Informationsstruktur des Nachfeldes

In dieser Einheit werden die informationsstrukturelle Rolle und die damit verbundenen kommunikativ-pragmatischen Merkmale des Nachfeldes beschrieben: Das Nachfeld kann sowohl Hintergrund- als auch Vordergrundinformationen aufnehmen, was sich in unterschiedlich markierten Informationsgliederungsvarianten niederschlägt, deren gemeinsamer Nenner in der informationsstrukturellen Grundfunktion des Nachfeldes auf der Satzebene besteht: die Informationsentflechtung.

Da die Realisierung des Nachfeldes prinzipiell als strukturell nicht notwendig gilt, kann die Besetzung des Nachfeldes als wichtiges Mittel der Informationsstrukturierung besonders für kommunikative Zwecke genutzt werden: Das Nachfeld kann zur Hervorhebung einer (generell informationsstrukturell wichtigen) Information beitragen oder umgekehrt nebensächliche bzw. unwichtige Informationen (generell Hintergrundinformationen) aufnehmen, die als Nachträge fungieren.

Über die satzbezogene informationsstrukturelle Bedeutung des Nachfeldes (Informationsentflechtung) und die kommunikativ-pragmatischen Funktionen der Hervorhebung und des Nachtrags hinaus wird abschlieβend die textuelle Rolle des Nachfeldes thematisiert: Im heutigen Deutsch fällt das Zusammenspiel strukturell markierter Abfolge und Textinformationsstrukturierung auf, das insbesondere in bestimmten Textsorten der gesprochenen und der geschriebenen Sprache anzutreffen ist (s. Das Nachfeld im Textzusammenhang).

Informationsentflechtung

Im Rahmen der Informationsstruktur bietet das Nachfeld die Möglichkeit, die Informationsmenge in kleinere Informationsblöcke so aufzuteilen, dass die Satzstruktur überschaubar wird und als besonders hörer-/leserfreundlich empfunden wird. Diese Grundfunktion wird unter Informationsentflechtung zusammengefasst. Das Nachfeld kann für Hintergrund- wie auch für Vordergrundinformationen genutzt werden.

Die Portionierung der Gesamtinformation in kleinere Informationsteile führt dazu, dass die oft entscheidende durch den rechten Satzklammerteil ausgedrückte Information möglichst früh zur Verfügung steht. In mündlichen Kommunikationssituationen bezeugen die vielen Satzabbrüche und Korrekturen, wie schwer das Satzklammerprinzip, besonders bei komplexen Informationen, zu handhaben ist. Unter strukturellem Gesichtspunkt spielt die Länge bzw. die strukturelle Komplexität einer Konstituente eine wichtige Rolle für deren Nachfeldstellung – nach dem Motto: „Je länger, desto eher im Nachfeld“. Deshalb stehen tendenziell in erster Linie Nebensätze im Nachfeld (s. auch Sätze im Nachfeld). Aus dem gleichen Grund werden auch besonders umfangreiche Phrasen (1) ausgeklammert; Ähnliches gilt für die Aufzählung von Phrasen (2). Man vergleiche die folgenden Varianten: markiert (abweichend von der Grundwortstellung) in (1) und (2) vs. unmarkiert (Grundwortstellung) in (1') und (2'):

(1) Der Autor [des kürzlich erschienenen Essays "The Spectator"] Mark Wood lässt sich nicht beirren von den immer wieder neu aufgetischten Meldungen um anhaltende Verstimmungen zwischen Merkel und Cameron wegen des Austritts der britischen Konservativen aus der christdemokratischen Fraktion im Europaparlament. [Der Tagesspiegel, 01.04.2010]
(1') Der Autor Mark Wood lässt sich von den immer wieder neu aufgetischten Meldungen um anhaltende Verstimmungen zwischen Merkel und Cameron wegen des Austritts der britischen Konservativen aus der christdemokratischen Fraktion im Europaparlament nicht beirren.

(2) Das Geld, das für Steuersenkungen ausgegeben wird, wird fehlen bei Investitionen in Forschung und Bildung, in die öffentliche Infrastruktur, in den Umweltschutz, für die Gesundheitsversorgung oder den Ausbau der Kinderbetreuung. [Die Zeit, 13.04.2010]
(2’) Das Geld, das für Steuersenkungen ausgegeben wird, wird bei Investitionen in Forschung und Bildung, in die öffentliche Infrastruktur, in den Umweltschutz, für die Gesundheitsversorgung oder den Ausbau der Kinderbetreuung fehlen.

