Stellung der Komplemente im Mittelfeld
Unter Komplementen werden hier Verbkomplemente verstanden (s. auch Primäre Komponenten des Satzes: Komplemente).
Die Abfolge der Komplemente im Mittelfeld wird durch mehrere Prinzipien geregelt, wonach die Komplemente nach ihrem syntaktisch-semantischen Status, ihrer morphologischen Realisierungsform und ihrer semantischen Rolle in verschiedene Stellungsklassen eingeteilt werden können. Diese übergeordneten Prinzipien müssen berücksichtigt werden, um die Stellungsklassen kasusbestimmter Komplemente nach ihrer syntaktischen Funktion (als Subjekt, Akkusativ-, Dativ- oder Genitivkomplement) zu bestimmen und in einer Gesamtabfolge der Komplemente darstellen zu können.
Bezogen auf eine konkrete satzförmige Äußerung gelten für die Prinzipien der Wortstellung im Mittelfeld folgende Bedingungen:
- sie stellen mehr oder weniger stark ausgeprägte Tendenzen dar, keine festen Stellungsregeln
- sie sind nicht isoliert zu betrachten: eine Stellungseinheit kann mehreren Stellungsklassen gleichzeitig zugeordnet werden
- sie können sich gegenseitig im Zusammenspiel verstärken oder in Konkurrenz zueinander treten
Neben den hier erläuterten Stellungsprinzipien sind immer auch die Intonation und die Informationsstruktur der Sätze zu berücksichtigen. Im Satz hängt die Stellung der Komplemente auch von der Stellung der Supplemente ab, die Interaktion dieser primären Komponenten wird in der Gesamtabfolge der Komplemente und Supplemente im Mittelfeld behandelt.
Stellungsklassen
Kernkomplemente
Komplemente lassen sich nach ihrem syntaktisch-semantischen Status (s. Komplemente und ihre Leitformen) in zwei Stellungsklassen einteilen :
- Kernkomplemente: Subjekt, Akkusativ-, Dativ-, Genitiv- und Präpositivkomplement
- Nicht-Kernkomplemente: Prädikativ-, Adverbial- und Verbativkomplement
Kernkomplemente (+KRN) | Nicht-Kernkomplemente (–KRN) |
Subjekt
(Ksub): Bei dieser Katastrophe hat er seine Familie
verloren. Akkusativkomplement (Kakk): Viele Jahre lang hat er seine Frau betrogen. Dativkomplement (Kdat): [...],weil er dem Personalchef unverantwortbare Zusagen gemacht hatte. Genitivkomplement (Kgen): Wir alle gedenken seiner tiefen Menschlichkeit mit großer Verehrung. Präpositivkomplement (Kprp): Ich hatte zunächst über seine Antwort nicht genauer nachgedacht. | Prädikativkomplement
(Kprd): Schließlich wurde er
Handballtrainer. Adverbialkomplement (Kadv): Wir lagen vor Madagaskar. Verbativkomplement (Kvrb): Die Reform hat endlich zu wirken begonnen. |
Die folgenden Beispiele zeigen die Abfolge von Kernkomplementen (+KRN) und
Nicht-Kernkomplementen (–KRN) im Mittelfeld (die Satzklammerteile sind farbig, Komplemente
fett markiert):
(1a) Nach ihrem Studium der Geschichte und Romanistik wurde Gisela Friedrich(+KRN) Lehrerin(–KRN). [Frankfurter Rundschau, 16.05.1997]
(1b) "Kansa" heißt auf Finnisch(+KRN) "das Volk"(–KRN) und ist das aktuelle Kunstprojekt des finnisch-deutschen Künstlerpaares Goller-Masalin aus Holzwiesen. [Rhein-Zeitung, 09.02.2008]
(2) Um kurz vor 17 Uhr standen lange Schlagen(+KRN) vor den Kassen(–KRN). [Mannheimer Morgen, 02.11.2004]
(3) Meine zwei Kinder sind schon erwachsen. Aber wenn wir sie(+KRN) einkaufen(–KRN) geschickt haben, haben wir immer nachgesehen, ob sie aufpassen. Wir haben gesagt: Auch wenn eine Ampel existiert, mußt du links, rechts, noch mal links gucken. [die tageszeitung, 02.08.1997]
Nicht-Kernkomplemente stehen i. d. R. am rechten Rand des Mittelfelds. Zu dieser Stellungsklasse zählen auch die nicht-verbalen Teile von Nominalisierungsverbgefügen (im Beispiel grün markiert), z. B.:
(4) Er hat dem Kandidaten(+KRN) kritische Fragen gestellt.
