Endungslose Realisierung des Genitivs: Faktoren

In diesem Abschnitt wollen wir kurz auf die Faktoren eingehen, die bei der endungslosen Realisierung des Genitivs eine Rolle spielen. Dabei werden wir auch die Frage behandeln, wie sich diese Faktoren gewichten bzw. im Rahmen eines Baumdiagramms hierarchisieren lassen. Auf der Basis der bisherigen Ausführungen lässt sich bereits erkennen, dass für die Wahl des Nullallomorphs andere Faktoren relevant sind als für die Unterscheidung zwischen langer und kurzer Genitivendung. Generell scheint zu gelten, dass lexikalischen (Fremdwortcharakter), morpho-syntaktischen (z.B. Monoflexion) und semantisch-pragmatischen Faktoren (Nennfunktion von Eigennamen) eine entscheidende Rolle zukommt, während lautliche Faktoren nur in Kombination mit anderen Faktoren eine Nullmarkierung des Genitivs begünstigen. So führt das Vorliegen eines s-Lauts am Wortende (das den primären phonologischen Faktor darstellt) nur bei Eigennamen und (nicht-integrierten) Fremdwörtern zum Wegfall der Genitivmarkierung wie z.B. der Kontrast zwischen des Ausschusses vs. des Tempus oder des Kleckses vs. des Sex belegt (einige Grammatiken heben in diesem Zusammenhang auch die Rolle lateinischer Endungen auf -us bzw. -ismus hervor). Allerdings scheint der Einfluss lautlicher Faktoren bei den letztgenannten Nominaltypen insofern zu systematischeren Effekten zu führen, als bei den betroffenen Nomen i.d.R. keine morphologische Markierung des Genitivs möglich ist. Wir müssen also mindestens zwei Typen von Endungslosigkeit unterscheiden: Während bei rein morphosyntaktisch (bzw. semantisch-pragmatisch) bedingter Nullmarkierung des Genitivs (Monoflexion) meist eine Variante mit s-Markierung existiert, bewirken lautliche Faktoren i.d.R. konsistente bzw. kontextunabhängige Endungslosigkeit:

Wie bereits erwähnt, treten systematisch endungslose Formen primär bei Nomen auf, die ohnehin zur Endungslosigkeit tendieren, d.h. insbesondere bei Fremdwörtern und Eigennamen (insbesondere Personennamen, vgl. Fritz’ Tasche). Dabei wird in der Literatur die Auffassung vertreten, dass hierbei nicht nur die Form der finalen Silbe (Endung auf s-Laut), sondern auch deren prosodische Eigenschaften von Bedeutung sind (Unbetontheit). Obwohl der lautlich bedingte Wegfall der Genitivmarkierung tatsächlich einen Großteil aller endungslosen Realisierungsformen ausmacht (vgl. insbes. die häufigen Bildungen auf -ismus), wollen wir uns im Rahmen der vorliegenden Studie vor allem auf die Bereiche konzentrieren, in denen Variation zwischen s-Markierung und Nullmarkierung vorliegt. Dazu zählen neben primär semantisch-lexikalisch bedingter Endungslosigkeit (Eigennamen, Fremdwörtern, Abkürzungen etc.) auch Fälle, in denen der Wegfall der Genitivendung auf morphologische Faktoren zurückgeführt werden kann. Zu nennen sind hierbei neben Konversionen: Komposita, Diminutiva (Appel 1941) und endungslos auftretende (starke) Maskulina auf -en (sowie evtl. substantivierte Infinitive). Im Gegensatz zu den bisher genannten Phänomenen wird die Unterlassung der Genitivflexion in diesen Fällen von der gegenwärtigen Grammatikschreibung zumeist (mit Ausnahme bestimmter Substantivierungen) als nicht normgerecht betrachtet.

Zusammenfassend lassen sich die Faktoren, die in der Literatur für die Nullrealisierung des Genitivs verantwortlich gemacht werden, wie folgt in einem Baumdiagramm hierarchisieren und veranschaulichen (wenn mehrere Markierungsvarianten existieren, bezeichnet das erstgenannte Genitivallomorph das häufigere Muster):

Abbildung 1: Wegfall des Genitiv-s: Hierarchische Darstellung relevanter Faktoren

Im Zusammenhang mit Abbildung 1 möchten wir darauf hinweisen, dass es sich hierbei nur um einen ersten Vorschlag zur Hierarchisierung bzw. Gewichtung von interagierenden Faktoren wie "Fremdwort", "Auslaut" etc. handelt, der noch einer genaueren korpuslinguistischen bzw. statistischen Überprüfung unterzogen werden muss (vgl. Variante Fälle für einige relevante Überlegungen).

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Autor(en)
Eric Fuß
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