Lexikalische Faktoren

Mit lexikalischen Faktoren ist die Zugehörigkeit der Nomen zu speziellen Wortschatzklassen gemeint wie Fremdwort, Eigenname (Personenname, geografischer Name etc.), Abkürzung oder Konversion. Diese Wortschatzklassen erscheinen an sich heterogen, haben aber eines gemeinsam: Ihre Vertreter sind nur partiell in das Nomensystem integriert, das von einheimischen Appellativa konstituiert wird. Die Grenze zwischen den beiden Wortschatzbereichen, die im Weiteren vereinfacht als „Sonderwortschatz“ und „Grundwortschatz“1bezeichnet werden, ist dabei natürlich nicht als eine klare Zäsur zu denken. Sie stellt vielmehr einen abgestuften Übergang dar, bei dem die einzelnen Lexeme des Sonderwortschatzes unterschiedlich weit vom Grundwortschatz entfernt sein, in Abhängigkeit von Parametern wie Raum und Kommunikationssituation in Bewegung geraten und mit der Zeit sogar Stufe um Stufe zum Grundwortschatz hinüberwechseln können. Daher kann auch von unterschiedlichen Integrationsstufen des Sonderwortschatzes ins einheimische (appellativisch geprägte) Nomensystem gesprochen werden.

1In Anlehnung an die Bezeichnung „Grundwortschatz“ in Duden 4 (2009: 196ff.)

Die Wirkungskraft lexikalischer Faktoren wird deutlich, wenn man sie mit der Wirkungskraft lautlicher Faktoren vergleicht. So führt bei Nomen des Grundwortschatzes der Auslaut auf einen sch-Laut überwiegend und der auf einen sog. s-Laut ausnahmsweise zu ES (vgl. Lautiche, prosodische und morphologische Faktoren unten), was mit Aussprachemodalitäten in Verbindung gebracht werden kann. Aber Nomen des Sonderwortschatzes sperren sich gegen die ES-Endung. Die Wirkung der genannten lautlichen Faktoren kann bei ihnen neutralisiert werden, und zwar indem die Endung weggelassen wird (des Hausesvs. des House– Letzteres als Musikstil) oder sogar indem nach einem sch-Laut doch ein -s gesetzt wird ((fast ausschließlich) des Matsches vs. (öfter) des Matchs).

Nomen des Sonderwortschatzes tendieren also eindeutig zu S bzw. zur Weglassung der Endung. Abbildung 1 zeigt, wie sich die Token der angesetzten Sonderwortschatz-Gruppen (vgl. Methodik, im Weiteren ‚Sondergruppen‘) in unserem Material auf ES, S und Nullendung verteilen.

Abb. 8: Genitivvarianten in verschiedenen Sondergruppen (Prozentzahlen betreffen ES-Anteil)

Abb. 1: Genitivvarianten in verschiedenen Sondergruppen (Prozentzahlen betreffen ES-Anteil)

Die Endung ES spielt offensichtlich so gut wie keine Rolle bei den Sondergruppen Konversionen, Neologismen, Fremdwörtern und Abkürzungen und ist immer noch randständig bei Eigennamen, aber bei Stilbezeichnungen und Zeitausdrücken nähern sich ihre relativen Häufigkeiten schon dem Wert für die Gesamtheit der Genitivnomen (7.218.605 Token, in Abbildung 1: ,alle Nomen‘) an. Die Gruppen der Stilbezeichnungen (z. B. Barock, Bauhaus, Punk) und der Zeitausdrücke (z. B. April, Mittwoch, Vormittag) erscheinen aus dieser Perspektive als am stärksten ins Nomensystem integriert. Die Endung S ist die häufigste Variante in allen untersuchten Sondergruppen mit Ausnahme von Abkürzungen und Stilbezeichnungen, wo sie von der Nullendung in den Hintergrund gedrängt wird.

Gehören Lexeme den Sonderwortschatzklassen Konversion, Neologismus, Fremdwort, Abkürzung oder Eigenname an, hat man es offensichtlich mit Faktoren zu tun, welche die Endung ES weitgehend verhindern: Der Anteil der ES-Fälle – er soll weiterhin als Indiz für die Wirkungskraft von Faktoren benutzt werden – liegt in unserem Material bei den Nomen aller zuletzt genannten Sondergruppen unter 2%. Da lexikalische Faktoren jene lautlicher, prosodischer, morphologischer und performanzbasierter Natur in der Regel dominieren, erscheint es also als zweckmäßig, die Sondergruppen Konversionen, Neologismen, Fremdwörter, Abkürzungen und Eigennamen von der weiteren Betrachtung der Variation zwischen ES und S auszuschließen, um die Wirkung anderer Faktoren nicht zu verschleiern. Nicht ausgeschlossen werden sollen allerdings die Gruppen Stile und Zeitausdrücke, denn die Verteilung ES- vs. S-Nomen ist in diesen Sondergruppen nicht mehr so weit von der entsprechenden Verteilung bei Nomen entfernt, die nach Ausschluss aller Sondergruppen verbleiben (in Abbildung 1: ‚Nomen ohne Sondergruppen‘). Nicht vergessen werden darf, dass mithilfe der verwendeten Listen von Konversionen, Neologismen, Fremdwörtern etc. der Bestand der zu entsprechenden Sonderwortschatzklassen gehörenden Nomen bei Weitem nicht vollständig erfasst wird (vgl. Methodik). Stark zu S neigender Sonderwortschatz kann aus weiteren Analysen folglich nicht gänzlich ausgeschlossen werden, doch lässt sich sein Anteil in unserem Material deutlich senken2 und das kann der Sichtbarkeit nicht-lexikalischer Faktoren nur zugutekommen. Im so reduzierten Material verbleiben 4.585.236 Token mit einer Endung, deren S/ES-Quotient nur noch 1,7 beträgt. Der Anteil der ES-Formen an allen Formen mit einer Endung wächst entsprechend deutlich an, und zwar von 27% auf 37%.

2Von ca. 46,0% (95%-Konf.-Intervall: 41,2% und 50,9,0%) auf ca. 14,5% (95%-Konf.-Intervall: 11,3% und 18,3%) – gemäß einer Stichprobenprüfung und bei einer „manuellen“ Zuweisung des Sonderwortschatz-Status.

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Autor(en)
Marek Konopka
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