Rhythmus

Die zeitliche Organisation der Sprachen hält sich tendenziell an unterschiedliche rhythmische Muster, wobei diese durch die regelmäßige Abfolge von gleichen Ereignissen bedingt sind. Mit “regelmäßiger Abfolge“ ist gemeint, dass die Abstände zwischen einem Ereignis und dem darauffolgenden gleichlang (isochron) sind. Für das Deutsche sowie für die meisten germanischen Sprachen bedeutet dies, dass die Intervalle zwischen einem Akzent und dem nächsten zeitlich konstant sind, worauf die typologische Klassifikation des Deutschen als akzentzählende Sprache beruht. Der zweite größere metrisch-prosodische Sprachtyp, dem z. B. die meisten romanischen Sprachen angehören, ist durch einen silbenzählenden Rhythmus charakterisiert, d. h. durch die Rekurrenz von isochronischen Silben. Äußerungsintern kann jedoch der Sprechrhythmus häufig wechseln.

Basiseinheit des Rhythmus ist der Takt (andere Bezeichnungen: Rhythmusgruppe, Akzentgruppe).

Takt

Takt bezeichnet die rhythmische Einheit, die aus einer akzentuierten Silbe und fakultativ einer oder mehreren unakzentuierten Silben besteht, die als Vorlauf vorangehen oder als Nachlauf folgen können.

Tendenziell ist die Länge der nicht-akzentuierten Silben im Deutschen bei normalem (nicht durch Verzögerungen, Abbrüche usw. unterbrochenem) Sprechtempo umgekehrt proportional zu ihrer Anzahl. Mit anderen Worten: Je größer die Zahl aufeinander folgender unakzentuierter Silben ist, desto eher wird ihre Dauer verkürzt, wobei es zu Vokalreduktionen, Tilgungen, Klitisierung (phonetische Abschwächung aufgrund der Anlehnung eines nicht oder schwach betonten Wortes an das Nachbarwort) und damit zur Realisierung von schwachen Formen kommt:

Geh'n se ruhig mal 'n bisschen aus sich raus!
'S gibt nur a Kaiserstadt, 's gibt nur a Wien! [Titel einer Polka von Johann Strauß Jr. , Op.291]

Beispiele für schwache Formen (Änderung/Tilgung von Vokalen und Konsonanten):

Artikeldem[deːm][dəm], [m̩], [m̩]
Präpositionin[ɪn][ən], [n̩], [m̩]
Hilfsverbhaben['haːbn̩][ham]
Konjunktorund[ʊnt ][ʊn], [ən], [n̩], [m̩]
anaphor. Personalpronomenihm[iːm][əm], [m̩]
Hörer-Pronomendu[duː][də], Ausfall nach -t
Zahladjektivachtzehn['axtseːn ]['axtsən], ['axtsn̩]


Die Grenzen rhythmischer Einheiten fallen nicht immer mit jenen syntaktisch-semantischer Einheiten (etwa von Phrasen oder eingebetteten Sätzen) zusammen. Als externe Abgrenzungskriterien können auftreten:

  • eine kurze Pause
  • die Kennzeichnung eines Taktbeginns durch einen beschleunigt artikulierten Auftakt
  • eine leichte Umkehrung der Tonbewegung auf einer unakzentuierten Silbe, die den Taktabschluss markiert
  • die Längung einer betonten Endsilbe des vorhergehendenTaktes

Insgesamt bleibt dem Sprecher zur Bildung rhythmischer Einheiten einiger Spielraum, wobei sicher auch individuelle Präferenzen des Sprechers eine Rolle spielen. Beispiele für unterschiedliche Rhythmisierungen (die Taktgrenze ist wie üblich mit "|", eine rhythmische Pause mit "." markiert):

(1a) |In der Nacht .| sind alle| Katzen grau|
(1b) |In der Nacht sind| alle|Katzen| grau.|
(2) |im Insti|tut|
(3) |Danke,| das war's|

Ein Sprecher kann (etwa bei isolierter Wortausprache) jede akzentuierbare Wortsilbe auch tatsächlich artikulieren, vgl.:

(4) |Kro|ko|dils|tränen|

Ist nur ein einziger Gewichtungsakzent vorhanden, bildet das Tonmuster zugleich das Grenztonmuster. Jeder Gewichtungsakzent bündelt eine Folge von Takten zu einer Intonationsgruppe.

Zu den wichtigsten Faktoren, die den Rhythmus einer Äußerung im Norwegischen ausmachen, gehören (vgl. Kristoffersen 2000:293ff.):

  1. Die morphologische Motivation der Mehrsilberbetonung: Die typische Wortbildungsstruktur des Norwegischen generiert die Tatsache, dass die für akzentzählende Sprachen übliche Stammbetonung auch phonotaktische Muster bestimmt, indem häufiger als im Deutschen initial betont wird (vgl. Akzentuierung der Komposita im Norwegischen).
  2. Die Akkommodationstendenzen innerhalb intonatorischer Phrasen: Stärker als im Deutschen lässt sich im Norwegischen die Tendenz beobachten, Bestandteile einer intonatorischen Phrase koartikulatorisch fließend aussprechen (z.B. Hvordan står det til [dɛtil]?). Dies führt wiederum dazu, dass die Pausen in komplexeren Äußerungen relativ deutlich wahrgenommen werden.
  3. Die phonologisch vokaldifferenzierende Quantität: Da die norwegische Quantität so gut wie in keinem systematischen Zusammenhang mit der Qualität (im Sinne stärkerer Spannung) steht, ist ihre rhythmisierende Funktion zwar vorhanden, aber im Vergleich zum Deutschen lässt sie nach. Die präpausale Längung der Vokale scheint nur situationsabhängig und damit nicht systematisch.
  4. Die Tonem II-Verwendung: Obwohl die das Tonem II ausmachenden Tonbewegungen in ihren absoluten Werten schwach ausgeprägt sind, sind ihr komplexer Ablauf sowie andere die Tonem II-Verwendung begleitende Phänomene (vor allem suprasegmentale Betonung und Ausdehnung angeschlossener Konsonanten) Faktoren, die zur Rhythmisierung einer Äußerung deutlich beitragen.
  5. Vokalische Reduktionen und /r/-Vokalisierung: Im Norwegischen ist die Tendenz, die unbetonten, finalen, artikulatorisch zentrierten Vokale zu tilgen sowie die inlautenden /r/-Konsoanten zu vokalisieren, konsequenter als im Deutschen (vgl. nor. morgen [mo:ʁn]/[mo:n] vs. dt. [mɔʀgən]/ [mɔɐgŋ]). Dies führt dazu, dass die koartikulatorischen Phänomene innerhalb eines potenziellen Mehrsilbers im Norwegischen komplexer sind, indem sie mehr Sprachlaute umfassen können und die den Ausspracherhythmus einer Äußerung bildende Nacheinanderfolge der Vokale reduziert wird.

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