Nicht alle Realisierungsformen von Komplementklassen sind mittelfeldfähig. Satzförmige Realisierungen scheiden z. B. für die Mittelfeldstellung aus oder sind nur stark markiert möglich.
Dass dies ein Trugschluss ist, hat die einschlägige
Forschung schon lange bewiesen. [Die Zeit (Online-Ausgabe),
24.01.2008]
*Die einschlägige Forschung hat, dass dies ein Trugschluss ist, schon
lange bewiesen.
+KRN » –KRN
Die interne Abfolge innerhalb der Stellungsklasse der Kernkomplemente, d. h. nach welchem Prinzip linearisiert wird, wenn mehrere Komplemente mit verschiedenen syntaktischen Funktionen (Ksub/Kakk/Kdat/Kgen) zusammen vorkommen, lässt sich anhand der folgenden Beispiele illustrieren:
(5) Der EU-Bildungsrat beschloss in Brüssel die Auszubildenden (Kakk) den Studenten (Kdat) gleichzustellen. [Berliner Zeitung, 19.11.2005]
(6) Deshalb ordnet die alte Poetik (Ksub) das Epigramm (Kakk) der lyrischen Gattung (Kdat) zu.
(7) Carol verdächtigt ihren Nachbarn (Kakk) des Mordes (Kgen) und überzeugt ihren Gatten davon. [Mannheimer Morgen, 22.06.1998]
(8) Heute morgen gegen 9 Uhr hat er (Ksub) sich (Kakk) dem Richter (Kdat) in Frankfurt gestellt.
Da Genitiv- und Dativkomplemente nie zusammen vorkommen, bilden sie eine einzige Stellungsklasse. Es gilt generell folgende Regel für die Abfolge kasusbestimmter Kernkomplemente:
Präpositivkomplemente tendieren gegenüber den anderen (kasusbestimmten) Kernkomplementen dazu, weiter rechts im Mittelfeld zu stehen:
Völlig neu ist, daß die CD (Ksub) [...] vom Briefträger (Kprp) ins Haus gebracht wird [...] [Vorarlberger Nachrichten, 27.03.1997].
Weitere Stellungsklassen
Obwohl die Reihenfolge der Komplemente in den folgenden beiden Beispielen von der oben formulierten Regel abweicht, handelt es sich in beiden Fällen dennoch um eine unmarkierte Mittelfeldfolge. In (9) werden die Komplemente teilweise durch Pronominalphrasen realisiert (vgl. auch (8)). In Beispiel (10) ist das Subjekt unbelebt:
(9) Im Streit um den Fahrpreis hat ein
29-jähriger in St. Peter einen Taxifahrer beleidigt und verprügelt [...]: Als
ihm (Kdat) der Fahrer
(Ksub) folgte,
schlug ihn
(Kakk) der 29-Jährige (Ksub) mit
der Faust (Kadv) ins Gesicht (Kadv).
[Nürnberger Nachrichten, 25.10.2005]
(10) Gelingt dem smarten Rheintaler (Kdat) nun die Revanche (Ksub)? [St. Galler Tagblatt, 18.03.2008]
Als Erklärung müssen weitere Stellungsprinzipien herangezogen werden, die morphologische Realisierungsformen und die semantischen Rollen der Komplemente berücksichtigen:
Personalpronomina
Die Stellung der Komplemente im Mittelfeld wird auch durch unterschiedliche morphologische Realisierungsformen bestimmt. Komplemente, die durch bestimmte pronominale Subklassen realisiert werden, unterscheiden sich in Bezug auf ihre Stellungsfolge von anderen Realisierungsformen, wie z. B. Nominalphrasen (das Geld) oder Pronominalphrasen mit Vertretern anderer pronominaler Subklassen (dieser, meine, jemand):
- Kommunikanten-Pronomina (Sprecher- und Hörer-Pronomen): ich, wir; du, ihr, Sie + Flexionsformen
- anaphorisches Personalpronomen: er, sie, es + Flexionsformen
- gebundenes Personalpronomen (Reflexivpronomen): sich
- generalisierendes Personalpronomen: man
Zur gleichen Stellungsklasse gehören im Mittelfeld auch die nicht-phorischen (–phor) Verwendungsweisen der Form es (Korrelat- und fixes es), die keine Komplemente realisieren, sondern als reine Stellungseinheiten zu betrachten sind (vgl. Beispiel 13).
