Verbflexion nach Tempus und Modus
Tempora
Bei der Kategorisierung Tempus handelt es sich um ein System für die Erfassung zeitbezogener Informationen, mit Hilfe derer innerhalb der sprachlichen Kommunikation die zeitliche Einordnung von Sachverhalten vollzogen wird.
Beispiele für Verbformen (braun markiert, finite/semifinite Formen zusätzlich fett):
Die Beispiele (1)-(3) enthalten sowohl synthetische als auch analytische Tempusformen. Nur Präsens- und Präteritalformen sind Flexionsformen von Verben (z. B. trifft, sagten). Die anderen Tempora Präsensperfekt (hat alarmiert), Präteritumperfekt (weggelaufen war), Futur (wird wissen) und Futurperfekt (werden gewesen sein) werden analytisch durch die Bildung eines Verbalkomplexes mit einer konjugierten Form der Hilfsverben haben, sein oder werden (hat, war, wird) und einer infiniten Verbform (Infinitiv, Partizip II) gebildet. Auch die Genus verbi-Kategorie Passiv, z. B. das Präsens Passiv (gegrillt wird), wird auf diese Weise gebildet.
Bedeutung und Gebrauch der Tempora (und Modi) ist nicht Gegenstand dieser Einheit. Die Semantik der Tempuskategorien lässt sich aber im Rahmen von Markiertheitsannahmen in Verbindung mit den Tempusmarkern bringen. Das Präsens lässt eine zeitliche Festlegung semantisch offen, es ist die unspezifischere Tempuskategorie. Das Präteritum drückt Vergangenheit relativ zur Sprechzeit aus und ist damit das semantisch spezifischere Tempus. Präteritum wird morphologisch durch bestimmte Präteritalmarker (Präteritalsuffix, Vokalwechsel) gekennzeichnet, das Präsens besitzt keine spezifischen Präsensmarker. Eine vollständige Übersicht zur Bedeutung der Tempora und der Bildung der analytischen (nicht durch Flexion im engeren Sinne gebildeten) Formen ist in der Thematischen Einheit Tempus zu finden.
Tempusmarker
Die unmarkierte Tempuskategorie Präsens erhält im Deutschen keine spezifischen Tempusmarker, das Präteritum verfügt flexionsklassenabhängig über verschiedene Präteritalmarker. Die Präteritalstammform (und Partizipialstammform) wird gebildet, indem die Präsensstammform bei schwachen, starken und gemischten Verben auf unterschiedliche Weise modifiziert wird, z. B.:
Zu den Einzelheiten präteritaler Flexionsformen, z. B. Ablautreihen starker Verben, siehe Flexionsklassen der Verben.
Modi
Die Kategorisierung Modus bei Verben trägt zur Differenzierung der Verwendungsmöglichkeiten von Sätzen bei, z. B. als Feststellung, Mutmaßung oder Aufforderung.
Die unterschiedlichen Modi lassen sich anhand folgender Beispielen illustrieren:
Die Modi werden im Deutschen synthetisch gebildet, die Modusmarkierung betrifft auch in analytisch gebildeten Tempora nur die finite Verbform (z. B. er hat/habe einen Braunbären gesehen). Lediglich die konjunktivische würde-Form (würde auswandern) wird analytisch gebildet.
Der Indikativ (klagte) ist der unmarkierte Modus, der in allen Sätzen gebraucht werden kann, in denen weder Imperativ noch Konjunktiv verwendet werden. Er ist der Standard-Modus, auf den zurückgegriffen wird, wenn besondere Verwendungsbedingungen für andere Modi nicht greifen. Der Konjunktiv wird in Indirektheitskontexten wie in Beispiel (2) (habe) und (5) (arbeite, verdiene, sei) oder Modalitätskontexten (4) (gelänge, sei, wäre) gebraucht, die sich auch in indirekten Modalitätskontexten überschneiden können (5) (hätte). Der Imperativ ist eine direkte Aufforderungsform (Befehlsform). Der Adressatenbezug stellt ein inhärentes Merkmal dar, d. h. Imperativformen richten sich immer an einen oder mehrere Aufgeforderte(n).