Wer von uns ist nicht angerührt und bewegt angesichts der Bilder der vielen Hunderttausenden friedlich versammelten Menschen in Berlin, in Leipzig oder in Dresden, in Schwerin, in Plauen und in anderen Städten der DDR? Sie rufen: 'Wir sind das Volk!', und ich bin sicher, ihre Rufe werden nicht leer verhallen. [Rede von Helmut Kohl, 08.11.1989]

In Schweden, wo nur neun Millionen Menschen leben, wurden bisher 3,5 Millionen Stieg-Larsson-Bücher verkauft. Weltweit sind es 15 Millionen. In Deutschland schlagen sich die Menschen die Nächte um die Ohren, weil sie nicht mehr aufhören können, die Geschichten zu lesen von dem kompromisslosen Journalisten Mikael Blomkvist und der spindeligen Einzelgängerin Lisbeth Salander. Am 1. Oktober läuft die Verfilmung seines ersten Krimis - "Verblendung" - in den Kinos an. [Die Zeit, 24.09.2009]

Konflikte werden erwartet unter anderem zur Debatte um Privatisierungen, das Verhältnis zur DDR sowie zur Außenpolitik. [Die Zeit, 24.11.2009]

Unter linguistischem Blickwinkel ist zu unterscheiden zwischen den formal-grammatischen Eigenschaften eines Textes und den äußeren Bedingungen, unter denen Texte produziert und rezipiert werden. [Text – Verstehen. Grammatik und darüber hinaus. In: Sprachreport, Heft 4/2004, 20. Jg., Mannheim, S. 27]

Auch die meist umfangreichen Attributsätze kommen aus den o. a. Gründen oft im Nachfeld vor. Das Nachfeld kann entweder allein durch den Attributsatz besetzt werden (3) oder durch die Kombination "(nachfeldfähige) Bezugseinheit + Attributsatz" (4). Mit der Besetzung des Nachfeldes geht eine andere Gewichtungsverteilung einher, die an der Akzentstruktur ablesbar ist (5-5‘):

(3) In der zweiten Hälfte seines Lebens war Heinrich Böll in eine Rolle gerutscht, die ihm im Grunde gar nicht lag. [Süddeutsche Zeitung 17.02.2010]

(4) Der Euro ist eine Währung, die die Länder des Kontinents politisch zusammenschweißen sollte, auf dass sie stark genug werden für die kräftigen Marktwinde, die rund um den Globus pfeifen. [Süddeutsche Zeitung, 30.04.2010]

(5) (...), weil sein Herz der Burgl gehörte seit jenem Tag, an dem sie auf den Zellerhof gekommen war.
(5’) (...), weil sein Herz seit jenem Tag der Burgl gehörte, an dem sie auf den Zellerhof gekommen war.

Hervorhebung

Die (prinzipiell fakultative) Besetzung des Nachfeldes gehört zu den topologisch-strukturellen bzw. syntagmatischen Mitteln der Fokussierung im Deutschen: Das Nachfeld kann nämlich in gesprochener und geschriebener Sprache als Gewichtungsstelle genutzt werden, um die Aufmerksamkeit auf ein bestimmtes Element der Gesamtinformation zu lenken, um es hervorzuheben. Wortstellung und Akzentuierung – beide als Mittel der kommunikativen Strukturierung – fließen hiermit zusammen, um insbesondere primäre (phrasenförmige) Komponenten mit Komplementstatus – als Träger der Vordergrundinformation – hervorzuheben; als Schwerpunkt der Gesamtinformation trägt die Nachfeldeinheit einen Gewichtungsakzent:

(6) und wir hatten damals * gesprochen von der sogenannten kindorientierten ehegründung- * [Talkshow, Nachtcafé, SÜDWEST Fernsehen 25.06.2004]

(7) Es sind umgekommen insgesamt vier Personen.

Wenn sekundäre Komponenten ein zweites informationelles Zentrum darstellen und im Nachfeld stehen, tragen sie prinzipiell ebenfalls einen Gewichtungsakzent, wobei Bezugsausdruck im Mittelfeld und sekundäre Komponente (meisten in Komplementfunktion) jeweils eine eigene Akzentdomäne bilden; dies führt zu einem zweigipfligen Tonmuster als Ausdruck von zwei informationellen Zentren im Satz:

(8) Im Fall einer Verurteilung wird es ihn härter treffen als die anderen, (...). [Spiegel, 18.4.1994, 33]

(9) äh * im zuge dieser begutachtung * haben natürlich gespräche stattgefunden mit der gutachterin- * [Talkshow, Nachtcafé, SÜDWEST Fernsehen 18.06.2004]

