz dieser enttäuschenden Zahlen bekräftigen die Gutachter die Hoffnung auf eine Fortdauer des Wirtschaftsaufschwungs sogar über 1987 hinaus. "Anstelle des Exports ist der private Verbrauch, neben den Investitionen, zur Stütze der Konjunktur geworden".
[die tageszeitung, 25.11.1986, S. 2]

Geblieben ist aus dieser Zeit nichts als ein köstlicher Erfahrungsschatz Tucholskys.
[Fritz J. Raddatz: Vorwort, S. 21. Digitale Bibliothek Band 15: Tucholsky, S. 362]

Perfektbildung mit dem Hilfsverb haben oder sein

Die Perfektformen der Verben der Ruhe stehen, liegen, sitzen werden in Norddeutschland mit dem Hilfsverb haben und in Süddeutschland, Österreich und der Schweiz mit dem Hilfsverb sein gebildet.

Platins Fazit: „Es war ein super Mannschaftserfolg. Wir haben prima gestanden und zum richtigen Zeitpunkt nachgelegt.“
[Braunschweiger Zeitung, 17.12.2008]
"Wir sind hinten wieder gut gestanden, von den Atzenbruggern war danach nicht mehr viel zu sehen."
[Niederösterreichische Nachrichten, 19.11.2008]

Übung zum Perfekt-Hilfsverb 2


Analytische Formen des italienischen Verbs sind in morphologischer Hinsicht diejenigen, die, anders als die synthetischen, aus der Verbindung einer Hilfsverbform mit dem Partizip II des Vollverbs resultieren: sono partito (ich bin weggefahren); sono contento di averti visto(ich freue mich, dich gesehen zu haben). Die analytischen Verbformen des Italienischen entsprechen auf semantischer Ebene den zusammengesetzen Tempusformen (passato prossimo, trapassato remoto, trapassato prossimo, futuro anteriore) und die synthetischen Verformen den semantisch einfachen Tempusformen (presente, passato remoto, imperfetto, futuro semplice). In Bezug auf das Futur unterscheiden sich hier die beiden Sprachen: Als semantisch einfache Tempusform wird es im Deutschen analytisch gebildet (Futur I), im Italienischen jedoch synthetisch (futuro semplice): partirò (ich werde wegfahren). S. auch Der Formenbestand des deutschen Tempussystems.

Zur Bildung der zusammengesetzten Verbformen verfügt das Italienische, wie das Deutsche, über zwei Hilfsverben, essere und avere (<lat. esse und habere). Deren Zuordnung zu den jeweiligen Vollverbklassen ist zwar weitgehend, nicht aber lückenlos und einheitlich normiert, wie sich anhand der synchronen (und diachronen) grammatikographischen Literatur belegen lässt. Demgemäß lassen sich auch in der Standardvarietät der Gegenwartssprache Schwankungen feststellen (sono inciampato und ho inciampato, ich bin gestolpert), wie es im Übrigen auch im Deutschen der Fall ist (ich bin/habe gejoggt). Solche Vorkommnisse sowie die häufigen Abweichungen von der geltenden Norm in Dialekten und im Substandard signalisieren die immer noch nicht vollzogene Stabilisierung eines Bereiches, der sich seit der altitalienischen Phase als kritisch erwiesen hat. Diese Problematik geht auf die diachrone Entwicklung eines analytischen Vergangenheitstempus zurück, das anders als etwa im Englischen, aber auch in romanischen Abkömmlingen des Lateinischen wie Spanisch, Portugiesisch und vielen süditalienischen Dialekten, auf die Wahl zweier Hilfsverben angewiesen ist, deren Distribution von frühester Zeit an unscharf bestimmt ist. Dieser Mangel an verbindlichen Selektionskriterien, der diachron einen fruchtbaren Boden für Überlappung und Variation dargestellt hat, lässt sich auf den komplexen Zusammenhang zurückführen, in dem die Wahl des ausiliare eingebettet ist. Der liegen nämlich semantische und syntaktische Regularitäten zugrunde, die mit der Verbvalenz in Beziehung stehen, so dass der Einsatz von essere oder avere sowohl in Hinblick auf die Bedeutung des Vollverbs (Vincent 1988) erfolgt als auch auf seine Beziehungen zu anderen Elementen des Satzes.

Im Gegenwartsitalienischen lassen sich in diesem Bereich interessante sprachwechselbedingte Änderungen beobachten, die einen bedeutenden Zuwachs der avere- gegenüber den essere- Konstruktionen bewirken. Diese Entwicklung bestätigt übrigens die historische Relevanz von avere als Hilfsverb, dessen Leistungen das Italienische die Entstehung der Futur I- und Konditionalformen verdankt (lat. sentire habeo > spätlat. sentire *ao > it. sentirò; lat. sentire habui > spätlat. sentire *ei > it. sentirei ).