Die folgenden Beispiele zeigen unmarkierte Abfolgen von Personalpronomina
(fett) und Nicht-Personalpronomina:
(11) […], obwohl sie (Ksub) ihm (Kdat) das Geld (Kakk) versprochen hatte.
(12) Ob sich der Beschenkte auch lieb gefreut hat, berichten wir im nächsten Jahr. Wenn es (Kakk) uns (Kdat) jemand (Ksub) verrät. [Frankfurter Rundschau, 19.12.1998]
(13) In einem ostenglischen Küstenort hat es(–phor) Fische (Kakk) geregnet. [Mannheimer Morgen, 08.08.2000]
Es hat sich (Kdat) niemand (Ksub) getraut, ihm die Wahrheit zu sagen.
Ich verstehe nicht, warum man (Ksub) uns (Kdat) das (Kakk) nicht vorher gesagt hat.
Sie hatte nur höflich gefragt, ob er (Ksub) ihr (Kdat) das Geld (Kakk) einige Tage früher zurückgeben könnte.
Die Abfolge innerhalb der Stellungsklasse der Personalpronomina illustrieren folgende Beispiele:
(14) Das ist eine Geschichte für sich. Ich kann sie (Kakk) Ihnen (Kdat) nicht erzählen.
(15) Dr. Wenzel brachte mir das Manuskript. Nach Fertigstellung brachte ich (Ksub) es (Kakk) ihm (Kdat) in seine Wohnung (Kadv).
(16) Buschor mauserte sich zum Guru dieser Neuerung in Europa […]. Vor drei Jahren entsann man (Ksub) sichakk seiner (Kgen) vor den Züricher Regierungswahlen. [Die Zeit, 31.05.1996]
Auch bei der Realisierung als Personalpronomina ist im Mittelfeld (Ksub ») Kakk » Kdat/gen die typische, d. h. unmarkierte Abfolge. Dabei ist – anders als bei den nominalen Realisierungen – die Kasusform entscheidend, das Belebtheitsprinzip, das im folgenden Abschnitt erläutert wird, spielt keine Rolle.
Neben den bisher formulierten Stellungsprinzipien kann auch ein weiteres sehr allgemeines und auf verschiedenen Ebenen wirksames Prinzip beschrieben werden:
Die Wirkungsweise dieses Prinzips lässt sich im Mittelfeld anhand der Abfolge der Personalpronomina illustrieren. Es bezieht sich zum einen auf die Anzahl der Silben und zum anderen auf die Länge der Vokale pronominaler Formen: Zweisilbige Formen (alle Genitiv-Formen, Dativ-Plural/-Distanzform ihnen) stehen nach einsilbigen Formen (alle anderen Formen). Dem Prinzip kurz >> lang entspricht auch die Stellung bestimmter Realisierungsformen von Komplementen, z. B. die Nachstellung von Nominalphrasen und Präpositionalphrasen gegenüber Pronominalphrasen. Dies ist aber größtenteils auch durch die anderen Stellungsprinzipien erklärbar: Die längeren Formen entsprechen i. d. R. den weiter rechts stehenden pronominal realisierten kasusbestimmten Kernkomplementen (zweisilbilge Pronomina) und Nicht-Kernkomplementen (z. B. Präpositiv- und Adverbialkomplement).
Das Prinzip kurz >> lang wurde schon als "Gesetz der wachsenden Glieder" von Otto Behaghel (1932) beschrieben und besagt, "daß von zwei Gliedern, soweit möglich, das kürzere vorausgeht, das längere nachsteht."
