Intonation bei topologischer Veränderung
Bei diesem Verfahren, das sich meist in quantifizierenden Konstruktionen – Nominalphrasen oder Sätzen – findet, wird eine Informationseinheit mit einem Akzent in zwei Teile mit zwei Akzenten aufgespalten. Der erste hat ein steigendes und der zweite ein fallendes Tonmuster. Das heißt, dass das betreffende Element sowohl topologisch, also bezogen auf die lineare Abfolge, als auch intonatorisch aufgespalten ist.
Nominalphrasen-Aufspaltung
Quantifikativ-Artikel wie all-, beid-, einig-, jed-, manch-, kein- stehen sowohl im Vorfeld als auch im Mittelfeld meistens zusammen mit ihrem Bezugsnomen. Unter bestimmten Bedingungen können sie aber auch vom jeweiligen Bezugsnomen getrennt auftreten. Durch die Aufspaltung gewinnt der Quantifikativ-Artikel an kommunuikativem Wert:
(2) Er hat [keine Fehler] gemacht. > [Fehler] hat er [keine] gemacht.
(3) Das haben [beide Kinder] gesagt. > [Die Kinder] haben das [beide] gesagt.
In Äußerungen, die eine hier als Aufspaltung beschriebene Verteilung der Satzglieder aufweisen, verhalten sich all- und beid- anders als die restlichen Quantifikativ-Artikel: Stehen all- und beid- nicht direkt vor dem jeweiligen Bezugsnomen, sondern am rechten Rand des Mittelfeldes, dann muss vor dem Bezugsnomen der definite Artikel eingesetzt werden:
(a) Er hat [alle
Harry-Potter-Bücher] gelesen. > [Die
Harry-Potter-Bücher] hat er [alle] gelesen.
(b) Das haben [beide
Kinder] gesagt. > [Die Kinder] haben das [beide] gesagt.
Im Frzanzösischen gibt es für all- und beid- keine Entsprechung innerhalb der Klasse der (Quantifikativ)-Artikel. Sie können nur paraphrasiert werden mithilfe der Formen tous/toutes (>all) und les deux (> beid-). Interessant ist, dass auch diese Formen sich durch formale Besonderheiten kennzeichnen. So verhält sich die Form tous/toutes in Beispielen wie (a') zwar von der Flexion her wie ein Adjektiv, von der Linearisierung her aber nicht, da tous/toutes im Gegensatz zu den meisten attributiven Adjektiven vor dem definiten Artikel stehen. Wenn diese Form getrennt von der NP vorkommt, auf die sie sich bezieht (a''), wird außerdem bei der Pluralform im Maskulin das finale ‚s' ausgesprochen.
(a') Il a lu tous les
livres de Harry Potter. > [t u]
(a'') Les livres de Harry Potter,
il les a tous lus. > [t u s]
Auch für die Form (beid-) gibt es im Frz. keinen Artikel; ihr entspricht meistens die Kombination des definiten Artikels les mit der Zahlangabe deux (b'). Deutschsprachigen Lernern des Französischen bereitet diese Kombination oft Schwierigkeiten, weil sie im Gegensatz zum dt. beid- je nach syntaktischem Umfeld formale Anpassungen verlangt: Steht die Zahlangabe nicht vor ihrem Bezugsnomen, dann muss sie von der Form tous/toutesund dem definiten Artikel begleitet werden (b''). Aber vor einer NP mit les deux darf tous nicht stehen (b'''):
(b') Les deux enfants
l'ont dit.
(b'') Les enfants l'ont dit tous les
deux.
(b''') *Tous les deux enfants l'ont dit.
Aufspaltung vs. Linksversetzung
Im Französischen besteht strenggenommen keine Möglichkeit der Trennung von (Quantifikativ-)Artikel und Bezugsnomen zum Zweck der informativen Gewichtung von Satzkomponenten. Wollte man die Beispiele (1-3) unter Beibehaltung der deutschen Linearisierung ins Französaische übertragen, sollte man auf Herausstellungsstrukturen (1'-3') zurückgreifen:
(1) Gründe gibt es dafür
viele.
(2) Fehler hat er keine gemacht.