Wenn die Nachfeldeinheit im Wirkungsbereich einer Fokuspartikel steht, fließen syntagmatische, prosodische und lexikalische Fokussierungsmittel zusammen und bewirken eine Hyperfokussierung am rechten Satzrand:

(10) Beide deutschen Staaten sind deshalb aufgerufen, dem Streben nach nationaler Einheit nicht nur eine deutsche, sondern auch eine europäische Antwort zu geben. Diese Antwort muss sich einfügen in die künftige Architektur Europas. Das ist die europäische Berufung der Deutschen, sie ist begründet in der Geschichte der Deutschen, sie ist begründet in der geographischen Lage Deutschlands, und sie ist begründet auch in dem Gewicht der Deutschen für die künftigen Entwicklungen in Europa. [Rede von Hans-Dietrich Genscher, 06.04.1990]

Nachtrag

Unter Nachtrag wird eine Verwendungsweise des Nachfeldes verstanden, die vor allem den mündlichen Sprachgebrauch kennzeichnet: Entsprechend dem prozessualen Charakter der mündlichen Kommunikation trägt bzw. liefert der Sprecher eine Information nach, ohne dabei einen besonderen kommunikativen Zweck zu verfolgen bzw. ohne diese Information fokussieren zu wollen. Nach dem rechten Satzklammerteil wird der Satz sozusagen um eine (im Mündlichen unakzentuierte) Komponente erweitert.

Solche phrasenförmigen Nachfeldeinheiten mit Nachtragsfunktion sind meist Supplemente und vermitteln Hintergrundinformation:

(11) ich hab sie gleich angerufen weil ich äh* einfach nicht drauf warten wollte bis zum abendessen und wir haben noch einen date ausgemacht vorher noch↓ [Talkshow, Nachtcafé, SÜDWEST Fernsehen 25.06.2004]

(12) Ich bin ja von zu Haus abgehauen. Und ich hab so wahnsinnig viel gelernt in dieser Zeit. (XEY, 8)

(13) Der Sieg bedeutet die Qualifikation fürs Achtelfinale der Champions League, in der Bundesliga ist der Anschluss hergestellt, es herrscht Ruhe und Zufriedenheit, und die mitgereisten Fans sangen von den Turiner Tribünen: "Der FCB ist wieder da!". So schnell kann es gehen im Fußball, das ist bekannt, und doch ist es immer wieder erstaunlich, wenn es dann tatsächlich so schnell geht. [Süddeutsche Zeitung, 9.12.2009]

(14) Der Weissmüller, was ich gar nicht wusste, mag, mochte keine Affen – nicht – der hasste Affen, und weil die, weil die immer Folgendes machten bei ihm, das machte dieser Affe an dem Abend auch, das ist mir aber erst nachher dann deutlich gemacht worden, sobald er einen Affen in den Arm nehmen musste, war das Tier offenbar so erregt, dass es ihn von oben bis unten bepinkelte. [Dieter Kürten/Wolfgang Heim, 1996 in SDR3: Leute]

Es können in seltenen Fällen auch Komplemente, die Hintergrundinformationen vermitteln, im Nachfeld stehen:

(15) Liebes Team der Firma Rotax – Danke für Eure Spende, Euer Interesse an meiner Behinderung u. unserer Familie und Euren Besuch bei uns, wir haben uns riesig gefreut darüber!!! [http://isabella-online.blogspot.com/2009_12_01_archive.html, Dezember 2009]

(16) (...), wenn Sie Angst haben, müssen Sie ja irgend 'n Bild haben von der Angst, (...). (XEG, 5)

Das Nachfeld im Textzusammenhang

Über den Satz hinaus kann die Besetzung des Nachfeldes unmittelbare Auswirkungen auf die Textstruktur(-ierung) haben. Unter textstrukturellem Gesichtspunkt, d. h. unter Berücksichtigung des Vor- und des Folgetextes, lassen sich zwei einander nicht ausschließende Aspekte festhalten: (i) ihr Beitrag zur Textinformationsstrukturierung bzw. zur Textkonstitution; (ii) eine gewisse im heutigen Deutsch beobachtbare Textsortenspezifizität:

(i) Wenn Nachfeldeinheiten die einzigen Stellungseinheiten sind, die Vordergrundinformation vermitteln, können sie als alleiniger Garant für Textprogression fungieren und somit die Textkohärenz sichern:

(17) Die Probleme erscheinen uns oft unlösbar. Mancher wird darüber verzweifeln. Den möchte ich an das Dichterwort erinnern: 'Wer sich der Verzweiflung hingibt, verliert den Kopf. Wer Komödien schreibt, benutzt ihn.' Nun ist Gegenstand von Komödien zwar der gute Ausgang von ernsten Konflikten. Dennoch wollen wir Politiker sie weder schreiben noch aufführen. Dazu sind wir nicht gewählt; wir sind gewählt zur Auseinandersetzung über den besten Weg, mit Kopf und Herz, mit großem Ernst, aber ohne Verbissenheit. Wir teilen die Aufgabe, dem Staat zu dienen. [Rede von Richard von Weizsäcker, 24.05.1989]

Wenn August der Starke es abends einmal leger mochte, kleidete er sich in einen Kaftan. Lachsrot, so stehen zwei seiner Kalifengewänder auf Figurinen in der neuen „Türckischen Cammer“ des Dresdner Schlosses, die morgen eröffnet wird. Aber selbst die teuersten Kerzen und Lüster dürften des Königs türkische Kleider nicht zu so delikatem Schimmer gebracht haben, wie es nun die Spots der neuen Galerie tun: Die blaue Nacht (...) gibt allem Gestalt, was unsere Phantasie über das frühere Morgenland gespeichert hat. Das wäre nicht möglich gewesen ohne die Sammelleidenschaft der Wettiner. Sie begann lange vor August dem Starken und steigerte sich nach ihm fast zur Besessenheit. Gegen Ende des neunzehnten Jahrhunderts saßen Sachsens Monarchen in ihren Sammlungen so eingesponnen wie Seidenraupen in ihren Kokons - genug, um Dutzende erstrangiger Museen zu füllen. Begonnen aber hat man klein: Als die Wettiner noch Kurfürsten waren, legten sie, wie alle Herrscher, eine „Rüstkammer“ an, eine gebrauchstüchtige, Krieg, Turnier und Jagd gewidmete Waffensammlung. [faz.net, 06.03.2010]

(ii) Einige Textsorten zeichnen sich im heutigen Deutsch durch eine besonders hohe Anzahl von nicht-satzförmigen Nachfeldeinheiten aus; diese Tendenz deutet auf einen gewissen Grad an Konventionalisiertem (ggf. an Routinenhaftem) hin. Zu diesen Textsorten gehören u. a.:

– Danksagungen:

(18) Den Humor und die Lacher haben Sie auf ihrer Seite. Ich möchte Ihnen danken für den humorvollen Tagesstart. [Braunschweiger Zeitung, 12.01.2006]

– Predigten und Fürbitten:

(19) Wir danken dir für jedes Menschenleben,
das noch gerettet werden kann
durch rechtzeitige Bergung, durch medizinische Hilfe
durch Wasser und Nahrung.
Wir danken dir für alle sachkundigen Menschen,
durch die unsere Kirche und unser Land
beitragen können zur ersten Hilfe.
[http://www.diakonie-katastrophenhilfe.de/gemeinden/36_5201_DEU_HTML.php, gesehen am 17.11.2010]

(20) Und wieder hörte sie die Worte eines Geistlichen, der sie mit würdevoller Stimme fragte: „Und Du, Cathrin Conan Doyle, willst Du die Ehe eingehen mit dem hier anwesenden Steven Arturo Napolitani? [http://www.sven1421.de/newpage/zweifrauenamzug.htm, gesehen am 17.11.2010]

– politische Reden und Texte mit Appellfunktion:

(21) Der Wunsch vieler Bürgerinnen und Bürger nach einer Demokratisierung des Verhältnisses von Staat und Gesellschaft kann in der DDR noch immer nicht öffentlich zur Sprache gebracht werden. Deshalb rufen wir auf zu einer BÜRGERBEWEGUNG 'DEMOKRATIE JETZT'. [http://www.infopartisan.net/archive/1989/chronik/ch890900.html, 12.09.1989]

– Pressekommentare, u. a. im Schlusssatz des Artikels mit wirkungsvollem Pointierungseffekt:

(22) [Titel] Der Preis der Gesundheit [letzter Abschnitt] Schließlich ist kluges Sparen Pflicht. Die Pharmaindustrie wird ihren Beitrag leisten müssen. Medikamente werden in Deutschland oft deutlich teurer verkauft als in anderen europäischen Ländern. Dem muss eine einfachere, aber effiziente Regulierung entgegentreten. Ohne einen Einstieg in eine qualitätsorientierte Honorierung der niedergelassenen Ärzte wird es ebenfalls nicht gehen. Auch ist es an der Zeit, die Zahl der Kliniken in Deutschland zu verringern. Und: Die neue Koalition muss die Menschen aufklären über den Preis der Gesundheit. [Süddeutsche Zeitung, 14.10.2009]

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