Belebtheit
In den unmarkierten Mittelfeldfolgen der Beispiele (17) bis (20) weisen die Komplemente unterschiedliche semantische Rollen in Bezug auf Belebtheit (bzw. einen höheren Grad von Handlungsfähigkeit) auf. Die Träger belebter Rollen (+bel) sind handlungsfähig und stehen häufig voran, die Träger unbelebter Rollen (-bel) sind meistens nachgestellt. Tendenziell gilt das nicht nur für Lebewesen, sondern auch für (von Menschen geschaffene) Institutionen (19, 20):
(17) Das neue Streikgesetz solle den Arbeitern(+bel) das Streikrecht(–bel) nehmen und sie vom Demokratisierungsprozeß ausschließen. [die tageszeitung, 27.10.1989]
(18) Dessen Schwägerin schilderte dem Richter (+bel) den Sturz der Frau, der zu Nasenbein- und Rippenbruch führte,(–bel) anders: [...]. [Neue Kronen-Zeitung, 27.01.2000]
(19) Ich habe der Firma Radiophon(+bel) das Gerät(–bel) zurückgeschickt.
(20) (...), weil dem Parlament (+bel) der Gesetzentwurf (–bel) nicht rechtzeitig vorlag.
Sehr häufig kommt dieses Prinzip auch bei dreiwertigen Verben mit Dativ- und Akkusativkomplement wie geben, schenken, senden, überlassen, gewähren, verkaufen, leihen, wegnehmen, stehlen, entziehen, verweigern und übermitteln, mitteilen, erzählen, gestehen, berichten, schildern, vorschlagen (Mitteilungsverben) zur Geltung.
+bel » –bel
Einige Beispiele für die Abfolge von nominalen Komponenten im Mittelfeld:
Ich habe dem Kunden+bel das Ersatzteil–bel zugeschickt.
Sie können heute dem Gastgeber+bel Blumen–bel auch in durchsichtigem Papier übergeben.
Schon als Medizinstudent waren Salk+bel die Ungereimtheiten der gängigen Impfstofftheorie–bel aufgefallen. [Zeit, 3.5.1985, 82]
Gesamtabfolge der Komplemente
Die grammatisch determinierte Mittelfeldfolge der Komplemente in sachlich-neutraler Rede ist in der folgenden Übersicht zusammengefasst:
Die mögliche Stellung von pronominalem Kakk/dat vor nominalem Ksub ist der grafischen Klarheit zuliebe hier nicht berücksichtigt.
Zwischen Deutsch und Französisch bestehen im Verhältnis von Zwang und Freiheit bei der Verteilung der Komplemente subtile Unterschiede, die jedoch auf Gemeinsamkeiten basieren. Im deutschen Standardsatz sind die Randzonen des Mittelfeldes durch relativ feste Stellungsregeln geprägt, während im Mittelteil eine gewisse Freiheit herrscht. Maßgebend für den Grad der Freiheit in der Reihenfolge der Komplemente ist dabei die Opposition pronominales/nominales Komplement.
- Pronominale Komplemente stehen vor nominalen.
- Für pronominale Komplemente, die in der linken Innenrandzone anzusiedeln sind, ist eine feste Abfolge gefordert (siehe 1).
- Dagegen kann bei nominalen Komplementen, deren angestammter Platz der Mittelteil ist, unter bestimmten Umständen neben der unmarkierten Abfolge (siehe 2.1) auch eine markierte auftreten, bei der die Komplemente anders angeordnet, d. h. in der Regel Dativ- und Akkusativ-Komplement vertauscht sind (siehe 2.2).
- Weiter gilt: Ob das Subjekt pronominal oder nominal ist, ist meist irrelevant.
Bei unmarkierter Abfolge steht das Subjekt meist (nicht immer) als erstes, ein Präpositivkomplement
immer als letztes.
