Lautliche, prosodische und morphologische Faktoren

Im von Nomengruppen Konversionen, Neologismen, Fremdwörter, Abkürzungen und Eigennamen bereinigten Material (4.585.236 Token) sollen zunächst weitere Faktoren untersucht, die die Endung ES verhindern können. Danach wird auf starke ES-fördernde Faktoren eingegangen

Laut Spezialliteratur (vgl. Vergleiche bisheriger Forschungsansätze) neigen die Nomen sehr stark zu -s, wenn sie

  1. auf eine (unbetonte) Silbe mit dem Reim -el, -em, -en, -end, -er oder
  2. auf -ig, -chen, -lein und evtl. auch1-ich, -ing, -ling, -mal, -sal, -sam, -tum enden sowie wenn sie
  3. auf einen Vokal ausgehen.

1 Hierauf folgende Wortausgänge finden sich nicht in allen für Tabelle zu Faktoren der Genitivmarkierungsvariation konsultierten Quellen.

Die Durchschlagskraft dieser Faktoren ist in unseren Korpora im Detail betrachtet unterschiedlich: Während nach Schwa-Silben (Fall a) die -es-Endung nahezu ausgeschlossen bleibt2, kommt sie in den beiden übrigen Fällen doch sporadisch vor.

2Zu den extrem seltenen Ausnahmen gehören z. B. Sommerabendes und Gestotteres.

Der Fall b ist komplex: Die Diminutivsuffixe -chen3 und -lein lassen in unserem Material tatsächlich kein -es zu. Die anderen Suffixe (-ling, -mal, -sal, -sam, -tum) begegnen auch mit -es, vor allem -mal (Denkmales, Mahnmales, vereinzelt auch Schmetterlinges, Eigentumes, Schicksales, Unterbringungsgewahrsames), – aber selbst nach -mal liegt der Anteil der -es-Token nur bei 2% (aus gesamt 4509 mal-Token). Die noch übrig gebliebenen Wortausgänge, -ig, -ich und -ing, werden in der Spezialliteratur meist nicht weiter spezifiziert, obwohl dies – da sie (zumindest synchron gesehen) nicht als Suffixe gelten können – durchaus notwendig gewesen wäre: Zum einen führen die Wortausgänge -eig, -eich, die angesichts der üblichen grafischen Darstellung erst einmal inbegriffen erscheinen, zu Nomen, die -es präferieren bzw. die stark variieren (z. B. Teich(e)s, Bereich(e)s, Erdreich(e)s), nicht klar ausgeschlossen sind zum anderen auch Einsilber im Allgemeinen sowie die auf ihnen aufbauenden Komposita, obwohl beide Gruppen prominente Gegenbelege zum -es-Ausschluss liefern (z. B. Striches, Dinges, Ringes, Einzeldinges, Drogenringes). Gemeint sind hier also in Wirklichkeit – ähnlich wie schon in Fall a – nur Silbenreime unbetonter Silben wie in König, Rettich, Fasching. Mit dieser neuen Spezifikation sind Abweichungen vom -es-Ausschluss bei -ig, -ich und -ing tatsächlich sehr selten zu finden, und zwar nur bei den Lexemen König und Teppich (bzw. den entsprechenden Komposita, z. B. Landköniges oder Flickenteppiches).

3Gleichzeitig zu Fall a gehörig.

Der Fall c ist ebenfalls differenziert zu betrachten:4 Unter Ausschluss der Diphthonge begegnet -es nach Vokalen in unserem Material insgesamt gesehen bei 0,7% Token (aus 11.942 Token), und zwar nur dann, wenn die Lexeme grafisch auf -h enden (Schuhes oder Rindviehes) – bei diesen ist -es allerdings bei 11 aus 87 Token mit Markierung zu finden. Nicht nachprüfbar ist an dieser Stelle, ob bei Lexemen, die mit -ee bzw. -ie geschrieben werden und grafisch nur -s zu sich nehmen (Schnees, Knies), nicht zuweilen auch die Endung -es intendiert ist.5 Nach Diphthongen sieht es generell anders aus: Hier begegnet -es schon bei 10,6% Token (aus 28020, z. B. Baues, Eies, Heues).

4Das wird bereits in Duden 9 (2007: 198) angedeutet.

5Vgl. entsprechende Hinweise in Duden 9 (2007: 199).

Zusammenfassend ist festzuhalten, dass Nomen des (wie in Lexikalische Faktoren erörtert) eingeschränkten Sonderwortschatzes sowie einheimische Nomen auf einen Suffix, eine unbetonte Silbe mit dem Reim -el, -em, -en, -end, -er, -ich, -ig, -ing und auf einen Vokal in unserem Material eine Gruppe von Nomen bilden, die – sofern sie im Genitiv mit einer Endung erscheinen – nahezu ausschließlich S zu sich nehmen. Diese tendenziell invarianten Nomen sollen ausgeschlossen werden, wenn es in Zusammenfassung weiter unten um die Betrachtung von denjenigen Faktoren geht, die den Bereich der prinzipiell variierenden Nomen strukturieren.

Prinzipiell variierende Nomen werden von der anderen Seite von Nomen flankiert, die als Endung (fast) ausschließlich ES aufweisen. In der Literatur werden hier lautliche Voraussetzungen genannt, die durch Aussprachemodalitäten bedingt zu sein scheinen: vor allem der Auslaut auf einen sog. s-Laut, daneben der Auslaut auf einen sog. sch-Laut oder der Wortausgang auf die st-Gruppe. Beim Sonderwortschatz, wie z. B. Eigennamen, kann die Wirkung dieser Faktoren neutralisiert werden (z. B. Heiligenkreuzs Sportlicher Leiter, vgl. Lexikalische Faktoren). In unserem Material mit reduziertem Sonderwortschatzanteil bilden den einen Pol Nomen auf einen s-Laut (phonologisch /s, ts/, grafisch s, x, z, s) mit 97,3 % ES-Formen: Hier sind gemischt flektierende Nomen wie Herzens oder Felsens die einzigen, die eine andere Endung als -es aufweisen. Schließt man solche Nomen als nicht einschlägig aus, weil zwischen den zum Wortstamm gehörenden s-Laut und das -s der für Nichtnominative schwach flektierender Nomen charakteristische Marker en tritt, greift der Faktor ohne Ausnahme. Am anderen Pol stehen Nomen einen sch-Laut /ʃ/, bei denen nahezu 20% (aus 1.229 Token) der sehr oft zusammengesetzten Lexeme zwischen den beiden Endungstypen variieren wie Tausch oder Frosch. Gleichwohl ist der Faktor ‚Auslaut auf sch-Laut‘ wegen des deutlichen Übergewichts der es-Token – 78,8% (aus 13.003 Token) – immer noch als relativ stark einzuschätzen. Zwischen den Nomen auf einen s-Laut und den Nomen auf einen sch-Laut stehen Nomen mit dem Wortausgang auf die st-Gruppe (grafisch st und zt) mit 86,4% es-Formen (aus 74.331 Token, zur Übersicht siehe Abbildung 1 in Wirkungs starker Faktoren im Vergleich ).

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Autor(en)
Marek Konopka
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