(3) Notfälle
hatten wir heute zwei.
(1') Des raisons à cela, il y
en a beaucoup.
(2') Des fautes, il n'en a fait aucune.
(3')
Des cas d'urgence, nous en avons eu deux aujourd'hui.
Solche Linksdislokationen (auch
Linksversetzungen (frz. dislocations à
gauche)) können aber nicht als direkte Äquivalente der dt.
Äußerungen (1-3) betrachtet werden, von denen sie sich sowohl
syntaktisch/formal als auch pragmatisch unterscheiden: Syntaktisch/Formal
verlangt die Linksversetzung einer Komponente im Französischen, dass diese Komponente
vom Restsatz durch ein Komma abgesondert und im Restsatz pronominal
wiederaufgenommen wird; indefinite NPs, wie sie in den Beispielen (1'-3')
vorkommen, werden mit dem Pronomen en wiederaufgenommen – ggf.
in Kombination mit einem Quantor (hier: beaucoup, aucune,
deux).
Pragmatisch gesehen kommen Äußerungen mit
Linksversetzungen im Französischen vorwiegend in mündlichen
Kommunikationssituationen vor; deutsche Äußerungen mit
aufgespaltenen Nominalphrasen wiederum sind medial nicht eingeschränkt.
Intonatorisch allerdings ähneln sich die deutsche Aufspaltung und
die französische Linksversetzung: In beiden Sprachen ist die Komponente links durch ein
steigendes, die Komponente rechts durch ein abfallendes Intonationsmuster
gekennzeichnet.
Ähnliches gilt für die frz. Beispiele (a'') und (b'') im vorigen Abschnitt, in denen auch Linksversetzungen vorliegen, und die demnach nicht als direkte Entsprechungen für die dt. Äußerungen unter (a) und (b) betrachtet werden sollten.
Bei definiten Nominalphrasen mit quantifizierendem Ausdruck (z. B alle, beide, jeder ) kann, je nach Kontext, auf diesem oder auf dem Kopfelement ein Nebenakzent liegen:
(4a) [Beide Fusionspartner] halten sich in dieser Frage noch bedeckt.
(5) [Alle deine Argumente] überzeugen mich nicht.
(5a) [Alle deine Argumente] überzeugen mich nicht.
Hier interessiert besonders, wie die Distanzstellung intonatorisch begleitet bzw. aufgefangen wird.
Bei Distanzstellung erhält sowohl das nominale Element als auch der Quantifikativ-Artikel einen Gewichtungsakzent, da beide bzw. alle so eine eigenständige (Mittelfeld-) Einheit bilden:
(5b) [Deine Argumente] überzeugen mich [alle] nicht.
Die Akzentuierung der Quantifikativ-Artikel dokumentiert zum einen ihre syntaktische Eigenständigkeit, zum anderen aber auch den semantischen Bezug zum betonten Vorfeldelement.
Bei indefiniten Nominalphrasen mit quantifizierendem Ausdruck (z. B. ein-, kein-, einig-, mehrer-, viel-, wenig- und Zahladjektiven wie drei, zehn, fünfhundert sind die Akzentverhältnisse bei Kontakt- und bei Distanzstellung ähnlich wie bei den definiten Nominalphrasen mit Quantifikativ-Artikeln:
Die Einheit der Phrase wird nicht nur durch Kontaktstellung von Nomen und Artikel, sondern auch dadurch deutlich, dass sie nur einen Akzent trägt. In der getrennten Struktur findet dagegen eine Aufspaltung der Vordergrundinformation und der Akzentstruktur statt:
Bei aufgespaltenen definiten sowie indefiniten Nominalphrasen hat die Akzentsetzung drei Funktionen:
- Beide akzentuierten Komponenten bilden trotz Getrenntstellung gemeinsam die Vordergrundinformation.
- Durch die Tonmusterstruktur werden – trotz der Distanzstellung – semantische Zusammenhänge kenntlich gemacht.