Zu den Modi Indikativ und Konjunktiv finden sich grundsätzlich Verbformen für alle anderen relevanten Kategorisierungen, also Tempus, Genus verbi, Verbnumerus und Person, d. h. es gibt im Deutschen vier tempus-/modusabhängige Flexionsparadigmen (die analytische Passiv-Bildung ausgenommen): Indikativ Präsens, Konjunktiv Präsens, Indikativ Präteritum und Konjunktiv Präteritum. Konjunktivformen werden aus der (primären) Präsens- bzw. (sekundären) Präteritalstammform gebildet. Konjunktiv Präsens/Präteritum sind nicht als Tempuskategorien für Präsens und Präteritum zu verstehen. Es handelt sich um rein flexionsmorphologische Kategorien, die keine Tempusinformationen enthalten. Ihre Bezeichnung bezieht sich auf die Bildung mit Hilfe der Präsens- bzw. Präteritalstammform, alternativ werden sie auch Konjunktiv I (Präsens) und II (Präteritum) genannt.
Im Imperativ ist hingegen nur die Kategorisierung Verbnumerus voll ausgebildet (sprich (Sg.) – sprecht (Pl.)). Imperative sind nicht nach Person und Tempus differenziert. Imperativformen im Passiv sind formal bildbar (z. B. Sei gegrüßt!), können aber nicht als direkte Aufforderungsformen angesehen werden. Imperativformen werden im Singular aus der primären oder sekundären (mit Einschränkungen, siehe unten), im Plural aus der primären Präsensstammform gebildet.
Modusmarker
Das Zusammenspiel der unterschiedlichen Stammformen und Suffixe als Personal-, Verbnumerus-, Tempus- und Modusmarker zeigt das folgende Beispiel der 3. Ps. Sg./Nicht-Adressat bzw. die Numerusformen des Imperativs des schwachen Verbs lachen und des starken Verbs sprechen:
Ind. Präs. | Konj. Präs. | Ind. Prät. | Konj. Prät. | Imp. Sg. | Imp. Pl. | ||
er/sie/es | lacht spricht | lache spreche | lachte_ sprach_ | lachte_ spräche | lach(e) sprich_ | lacht sprecht |
Unter Annahme eines Präteritalmarkers -t- (statt -te, vertiefende Informationen):
Ind. Präs. | Konj. Präs. | Ind. Prät. | Konj. Prät. | Imp. Sg. | Imp. Pl. | ||
er/sie/es | lacht spricht | lache spreche | lachte sprach_ | lachte spräche | lach(e) sprich_ | lacht sprecht |
Bei starken und gemischten Verben fungiert zusätzlich der Umlaut der sekundären Präteritalstammform (Konjunktiv II) bzw. teilweise der e/i-Wechsel (Imperativ Singular) als Modusmarker.
Der Imperativ wird außerdem syntaktisch ausgedrückt (Verberstsatz, unausgedrücktes Subjekt).
Modus wird im Deutschen im Gegensatz zu Tempus nicht durchgängig flexionsmorphologisch markiert. Die Modusmarkierung unterliegt tempus- und flexionsklassenabhängigen Einschränkungen:
Im Präsens sind die Konjunktivformen der 1. Person Singular und der Nicht-Adressaten im Plural starker und schwacher Verben mit den Indikativformen identisch, d. h. in diesen Positionen wird Modus flexionsmorphologisch nicht markiert, die entsprechenden Formen sind modusindifferent. Bei schwachen Verben sind außerdem alle Präteritalformen grundsätzlich modusindifferent. Starke Verben besitzen meistens sekundäre Präteritalstammformen, die durch Umlaut (bzw. seltener: Vokalwechsel wie starb-/stürb-) gebildet werden. Besonders deutlich modusmarkiert sind die Präsensformen der 3. Ps. Sg. (aufgrund der Suffixopposition -t/-e) sowie die durch Vokalwechsel gekennzeichneten Präterital- und Nicht-Sprecher-Formen starker Verben mit sekundären Stammformen.