Am besten eignen sich hier als Beispiele Sätze, bei denen auch das Subjekt im Mittelfeld steht (Kasus: N, A, D, G; Präpositivkomplement: P):
(1) Feste Abfolge bei pronominalen Komplementen:
(a) Darum hat er/Theo es ihnen geschickt. [ N / A / D / - /
- ]
(b) Deshalb hat er/Theo ihn an sie geschickt. [ N / A / - / - / P
]
(c) Ob er/Theo sie uns vorstellen wird? [ N / A / - / G / -
]
(d) Darum sollte man sich ihrer annehmen. [ N / A / - / G / -
]
(e) Hoffentlich bist du dir dessen bewusst! [ N / - / D / G / -
]
(2.1) Unmarkierte Abfolge bei Beteiligung nominaler Komplemente:
(a1) Bald schickt die Firma ihren Kunden den
Katalog. [ N / D / A / - / - ]
(a2) Bald schickt die Firma
ihnen den Katalog. [ N / pron D - nom A / - / - ]
(a3) Bald
schickt ihn die Firma / (*sie) ihren Kunden. [ pron D /
nom N / nom A / - / - ]
(a4) Bald
schickt die Firma ihn ihren Kunden. [ N / pron A / pron D / - / -
]
(a5) Bald schickt ihn die Firma / (*sie) ihren Kunden. [
pron A / pron N / nom D / - / -
]
(b1) Bald schickt die Firma den Katalog an ihre Kunden. [
N / A / - / - / P ]
(b2) Bald schickt die Firma ihn an ihre
Kunden. [ N / pron A / - / - / nom P ]
(b3) Bald schickt ihn
die Firma / (*sie) an ihre Kunden. [ pron A /
nom N / - / - / nom P ]
(c1) Ob er /
Theo Sandra seinen Eltern vorstellen wird? [ N / A / D / - / -
]
(c2) Ob er / Theo sie seinen Eltern vorstellen wird? [ N /
pron A / nom D / - / - ]
(c3) Ob er / Theo ihnen Sandra vorstellen
wird? [ N / pron D / pron A / - / - ]
(d) Darum sollte man sich dieser
Kinder annehmen. [ N / pron A / - / nom G / - ]
(e) Hoffentlich bist du
dir deines Fehlers bewusst! [ N / - / pron D / nom G / - ]
(2.2) Markierte Abfolge bei nominalen Komplementen:
(a6) Bald schickt die Firma den Katalog ihren
Kunden. [ N / D / A / - / -
]
(b4) Bald schickt die Firma an ihre Kunden den Katalog. [
N / P / - / - / A
]
(c4) Ob er seinen Eltern Sandra vorstellen wird? [ N /
A / D / - / - ]
Letztlich zeigt eine solche Bilanz, dass der Zwang doch größer ist als die Freiheit. Die
Logik der Stellungsfelder führt zu mehreren sich überlagernden Regeln, die nur wenige "Ausnahmen"
zulassen. Wesentlich sind dabei die am Kasus orientierte feste Abfolge der pronominalen Komplemente
und ihr Platz direkt hinter dem Subjekt oder, bei Verbletztsätzen, direkt hinter der linken
Satzklammer.
Im Französischen bietet sich ein ganz ähnliches Bild, nur dass hier
die Abfolge aus der Sicht der Begründbarkeit willkürlicher festgelegt scheint. Auch hier bilden die
pronominalen Komplemente die erste Gruppe in der linearen Reihenfolge (linker "Objektblock", O1).
Sie stehen sogar so weit links, dass sie in der Grundstruktur des Satzes zwischen Subjekt und Verb
erscheinen. Ein kurioses Faktum, glaubt man doch S und V im Französischen aufs engste verbunden.
Auf die zusammen stehenden Teile des Verbs folgt dann rechts ein mehr oder weniger umfangreicher
Objektblock (O2, siehe: Das Nachfeld im
deutsch-französischen Kontrast, in dem nominale Komplemente und verschiedene andere
Erweiterungen und Adverbiale auftreten können. Wir haben es also mit einer Aufspaltung der
gesamten, dem Mittelfeld deutscher Sätze vergleichbaren Komplementgruppe zu tun, wodurch eine Art
ineinander verzahnte Struktur zweier Klammern entsteht (siehe hierzu KONTRASTIV:
Konzentrische
Inseln): S ----- V und O1 -----O2:
(X1) / S / O1 = [pron. Kompl.] / V / O2 = [nom. Kompl.] + Y //
(a) S: Thierry / O1: nous / V: a envoyé / O2: les photos. (Thierry hat uns die Fotos geschickt.)
Stehen nun im rechten Objektblock zwei Komplemente, so erscheint im unmarkierten Fall das direkt vor dem indirekten Objekt (oder in Kasus-Kategorien: A vor D). Rein linear gesehen also genau umgekehrt wie im Deutschen. Genauer betrachtet entsteht jedoch dadurch (bei Nichtvorhandensein einer –häufig eng ans Verb gebundenen– Präpositionalphrase) eine der Transitivität geschuldete, sehr enge Verbindung zwischen Verb und A-Komplement, die im Deutschen ganz genau so vorliegt. Nur dass dort ein rechter Satzklammerteil existiert und das A-Komplement diesem direkt vorangeht, also auf das D-Komplement folgt:
(b) Thierry a envoyé les photos à nos
amis.