In diesem Zusammenhang belegen synchrone standardsprachliche Befunde, inzwischen von der Grammatikographie (Serianni 1988: 394) legitimiert, dass Witterungsverben, denen die traditionelle Norm das Hilfsverb essere zuordnete, die analytischen Formen (auch) mit avere bilden: stanotte è/ ha piovuto senza interruzione (heute Nacht hat es ununterbrochen geregnet). Denselben Wandel beobachtet man bei analytischen Formen mit Modalverben, die nach der herkömmlichen Grammatik das Hilfsverb des jeweiligen Vollverbs übernehmen sollten, heute jedoch zur undifferenzierten Selektion von avere tendieren. In sprachvergleichender Hinsicht ist dieser Trend insofern relevant, als er eine Milderung des Kontrastes zwischen italienischen und deutschen Rektionsverhältnissen des Modalverbkomplexes mit sich bringt. Denn hier sieht das Deutsche, unabhängig vom Vollverb, immer nur haben vor: sono/ ho dovuto andare (ich habe gehen müssen); non è/ ha voluto restare (er hat nicht bleiben wollen).

Mit den Einschränkungen, die mit dem bisher Erläuterten einhergehen, will die folgende Klassifizierung einen Überblick über die in den wichtigsten Grammatiken des Italienischen angegebene Norm für die Wahl des ausiliare bieten, die sich nach wie vor hauptsächlich an der Transitivität bzw. Nicht-Transitivität des Vollverbs orientiert. Daraus resultiert die eindeutige Dominanz von avere gegenüber essere, da transitive Verben nur avere-Konstruktionen bilden, während intransitive sowohl essere als auch avere fordern können.

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Verben mit direktem Objekt:
Verben, die ein direktes Objekt haben oder haben können (transitivi), fordern in der aktiven Diathese (wie im Deutschen) das Hilfsverb avere:

dare > gli ho dato uno schiaffo (ich habe ihm eine Ohrfeige gegeben);
scrivere > oggi ho scritto una lettera/ ho scritto a lungo (heute habe ich einen Brief geschrieben/ heute habe ich lange geschrieben)

Avere fordern bei transitivem Gebrauch auch diejenigen Verben, die sowohl transitiv als auch intransitiv verwendet werden können:

cominciare, finire > ho cominciato il compito, ma non l'ho finito (ich habe die Aufgabe begonnen, aber nicht beendet)

Allerdings bei intransitivem Gebrauch:

il film è cominciato alle 17.00 e non è ancora finito (der Film hat (!) um 17.00 Uhr begonnen und ist noch nicht zu Ende).

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Verben ohne direktes Objekt:
Bei Verben, die kein direktes Objekt haben (intransitivi), lassen sich zwei Gruppen unterscheiden, die jeweils das ausiliare essere und avere verlangen:

parlare > ha parlato; uscire > è uscito (er hat gesprochen; er ist ausgegangen)

Trotz der zahlreichen Klassifizierungsversuche, z. B.

Einwertige intransitive Verben verlangen essere wenn sie Bewegungsverben sind, avere wenn nicht:
sono venuto vs. ho dormito

verfügt man bisher über kein zuverlässiges Differenzierungskriterium in Bezug auf die Rektion. So kommt bei italienischen Bewegungsverben, deren analytische Formen im Deutschen mit sein gebildet werden, nicht selten avere statt des erwarteten essere vor:

ho camminato, ho sbandato, ho viaggiato (ich bin gegangen, ins Schleudern geraten, gereist).

Bei einigen dieser Bewegungsverben treten beide Hilfsverben auf, allerdings bringt die Verwendung des einen oder des anderen ausiliare (ähnlich wie dt. er hat lange geschwommen vs. er ist bis zum Ufer geschwommen) eine semantische Differenzierung mit sich:

(a) ha corso tre ore (er ist drei Stunden gelaufen) aber
(b) è corso a casa (er ist nach Hause gelaufen)

Der Vorgang wird in (a) in seinem Verlauf, in (b) mit Hinblick auf das Ziel in Betracht gezogen.

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Modalverben:
Modalverben übernehmen laut Regel das Hilfsverb des Vollverbs, jedoch tritt avere immer häufiger auch da auf, wo essere zu erwarten wäre (vgl. oben). Modalverben in Vollverbverwendung fordern immer avere:

non ho potuto, l'ha voluto lui (ich habe nicht gekonnt, er hat es gewollt)

Avere ist auch dann vorgeschrieben, wenn dem Modalverb der Infinitiv von essere folgt:

non ho potuto essere presente (ich habe nicht da sein können).

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Reflexiva:
Reflexiva fordern (im Gegensatz zum Deutschen!) in allen Distributionsklassen essere:

mi sono pettinata, si sono amati, si è lavato le mani (ich habe mich gekämmt, sie haben sich geliebt, er hat sich die Hände gewaschen).

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Unpersönliche Verben:
Unpersönlichen Verben (verbi impersonali) oder unpersönlich verwendeten Verben, das heißt solchen, die in der finiten Form nur in der dritten Person vorkommen (Serianni 1988: 426), ist das Hilfsverb essere zugeordnet: è accaduto, è successo (es ist erfolgt, passiert), wobei für Witterungsverben das oben Gesagte gilt. Anders als bei der deutschen Entsprechung man, tritt essere auch bei Konstruktionen mit dem Subjekt-Pronomen si auf, das in Verbindung mit der dritten Person eines Verbs das impersonale zum Ausdruck bringt: ieri sera si è riso molto (gestern Abend hat man viel gelacht).

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