Alle anderen distinkten Konjunktivformen weisen als Modusmarker schwahaltige Personal-/Numerussuffixe auf, z . B.:
Person | schwache Verben | starke Verben (mit sek. Stammformen) | ||||||||||||||||
Präsens | Präteritum | Präsens | Präteritum | |||||||||||||||
Singular | Plural | Singular | Plural | Singular | Plural | Singular | Plural | |||||||||||
Ind. | Konj. | Ind. | Konj. | Ind. | Konj. | Ind. | Konj. | Ind. | Konj. | Ind. | Konj. | Ind. | Konj. | Ind. | Konj. | |||
Nicht- Adr. | Spr. | 1. | lache | lachen | lachte | lachten | gebe | geben | gab_ | gäbe | gaben | gäben | ||||||
Nicht- Spr. | 3. | lacht | lache | gibt | gebe | |||||||||||||
Adr. | 2. | lachst | lachest | lacht | lachet | lachest | lachtet | gibst | gebest | gebt | gebet | gabst | gäbest | gabt | gäbet |
Modusmarkierung: | ||
deutlich | nur Schwasuffix | modusindifferent |
Indikativ/Konjunktiv-Synkretismen sind bei Verben, die aus phonologischen Gründen immer die schwahaltigen Personal-/Numerussuffixe besitzen (z. B. beten, leiden, atmen), noch zahlreicher. In diesen Fällen sind auch die Formen der 2. Person (Adressat(en)) im Sg./Pl. grundsätzlich modusindifferent:
Ind./Konj.: betest, leidest (Sg.), betet, leidet (Pl.)
mit
sekundärer Stammform im | Starke Verben: Adressatenformen (2. Ps.) | ||||||||
Präsens | Präteritum | ||||||||
Singular | Plural | Singular | Plural | ||||||
Präsens | Präteritum | Ind. | Konj. | Ind. | Konj. | Ind. | Konj. | Ind. | Konj. |
+ | + | sprichst | sprechest | sprecht | sprechet | sprachst | sprächest | spracht | sprächet |
+ | - | fällst | fallest | fallt | fallet | fielst | fielest | fielt | fielet |
- | + | singst | singest | singt | singet | sangst | sängest | sangt | sänget |
- | - | rufst | rufest | ruft | rufet | riefst | riefest | rieft | riefet |
mit Schwa im Ind. | leidest | leidet | littest | littet |
Modusmarkierung: | ||
deutlich | nur Schwasuffix | modusindifferent |
Die Imperativstammform ist mit der Infinitivstammform identisch, die sich in der Regel aus der (primären) Präsensstammform herleitet. Im Singular existieren spezifische Imperativformen, im Plural sind Imperative immer mit der Adressaten-Form (auf -(e)t) identisch, vgl. ihr nehmt; Nehmt...!. Nur starke Verben, die eine durch e/i-Wechsel (und nicht durch Umlaut) gebildete sekundäre Präsensstammform besitzen, bilden daraus endungslose Imperativ-Singular-Formen, z. B. sprich, gib, nimm, hilf, iss (aber: fall(e)). Bei allen anderen Verben gleicht der Imperativ Singular der Infinitivstammform, an die ein fakultatives (unter bestimmten phonologischen Bedingungen: obligatorisches) -(e) suffigiert wird, z. B. lach(e), geh(e), rechne. Berücksichtigt man also Verben mit e/i-Wechsel, kann man im Deutschen die Imperativformen eines Verbs anhand seines Infinitivs zuverlässig bilden.
Der Imperativ wird hauptsächlich mit syntaktischen Mitteln gekennzeichnet: Aufforderungssätze mit Imperativen sind Verberstsätze. Das Subjekt bleibt zudem in der Regel unausgedrückt (im Gegensatz zu Sätzen mit finiten Verbformen), da der Imperativ einen inhärenten Adressatenbezug besitzt und eine explizite Nennung des Subjekts somit normalerweise nicht notwendig ist (vgl. Beispiel 4).
Zu den Einzelheiten der Flexionsformen von Indikativ, Konjunktiv und Imperativ siehe Flexionsklassen der Verben.
Tempus-/Moduskennzeichnende Funktion von Personal-/Numerussuffixen
Da im Singular Präsens Indikativ die 1., 2. und 3. Person distinkt flektieren, in anderen (Teil-)Paradigmen aber nur zwei Formen - für Adressat(en) und Nicht-Adressat(en) - unterschieden werden, können Personal-/Numerussuffixe in nach Tempus und Modus differenzierten (Teil-)Paradigmen finiter Verben aufgrund dieser paradigmenspezifischen Distribution auch eine tempus-/moduskennzeichnende Funktion besitzen:
Unter Berücksichtigung der Korrespondenz mit dem Subjekt kann die konkret vorkommende (schwache) Verbform er lacht eindeutig als indikativisch, er lache eindeutig als konjunktivisch verstanden werden. Die Form lache kann je nach Subjekt als eindeutig konjunktivisch (er lache) oder modusindifferent (ich lache) verstanden werden. Auch Endungslosigkeit bei den Singularformen der Nicht-Adressaten ist paradigmenspezifisch auf das Präteritum beschränkt.