- Es wird deutlich, dass es sich in dieser Getrenntstellung um zwei autonome Komponenten handelt, die eine bestimmte Informationsstruktur signalisieren: Mit der Nominalphrase im Vorfeld wird – oft kontrastierend – ein Gegenstandsbereich thematisiert, zu dem dann mit dem Quantifikativ-Artikel die relevante Information geliefert wird.
Ausgehend von der dritten Funktion der Akzentsetzung, "eine bestimmte Informationsstruktur [zu] signalisieren", erweist sich eine andere Sichtweise von Beispielen des Typs [Grammatische Fehler] hat er [keine] gemacht als erwähnenswert. Denn statt von einer einzigen – in diesem Fall aufgespaltenen/diskontinuierlichen – Nominalphrase zu sprechen, gibt es eine andere Interpretation, die für die These zweier autonomer Komponenten argumentiert. Für diese Auffassung spricht die Tatsache, dass die Umstellung zu einer kontinuierlichen Nominalphrase formale/morphologische Anpassungen erforderlich macht:
(1) Geld hat er keins.
Er hat kein Geld.
*Er hat keins Geld.
(2) Radio gab es im ganzen Dorf nur eines.
Es gab
im ganzen Dorf nur ein Radio.
*Es gab im ganzen Dorf nur eines
Radio.
(3) Brötchen hatten sie nur noch eines.
Sie
hatten nur noch ein Brötchen.
*Sie hatten nur noch eines
Brötchen.
In der hier vorgestellten Auffassung entspricht die erste Komponente am Satzanfang (Geld in (1), Radio in (2) und Brötchen in (3)) dem "Themaausdruck"; die zweite Komponente (jeweils keins in (1), eines in (2) und eines in (3)) stellt den "Bezugsausdruck" dar (vgl. insbesondere Nolda 2007). Demnach weisen die Beispiele (1)-(3) eine Thema-Kommentar-Gliederung auf, die sich in einer Thema-Konstituente (Geld, Radio und Brötchen) und einer Kommentar-Sequenz (hat er keins; gab es im ganzen Dorf nur eines; hatten sie nur noch eines) niederschlägt. Die drei Beispiele illustrieren das Phänomen der sog. Thema-Integration (topic integration): Geld, Radio und Brötchen fungieren als Thema/Topik vom Rest des jeweiligen Satzes. Wie die zweite Komponente des Terminus suggeriert, ist der Themaausdruck syntaktisch in den Satz integriert, er steht normalerweise im Vorfeld. Der Themaausdruck gilt als Antezedens des Bezugsausdrucks: Er setzt den Rahmen für die Interpretation des restlichen Satzes. Der Bezugsausdruck fungiert dabei als der kommunikativ relevanteste Informationsteil, was durch die Akzentuierung gekennzeichnet ist. Typisch (aber nicht obligatorisch) für lautlich realisierte Konstruktionen dieser Art ist ein zweiakzentiges Muster, das sich gut für die Aufmerksamkeitslenkung eignet – aufsteigende Intonationskontur im Themaausdruck und absteigende Intonationskontur im Bezugsausdruck.
Versetzung vom rechten Innenrand des Mittelfeldes ins Vor- oder Nachfeld
Einheiten, die in der unmarkierten Grundabfolge am rechten Innenrand des Mittelfeldes stehen bzw. den rechten Satzklammerteil bilden, können ins Vorfeld gerückt oder ins Nachfeld ausgelagert werden. Was die Akzentsetzung betrifft, verhält sich die Topikalisierung einer Einheit (7-9) bzw. die Platzierung einer Einheit ins Nachfeld (9) ähnlich wie bei Aufspaltung einer Phrase: Auch hier erhalten beide Teile einen Akzent (der erste steigend – der zweite fallend):
Nur in seltenen Fällen kann auch das Subjekt zusammen mit dem infiniten Teil des Verbalkomplexes im Vorfeld auftreten, z. B. als Passivsubjekt (11) oder als Teil eines Phraseolexems (12):
(11) | In der Firma wird seit langem Geld gestohlen. | > | [Geld gestohlen] wird in der Firma [seit langem] |
(12) | Der Kragen ist ihm noch nie geplatzt. | > | [Der Kragen geplatzt] ist ihm noch [nie]. (Sternefeld 1985:437) |