Thierry hat unseren Freunden die Fotos
geschickt.
Eine satzästhetische Sonderregel will im Französischen, dass das spürbar längere, also erweiterte Komplement an letzter Stelle steht. Auf diese Weise kann eine markierte Situation entstehen, nämlich Vertauschung der beiden Objekt-Typen, also D - A anstatt A - D. Im Deutschen ist eine entsprechende Lösung meist auch eleganter:
(c1) Thierry a envoyé à nos amis les photos de notre voyage en
Egypte. (strukturell markiert)
Thierry hat unseren Freunden
die Fotos von unserer Ägyptenreise geschickt. (strukturell
unmarkiert)
(c2) Dieter hat die Fotos unseren in Kairo ansässigen
Freunden geschickt. (strukturell markiert)
Pronominalisierung eines Komplements bewirkt dessen Versetzung nach links, auf O1-Position. Dabei spielt es keine Rolle, welches der beiden Komplemente, A oder D, betroffen ist:
(d1) Thierry les a envoyées à nos amis.
Thierry hat sie unseren Freunden geschickt.
(d2)
Thierry leur a envoyé les photos.
Thierry hat ihnen die
Fotos geschickt.
Erst wenn beide Objekte als pronominale Komplemente realisiert sind, tritt eine abstrakt-komplexe Stellungsregel in Kraft, die die Reihenfolge innerhalb des linken Objektblocks bestimmt. Sie orientiert sich weniger an den syntaktischen Funktionen A und D als an der Person: Kommunikanten- und Selbstbezug 1. Spalte) vs. Drittpersonigkeit (2. und 3. Spalte), sowie an artikulatorischen Kriterien (Silbenfluss, Bindungsmöglichkeit). Das Mini-System wird in deutschen Französisch-Lehrbüchern aufgrund seiner bildlichen Darstellbarkeit gern als die so genannte "Fähnchen-Regel" wiedergegeben:
Das Schema zeigt: Was paradigmatisch untereinander steht, kann nicht aufeinander folgen. Nur Abfolgen aus zwei Elementen, die im Schema syntagmatisch in zwei benachbarten Spalten stehen, können in realen Sätzen vorkommen. Die Pronominaladverbien y (dort, damit, daran) und en (davon, daher, daran) können zusätzlich auftreten. Die Elemente der ersten Spalte können prinzipiell A oder D sein, in Zweierkombinationen jedoch nur D; die der zweiten sind nur A-, die der dritten nur D-Komplemente. So lassen sich verschiedene Kombinationen aus D und A oder A und D bilden. Unterschiede zum Deutschen ergeben sich daraus, dass dort der Kasus die Abfolge bestimmt, im Französischen nicht:
Thierry les (A) leur (D) a envoyées.
Thierry hat sie (A) ihnen (D) geschickt.
Nous vous
(D) les (A) avons envoyées. Wir haben sie (A) euch (D)
geschickt.
Vous me (D) l' (A) avez envoyée. Ihr habt
es (A) mir (D) [oder: mir es] geschickt .
Elle
se (D) les (A) est fait encadrer. Sie hat sie (A)
sich (D) einrahmen lassen.
Elle les (A) y a
rencontés. Sie hat sie (A) dort getroffen.
Elle
nous (D) en a parlé. Sie hat uns (D) davon
erzählt.
Gegenüber solch festgefügten Mustern können nur auffällige Besonderheiten als markierte Formen gelten. So etwa die Fokussierung durch Cleft-Konstruktionen mit c'est ... que oder die meist redundante Rechtsversetzung eines Bezugsterms (im mündlichen Französisch). Sie werden im Deutschen durch fokussierende Vorfeldstellung, interaktive Elemente oder Kontrastakzente wiedergegeben:
C'est à Paul que nous les avons envoyées. Na, dem
Paul haben wir die geschickt.
Nous les lui avons envoyées, à
Paul. Dem Paul haben wir sie doch geschickt!
Il nous les a envoyées a
nous. Uns (und niemand anderem) hat er sie
geschickt.
Übung: Komplemente: syntaktische Funktion